Millionen-Nachschlag für Klinikneubau

Land fördert nachträglich 70 ungenehmigte Planbetten in Winnenden – Defizit soll bis 2024 unter zehn Millionen Euro sinken

Als der Bau des neuen Krankenhauses in Winnenden 2008 beschlossen wurde, träumten Landrat Johannes Fuchs und die Kreisräte von satten Gewinnen. Tatsächlich musste der Landkreis seit 2014 jedoch mehr als 100 Millionen Euro drauflegen. Doch nun zeigt sich Licht am Ende des Tunnels: Die Patientenzahlen steigen, das Defizit schrumpft, und jetzt gibt es auch noch ein Zehn-Millionen-Euro-Geschenk vom Land.

Millionen-Nachschlag für Klinikneubau

Der Blick geht nach vorne: Das neue Krankenhaus in Winnenden ist voll ausgelastet, nun plant der Landkreis eine Erweiterung. Auf der rot markierten Fläche soll ein weiterer Bau mit 47 Planbetten entstehen. Foto: Rems-Murr-Kliniken/G. Plessing/

Von Kornelius Fritz

WINNENDEN. In ihrer Euphorie hatten die Verantwortlichen das neue Kreiskrankenhaus in Winnenden einst mit 620 Betten bauen lassen, obwohl das Land lediglich 550 genehmigt hatte. Die übrigen 70 Betten finanzierte der Landkreis auf eigene Rechnung, was nicht nur eine zusätzliche Investition von 27 Millionen Euro bedeutete, sondern auch dazu führte, dass die erbrachten Leistungen nur mit Abschlägen abgerechnet werden konnten. „Das war ein Fehler“, sagt Richard Sigel heute klipp und klar. Seit seinem Amtsantritt vor vier Jahren hat der Landrat deshalb alle Hebel in Bewegung gesetzt, damit die „wilden Betten“ noch nachträglich bezuschusst werden.

Einen ersten Erfolg hat er dabei schon vor einem Jahr verbucht: Damals genehmigte der Landeskrankenhausausschuss den Rems-Murr-Kliniken insgesamt 117 zusätzliche Planbetten. Jetzt konnte Sigel eine weitere positive Nachricht verkünden: Nach intensiven Verhandlungen habe das Sozialministerium nachträglich auch noch seinen Zuschuss zum Klinikneubau um 9,85 Millionen Euro erhöht. „Das war keine Selbstverständlichkeit, sondern ein großes Zugeständnis vom Land“, betonte Sigel. Normalerweise gebe es nämlich keine Förderung für bereits abgeschlossene Bauprojekte.

Patientenzahlen seit 2014 um 24 Prozent gestiegen

Für den Landrat steht fest, dass das Geld aus Stuttgart nur deshalb geflossen ist, weil man ein zukunftsfähiges Konzept für die Rems-Murr-Kliniken mit den beiden Standorten Winnenden und Schorndorf vorweisen konnte. Mit der 2017 vom Kreistag beschlossenen Medizinkonzeption habe man eine Wende eingeleitet: „Wir haben gezeigt, dass wir liefern“, erklärte Sigel. Klinikchef Marc Nickel belegte das auch mit Zahlen: So sei die Zahl der Patienten seit 2014 um 24 Prozent auf knapp 50000 Behandlungsfälle pro Jahr gesteigert worden. Die erbrachten Leistungen stiegen sogar um 35 Prozent, weil immer mehr „schwere Fälle“ nach Winnenden kommen.

Die positive Entwicklung schlägt sich auch bei den Finanzen nieder. Das Minus im operativen Ergebnis ist seit der Eröffnung von 17,4 auf zuletzt 2 Millionen Euro gesunken, dieses Jahr peilen die Rems-Murr-Kliniken laut Nickel sogar einen operativen Gewinn von 2 Millionen Euro an. Aufgrund von Abschreibungen und Zinsen in Höhe von rund
18 Millionen Euro bleiben die Kliniken für den Landkreis allerdings trotzdem vorerst ein Zuschussgeschäft.

„Unser Ziel ist es, das Defizit in einen Korridor unter zehn Millionen pro Jahr zu führen“, erklärte Sigel. Wenn sich die positive Entwicklung fortsetze, könne dies bereits in fünf Jahren erreicht werden. Auch eine „echte schwarze Null“ hält der Landrat im Bereich des Möglichen, will aber nichts versprechen.

Klar ist für die Verantwortlichen aber auch, dass sich die Ziele nicht nur mit Sparen erreichen lassen. „Wir müssen auch investieren und uns an beiden Standorten baulich weiterentwickeln“, erklärte Marc Nickel. In Winnenden plant der Klinikchef neben einem neuen Parkhaus auch einen weiteren Bettenbau, der mindestens 20 Millionen Euro kosten soll. 47 Planbetten sind dafür bereits genehmigt, auch der Investitionskostenzuschuss vom Land sei „zu 99 Prozent sicher“, erklärte Sigel. Allerdings betonte der Landrat, dass man diesmal erst mit dem Bau beginnen werde, wenn die Kostenzusage aus Stuttgart schriftlich vorliege: „Wir werden den gleichen Fehler nicht noch mal machen.“

Nach Jahren, in denen sie vor allem mit der Aufarbeitung der Vergangenheit beschäftigt waren, sind Sigel und Nickel froh, dass sie den Blick nun nach vorne richten können. Denn noch ist längst nicht alles perfekt: So will der Klinikchef etwa die Patientenaufnahme verbessern, die Zusammenarbeit zwischen Winnenden und Schorndorf ausbauen und eine neue Pflegekonzeption umsetzen. Einen unerwarteten Ritterschlag gab es aber schon jetzt vom Magazin „Focus“: Laut dessen „Deutschland-Test“ sollen die Rems-Murr-Kliniken nämlich zu den zehn Kliniken mit der besten Reputation in ganz Deutschland gehören.

Kommentar
Der Patient lebt

Von Kornelius Fritz

Bei der Planung des Rems-Murr-Klinikums in Winnenden ist eine Menge schief gelaufen. Das Krankenhaus wurde viel zu teuer gebaut, die Finanzierung fußte auf unrealistischen Annahmen, an eine mögliche Erweiterung hat offenbar keiner gedacht. Auch im Klinikalltag hat vieles zunächst nicht gepasst: Die Notaufnahme erwies sich als Fehlplanung, was zu unzumutbaren Wartezeiten führte, und bei der Essensversorgung stellte sich heraus, dass die teuer angeschafften Induktionsgeräte gar nicht geeignet waren, um gefrorene Gerichte zu erhitzen – was für ein Schildbürgerstreich!

Landrat Richard Sigel und dem heutigen Klinikchef Marc Nickel kann man das alles nicht vorwerfen. Beide haben erst übernommen, nachdem das Kind bereits in den Brunnen gefallen war. Ihr Einsatz als Krisenmanager scheint nun aber Früchte zu tragen: Zwar musste der Landkreis auch 2018 noch fast 19 Millionen Euro zuschießen, um sein Klinikum am Leben zu erhalten. Steigende Fallzahlen und eine hohe Auslastung zeigen aber, dass die Menschen im Rems-Murr-Kreis ihr neues Krankenhaus inzwischen annehmen. Das honoriert nun auch das Land mit der nachträglichen Förderung der einst ohne Genehmigung gebauten Betten. Der Patient Klinikum lebt also; bis er auch finanziell wieder ganz gesund wird, ist es aber noch ein weiter Weg.

k.fritz@bkz.de

Info
Kreisräte reagieren mit Freude und Mahnungen

Mit Freude und Erleichterung haben die Kreisräte gestern bei ihrer Sitzung in Auenwald die gute Nachricht aufgenommen.

Für die CDU erinnerte der Winnender Oberbürgermeister Hartmut Holzwarth an den „kommunalpolitischen Drahtseilakt“,70 ungenehmigte Betten zu bauen. Dieser sei nun gemeistert, man könne aufatmen.

Die Nachförderung sei, so der Backnanger Heinz Franke (SPD), „die Anerkennung eines unverzichtbaren Bedarfs“. Gleichzeitig mahnte er, ein besonderes Augenmerk auf die Klinikmitarbeiter zu richten.

Der Waiblinger OB Andreas Hesky (Freie Wähler) sprach von einer Sensation: „Dass man so etwas noch erleben darf!“ Mit der Nachförderung werde viel repariert, was an Vertrauen verloren gegangen sei.

Der Fellbacher Ulrich Lenk (FDP/FW) pries, dass in diesem Jahr Weihnachts- und Ostergeschenke auf einmal verteilt würden. Das runde die insgesamt positive Entwicklung des Rems-Murr-Kreises ab.

Der Murrhardter Bernd Messinger (Bündnis 90/Die Grünen) erwartet einen deutlichen Rückgang der Kreiszuschüsse für die Kliniken. Diese sollen dank besserer Wirtschaftlichkeit mehr Pflegepersonal einstellen.

Ulrich Bußler (AfD/Unabhängige), Schorndorf, warnte vor finanziellen Abenteuern und mahnte für die Erweiterung den Primat des wirtschaftlich Machbaren gegenüber dem medizinisch Wünschenswerten an.

Auf Nachfrage des Backnangers Gernot Gruber (SPD) bezifferte Klinikchef Nickel den Schuldenstand auf 200 Millionen Euro.