Menschengebeine auf dem Weg zu ihrer letzten Ruhe

ExklusivBaden-Württemberg gibt zehn Schädel indigener Australier an Vertreter der Aborigines zurück – Beschluss der Landesregierung erwartet

Von Nikolai B. Forstbauer

Stuttgart Mit großem Gepäck reist der Schwede Erik Mjöberg 1911 aus Australien in seine Heimat zurück. Auffällig groß für den australischen Zoll. Was er ausführe? „Skelette von 20 Kängurus“, sagt Mjöberg. Tatsächlich bringt er Gebeine von Aborigines nach Schweden. Für Australiens ­Department of Communication and Arts ­ein typischer Fall. Weltweit fahnden die ­Mitarbeiter nach Skeletten und Schädeln indigener Australier.

Über die australische Botschaft in Berlin erreicht vor geraumer Zeit auch die baden-württembergische Landesregierung eine Anfrage. Überrascht ist in Stuttgart niemand. Bereits 2007 hatte ­Australien um eine Klärung gebeten. Die Spur führt seinerzeit in die Sammlungen der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg – um 1860 hatte der Freiburger Anatom und Pathologe Alexander Ecker die auch nach ihm benannte Schädelsammlung begründet – und des ­Lin­den- Museums in Stuttgart. Schon 2004, drei Jahre vor der offiziellen Anfrage aus Australien, hatte Dieter Speck als Leiter des Archivs und des Universitätsmuseums eine mögliche Rückgabe von Schädeln befür­wortet. Speck macht aber auch deutlich, dass die Rückgabe intensive Forschungsarbeiten voraussetzt. Ende ­Oktober 2010 sagt die Freiburger Anthropologin Ursula ­Wittwer-Backofen: „Wir haben Anfang 2009 begonnen, die Unterlagen zu sichten. Konkret am Material aber haben wir begonnen zu arbeiten seit Anfang dieses Jahres.“

Nach mehrjährigen Untersuchungen ist klar: Acht Schädel aus der Sammlung der Universität Freiburg und zwei Schädel aus der Sammlung des Linden-Museums in Stuttgart ­können über die Erforschung der sogenannten mitochondrialen DNA zweifelsfrei als „human remains“, als menschliche Zeugnisse, australischen Ursprungs identifiziert werden.

In der Nachfrage aus Europa ­ ging es keineswegs nur um Forschungsinteressen. So forderte der Hamburger Kaufmann Cesar Godeffroy von ihm finanzierte Naturforscher auf, Skelette und Schädel von Aborigines nach Deutschland zu schicken. Dies sei „wichtig für die Völkerkunde“. Tatsächlich werden die ­Gebeine zur Handelsware. So verlangt ­Godeffroy in einem Angebotskatalog von 1874 für einen Aborigines-Schädel 600 ­Silbergroschen – und bietet unmittelbar ­daneben ein Fledermausskelett an.

Und das unterstellte wissenschaftliche Interesse? In Deutschland werden die Gebeine aus Australien bald Teil der „Rassen“-Forschung. Auch hier ergeben sich ­Bezüge zu Freiburg: Der Anthropologe Eugen Fischer, fast drei Jahrzehnte für die Sammlung ­verantwortlich, zählte zu den zentralen ­Personen der nationalsozialistischen Rassenideologie.

Die „Rassen“-Debatte beginnt jedoch früher. Dabei werden indigene Australier häufig für eine besonders ­frühe Stufe der Menschheitsentwicklung gehalten. In einer Stellungnahme der Berliner Charité heißt es 2013: „Da man diese Population für vom Aussterben bedroht hielt, waren sterbliche Überreste von indigenen Australiern besonders wertgeschätzte Forschungs- und Sammlungsobjekte. Diese damaligen Vorstellungen sind aus heutiger Sicht völlig ­unhaltbar.“ Es wurden Gräber geplündert, um an Skelette zu kommen – und man glaubt sogar, ­einige Forscher hätten Ureinwohner getötet oder töten lassen.

Anfang der 2000er Jahre beginnt die ­australische Regierung, die Gebeine in die Heimat zurückzuholen. Der Vorstoß hat einen innenpolitischen Hintergrund – es geht um die Klärung der eigenen Geschichte und um die Aussöhnung mit den Aborigines, den australischen Ureinwohnern. Die Nachforschungen ergeben, dass sich seinerzeit in mehr als 50 Einrichtungen in 13 Ländern mehrere Tausend Gebeine ­befinden oder ­befanden. Schweden reagiert als Erstes auf die ­Anfragen. Bis 2008 werden Skelette aus dem Ethnologischen Museum in Stockholm und der Universität in Lund zurückgegeben. Andere Länder folgen – darunter Großbritannien und die USA.

In Deutschland richtet sich das Interesse zuvorderst auf die Sammlung der Berliner Charité. Nach mehr als sechs Jahren meldet man am 26. April 2013 Vollzug: „Die Charité“, heißt es , „hat die Gebeine von 33 indigenen Australiern an eine australische Delegation übergeben. Vertreter der indigenen Australier waren nach Deutschland gekommen, um die ancestral remains in Empfang zu ­nehmen und ,nach Hause‘ zu begleiten.“

Nun will Baden-Württemberg die zehn identifizierten Aborigines-Schädel zurückgeben. Nach Informationen unserer Zeitung im April in Stuttgart. Offiziell bestätigen will dies niemand. An diesem Dienstag steht das Thema auf der ­Tagesordnung des ­Ministerrats.