Neuer Minister Bayaz wegen Schulden in Kritik

Von Von Henning Otte, dpa

dpa/lsw Stuttgart. Nach Hermann Hesse wohnt ja jedem Anfang ein Zauber inne. Doch die Premiere des neuen Finanzministers Bayaz hat die Opposition gleich mal für einen Frontalangriff genutzt. Sie sieht in seinem ersten Etat eher faulen Zauber.

Neuer Minister Bayaz wegen Schulden in Kritik

Danyal Bayaz (Bündnis 90/Die Grünen), Finanzminister von Baden-Württemberg, lächelt. Foto: Marijan Murat/dpa

Es ist ein krasser Rollenwechsel. Im Bundestag konnte sich der Grüne Danyal Bayaz an Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) abarbeiten. Im Landtag muss der neue Finanzminister von Winfrieds Kretschmanns Gnaden nun selbst liefern. Am Mittwochmorgen um genau 10.17 Uhr ist es soweit: Der neue Hoffnungsträger der Südwest-Grünen tritt ans Rednerpult, um den Nachtragshaushalt vorzustellen. Der 37-Jährige macht das souverän, hält sich aber weitgehend an sein Manuskript. Ihm ist anzumerken, dass er bei seinem ersten großen Auftritt im Parlament keine zusätzliche Angriffsfläche bieten möchte - denn der Nachtrag bietet welche und das weiß der Neuling in der baden-württembergischen Landespolitik auch.

Wirft Grün-Schwarz ein „Deckmäntelchen“ über seine neue Schulden?

In gerade mal 18 Minuten leitet der Ex-Unternehmensberater her, warum Grüne und CDU nicht umhin kämen, über eine Ausnahmeregel bei der Schuldenbremse neue Kredite in Höhe von 1,2 Milliarden Euro aufzunehmen. „Wir sind noch nicht durch diese Pandemie“, heißt seine zentrale Botschaft. „Dieses Virus ist tückisch, ja es ist sogar heimtückisch.“ Es wäre fahrlässig, sich finanziell nicht auf neue Verwerfungen durch das Coronavirus vorzubereiten. So weit, so Konsens im Landtag. Uneinigkeit herrscht aber in der Frage, wo das Geld für diese Risikovorsorge herkommen soll. Die Opposition argwöhnt, die Koalition wolle unter dem „Deckmäntelchen“ von Corona noch mehr Geld bunkern, um im nächsten Jahr strahlend einen schuldenfreien Haushalt präsentieren zu können.

Auch Rechnungsprüfer und Bund der Steuerzahler bohren nach

Und mit dieser Vermutung sind SPD, FDP und AfD nicht allein. Auch der Landesrechnungshof und der Bund der Steuerzahler stellen bohrende Fragen nach Resten und nicht genutzten Verschuldungsrechten im Haushalt. Stein des Anstoßes ist, dass Kretschmann und Co. am Freitagabend Eckpunkte für einen Haushalt 2022 ohne neue Schulden vereinbart haben. In der Vorlage des Finanzministeriums steht, dass man zur Deckung der Haushaltslücke von 3,6 Milliarden Euro allein 2,6 Milliarden Euro an Überschüssen aus dem Etat 2020 nutzen will. Das ruft die Opposition auf den Plan. „Verwenden Sie das Geld, das Sie in den Kassen haben und geben Sie nicht den Schulden freien Lauf“, ruft SPD-Fraktionschef Andreas Stoch der Koalition zu.

„Schlank und schlagkräftig“ finden Grüne und CDU den Etat

Bayaz hätte erklären können, warum das aus seiner Sicht nicht geht. Doch da ist die denkwürdige Debatte schon fast vorbei, der Grüne verzichtet auf einen zweiten Auftritt. Die erste Lesung endet nach einer Rederunde. Nach Bayaz kommen Andreas Schwarz und Manuel Hagel nacheinander in die Bütt, die beiden Fraktionschefs von Grünen und CDU, verteidigen den Haushalt gegen die schon erwartete Kritik der Opposition. „Schlank und schlagkräftig“ sei der Etat, lobt Schwarz. Erst danach folgen Stoch, FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke und der AfD-Mann Rainer Podeswa. Sie wollen Grünen und CDU so richtig einheizen. Doch die lassen sich nicht provozieren - bis auf einmal.

Stoch und Rülke nehmen Grün-Schwarz in die Zange

Vor allem Stoch und Rülke, die noch vor dreieinhalb Monaten auf eine Ampel-Koalition mit den Grünen hofften, fahren schweres Geschütz auf. Der Nachtrag sei ein „Blankoscheck für das letzte Kabinett Winfried Kretschmann“, schimpft der SPD-Fraktionschef. Sich Speck anzufuttern, um ohne Schulden über das nächste Jahr zu kommen, sei falsch. „So handeln Eichhörnchen, aber keine schwäbische Hausfrau.“ Und obwohl Geld reichlich vorhanden sei, schaffe es Grün-Schwarz nicht, für ein „krisensicheres Klassenzimmer“ im Herbst zu sorgen. Rülke kann sich bei Stochs Ausführungen ein Grinsen nicht verkneifen.

Knapp eine Stunde nach Bayaz ist der FDP-Mann dran. Wie ein Bulldozer walzt er den Haushaltsentwurf nieder. Die Schuldenlast steige im Doppelhaushalt 2020/2021 um ein Drittel von 45 Milliarden auf 60 Milliarden Euro. „Ob gute oder schlechte Zeiten, Kretschmann hat Geld wie Heu“, höhnt er. Der Grüne lege Förderprogramme auf und blähe den Apparat auf. „Sie haben angefangen bei einer Schuldenbremse und sind jetzt beim Schuldenturbo.“

FDP-Mann provoziert mit „Volkssturm“-Vergleich

Und dann widmet er sich erneut den zusätzlichen Staatssekretären, die sich Grün-Schwarz genehmigt hat. „Sie haben bei den Staatssekretären eine Megahydra entwickelt. Wenn ein Kopf abgeschlagen wird, wachsen vier Köpfe nach.“ Im Innenministerium seien sämtliche Staatssekretäre „reaktivierte Rentner.“ Innenminister Thomas Strobl (CDU) finde wohl sonst niemanden, meint Rülke. „Deshalb ist es notwendig, im Innenministerium eine Art Staatssekretärs-Volkssturm auf die Beine zu stellen.“ Aufschrei bei den Grünen. Uli Sckerl, parlamentarischer Geschäftsführer, ruft: „Volkssturm ist ein Begriff aus dem Nationalsozialismus.“ Rülke solle sich entschuldigen, fordert Fraktionschef Schwarz. Der FDP-Mann lässt es so stehen. Es folgt Podeswa für die AfD.

Nach 79 Minuten ist die aufgeheizte Debatte vorbei. Bayaz hätte noch erklären können, dass es sich bei dem Überschuss von 2,6 Milliarden Euro im Haushalt 2020 um eine „vorläufige aktuelle Prognose“ handelt. Hier seien noch finale Beratungen mit den Fachressorts nötig, um zu klären, in welcher Höhe Ausgabereste auf 2022 übertragen werden können, heißt es aus seinem Ministerium. Doch wenn Rülke „politisches Kabarett“ biete, lohne es nicht, darauf zu reagieren. Der FDP-Mann attestiert Bayaz bei dessen Premiere, er sei nur der „Notar der Verschwendungssucht“ der grün-schwarzen Koalition. Der junge Minister hat da sicher eine andere Rolle vor Augen.

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