Deutschland fordert zusammen mit rund 80 Staaten auf der Weltklimakonferenz in Brasilien einen klaren Ausstiegsfahrplan aus der Nutzung von Öl, Gas und Kohle. Wer bremst und wer unterstützt? Und welche Rolle spielen Kanzler Friedrich Merz und sein Rhetorik-Fauxpas in Belém?
Immer noch dicke Freunde? Bundeskanzler Friedrich Merz (li.) trifft am 7. November 2025 bei der Weltklimakonferenz COP30 in Belém Luiz Inacio Lula da Silva, Präsident von Brasilien, zu einem Gespräch.
Von Markus Brauer
Deutschland will – mal wieder – die Welt retten. Oder genauer: Die deutsche Delegation, bestehend aus Offiziellen der Bundesregierung und NGO-Vertretern, bei der Weltklimakonferenz im brasilianischen Belém.
Jene Metropole inmitten des brasilianischen Teil des Amazonas-Regenwalds, dessen Bewohner der Bundeskanzler und oberste teutonische Bekämpfer des globalen Klimawandels, Friedrich Merz, ebendort jüngst desavouiert – also vor der gesamten Weltöffentlichkeit bloßgestellt – hat.
Der Weltklimagipfel und ein irrlichternder Kanzler
Der hochgewachsene Sauerländer hatte am 7. November 2025 an einem Treffen mit anderen Staats- und Regierungschefs in Belém teilgenommen. In seiner Rede einige Tage später hatte er dann wörtlich bei einer Pressekonferenz gesagt:
„Meine Damen und Herren, wir leben in einem der schönsten Länder der Welt (gemeint ist Deutschland – d. Red.). Ich habe einige Journalisten, die mit mir in Brasilien waren, letzte Woche gefragt: Wer von euch würde denn gerne hierbleiben? Da hat keiner die Hand gehoben. Die waren alle froh, dass wir vor allem von diesem Ort, an dem wir da waren (gemeint ist die brasilianische Amazonas-Metropole Belém, d. Red.), in der Nacht von Freitag (14.) auf Samstag (15. November, d. Red.) wieder nach Deutschland zurückgekehrt sind.“
Videoclips von der Äußerung kursieren bereits seit Tagen weltweit in den sozialen Medien. Ein Shitstorm ist die Folge, der sich gewaschen hat. Hier ein (nicht repräsentativer) Überblick:
Merz enaltece Alemanha após viagem a Belém: "Todos ficaram felizes por termos voltado, principalmente por sair daquele lugar." pic.twitter.com/dpRmtgT2Du — DW Brasil (@dw_brasil) November 17, 2025
Merkel hatte in einem recht: Merz kann es einfach nicht. Diese Szene mit seiner Belem-Aussage ist ein kommunikativer Autounfall - hier spricht ein Filialleiter der Sparkasse Hochsauerland, nicht der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. pic.twitter.com/5IZTGnjorb — severin tatarczyk (@stagerbn) November 19, 2025
Die Journalistin am Ende des Beitrags über Merz in Belém: „Ihr solltet euch in Deutschland mehr Sorgen machen mit diesem Kanzler, als wir hier in Brasilien. Das ist euer Problem in Deutschland.“ Außenkanzler, kann er. Wir sind jetzt wieder wer in der Welt. ☝️ pic.twitter.com/6re4452pC0 — DJ P.R. (@djpr) November 19, 2025
Wieder mal peinlich für Deutschland: Bundeskanzler #Merz beleidigt #Belém, wo aktuell die Weltklimakonferenz #cop30 stattfindet. In Brasilien ist es ein riesiges Thema und viele Leute sind empört. Mir gefällt es dagegen sehr gut vor Ort. Ich weiß wirklich nicht, was Merz hat. pic.twitter.com/f1BrHQY7oU — Lisa Badum (@BadumLisa) November 19, 2025
Friedrich Merz beleidigt Brasilien , asiatische Zeitungen berichten über seine unfassbare , als er Journalisten fragte wer denn gerne in Belém bleiben möchte - keiner hob die Hand. Damit wollte Merz Deutschland hervorheben. Kennt er den Zustand unserer Städte? pic.twitter.com/rrw3F1Dig8 — Prof. Carl Leiserfluss ✪ (@CLeiserfluss) November 19, 2025
Öffentlich geäußert. Ich dachte erst, das wäre ein Scherz. Aber nein, er hat es schon wieder getan. Das ist so peinlich, er ist der Kanzler. Bürgermeister von Belém ist on fire❤️ https://t.co/b0s7Xfbcsghttps://t.co/9r5EHlMcJApic.twitter.com/F4EDLjZRU8 — larsfromberlin ♉️ (@larsfromberlin) November 18, 2025
Merz, Belém & sein internationales #Stadtbild Wohlstand, Macht & Peinlichkeit Arrogant, unhöflich, kolonialer Zungenschlag. Stadtbild-Politik wie daheim: Kontrolle statt Respekt, Show statt Substanz. Peinlich. #tmsantillan#merz#friedrichmerz#cop30#Belem#Klimapic.twitter.com/7O5nqUQE7t — Tomas M. Santillan (@tmsantillan) November 19, 2025
“Ele ia perceber que Berlim não oferece 10% da qualidade do Estado do Pará, da cidade de Belém” ️ Durante cerimônia de inauguração de uma ponte nesta terça (18/11), Lula rebateu a fala do primeiro-ministro alemão, Friedrich Merz, que comparou de forma depreciativa o Brasil… pic.twitter.com/Dnksoqa58H — BBC News Brasil (@bbcbrasil) November 18, 2025
Je größer die Probleme zuhause sind, desto derber wird auswärts ausgeteilt
Als ob zuhause nicht schon genug Probleme warteten, welche die amtierende schwarz-rote Bundesregierung nicht (mal im Ansatz) in den Griff bekommt. Aber je größer die eigenen Probleme und je höher die Berge sind, die man für deren Lösung abtragen muss, umso mehr fokussiert man sich auf das noch Unmöglichere: das Weltklima retten.
Aber man kann getrost sein: Weder auf der einen noch auf der anderen Dauerbaustelle wird nachhaltig und ergebnisorientiert gewerkelt. Und schon gar nicht mit einer gemeinsamen Anstrengung oder in einem einzigen radikalen Schritt. So wie einst Alexander der Große, der auf seinem Persienfeldzug den sagenumwobenen Gordischen Knoten mit einem einzigen Schwerthieb durchtrennt haben soll.
Alexander und der Gordische Knoten
Zur Erinnerung: Der griechischen Sage nach sollen kunstvoll verknotete Seile am Streitwagen des phrygischen Königs Gordios befestigt gewesen sein. Sie verbanden die Deichsel des Wagens untrennbar mit dem Zugjoch.
Der Sage nach prophezeite ein Orakel, dass derjenige die Herrschaft über Asien erringen werde, der den Gordischen Knoten lösen könne. Viele kluge und starke Männer versuchten sich an dieser schier unlösbaren Aufgabe, aber keinem gelang es - bis auf den jugendhaften und ungestümen König der Makedonen.
Die antiken Geschichtsschreiber Plutarch und Quintus Curtius Rufus beschreiben, dass im Frühjahr 333 v. Chr. Alexander Magnus auf seinem Zug Richtung Persepolis diesen Knoten einfach mit seinem Schwert durchtrennt und damit seinen Siegeszug durch Asien eingeläutet habe.
Merz und Klingbeil: Das neue deutsch-alexandrinische Traum-Duo?
Werden Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und sein Vize, Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD), zum neuen deutsch-alexandrinischen Traum-Duo des 21. Jahrhunderts?
Das zu erwarten wäre ebenso unhistorisch wie hybrid. Es scheint vielmehr, als ob beide Politiker die Seile, die Deutschlands Energie und Wagemut festzurren, noch stärker verknoten, damit es auch bloß keine Lösungen für dessen multipelexen Probleme geben kann.
Nichtsdestotrotz kämpft Deutschland auf der Weltklimakonferenz (mit einer Verve, die viele im Land bei der eigenen Regierung schmerzlich vermissen) zusammen mit Dutzenden anderen Staaten für einen Fahrplan zur Abkehr von Öl, Gas und Kohle. Vertreter eines breiten Bündnisses aus rund 80 Staaten sind dafür in Belém am Mittwoch (19. November) kurzfristig vor die Weltpresse getreten.
Gut gebrüllt, Herr Minister!
Bundesumweltminister Carsten Schneider erklärte voller Inbrunst: Es gehe darum, sich von fossilen Energieträgern „zu befreien“. Der SPD-Politiker ergänzte: „Wir wollen, dass diese Konferenz die Abkehr von fossilen Brennstoffen auf gerechte und inklusive Weise gestaltet.“
Weiter betonte der Minister, die meisten seiner „europäischen Freunde“ unterstützten den Vorstoß ebenfalls. Ausdrücklich appellierte er an die brasilianische COP30-Präsidentschaft, die Forderung in die Beschluss-Texte aufzunehmen.
Das zweiwöchige Mammuttreffen von rund 200 Staaten endet planmäßig am Freitagabend (20. November) um 22 Uhr (MEZ). Verlängerungen um Stunden oder gar Tage sind aber seit Jahren die Regel.
Abkehr von fossilen Energieträgern bereits beschlossen
Dass die Welt sich von den fossilen Energieträgern verabschieden soll, hatte die UN-Klimakonferenz im Öl- und Gasstaat Dubai bereits vor zwei Jahren beschlossen. Aber konkret mit Zwischenzielen und Fristen ist das nicht hinterlegt.
Das Thema eines Fahrplans hatte dann in Belém überraschend der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva aufgebracht. Unterstützung kam in den vergangenen Tagen unter anderem von Dänemark, Kolumbien, Großbritannien sowie Kenia. Zunächst waren die Forderungen der Gruppe im Detail nicht bekannt.
80 Staaten sitzen im Klima-Klipper
Es seien rund 80 Staaten im Klima-Klipper, heißt es aus Verhandlungskreisen. Darunter sind „CO2-Schwergewichte“ wie die Gruppe von 39 kleinen Inselstaaten (Aosis) sowie eine Gruppe von sieben lateinamerikanischen und karibischen Staaten (Ailac). Neben Kolumbien sind dies Chile, Costa Rica, Guatemala, Honduras, Panama und Peru.
Kenias Klimabotschafter Ali Mohamed konstatierte: „Die Dringlichkeit der Klimakrise lässt keinen Aufschub zu. Die Wissenschaft ist eindeutig, und die Auswirkungen sind jeden Tag zu spüren.“
„Klimasünder“ USA bleibt COP30 fern
Gegen den Plan wehren sich aber unter anderem reiche Golfstaaten wie Saudi-Arabien, die mit Öl und Gas weiterhin viele Hundert Milliarden verdienen, sowie andere, nicht ganz unbedeutende „Klimasünder“ auf diesem (noch) schönen Planeten wie China, Russland oder die USA.
Die Vereinigten Staaten nimmt an der aktuellen UN-Klimakonferenz in Belém nicht teil. Dies ist das erste Mal seit 30 Jahren, dass die größte Industrienation der Welt keine offizielle Delegation entsendet. Berichten zufolge ist dies Teil der Klimaschutzpolitik der aktuellen Regierung unter unter Präsident Donald Trump.
Stürme und Katastrophen auch während der COP30
Tina Stege, Klima-Diplomatin der vom steigenden Meeresspiegel bedrohten Marschall-Inseln, erläutert, die COP30 sei von Super-Taifunen und Hurrikans überschattet, die „unsere Brüder und Schwestern in der Karibik, in Vietnam und auf den Philippinen heimsuchten“. Dies sei nur ein kleiner Teil einer langen Liste von Katastrophen, die mittlerweile zu den täglichen Nachrichten gehörten.
Viele Staaten haben längst schon für sich konkrete Schritte vereinbart. So hat die Europäische Union beschlossen, dass Neuwagen ab 2035 im Betrieb kein klimaschädliches Kohlenstoffdioxid (CO2) mehr ausstoßen dürfen.
EU: Erst Klima-Vorrreiter und jetzt Bremser?
Ob dieses rigorose Verbot angesichts der heftigen wirtschaftlichen Turbulenzen, in denen sich die Staaten des alten Kontinents – und insbesondere die wichtige Automobilindustrie – befinden, künftig weiter verfolgt wird, ist beileibe nicht so sicher wie das Amen in der Kirche.
Das hätte nämlich faktisch zur Folge, dass Neuwagen mit Benzin- und Dieselmotor nicht mehr zugelassen werden dürften. Bereits zugelassene Verbrenner dürften aber weiter unterwegs sein.
Anscheinend haben die Brüsseler Bürokraten angesichts des wachsenden Widerstands in der heimischen Wirtschaft nun kalte Füße bekommen. Die EU-Kommission hatte bereits im März 2025 angekündigt, das 2035-Ziel noch vor Jahresende überprüfen zu wollen.
Ob bis dahin Friedrich Merz Merz noch Kanzler ist? Schau’n mer mal!, wie Deutschlands letzter Kaiser, Franz Beckenbauer (1945-2024), einst sagte (mit dpa/AFP-Agenturmaterial).