Strategiedialog Automobilwirtschaft

Mit aller Geschlossenheit gegen ein zu frühes Verbrenner-Aus

Kanzler, Ministerpräsident und Automobilwirtschaft in Baden-Württemberg sind sich einig: Die EU-Kommission muss am 10. Dezember mehr Flexibilität bei der Antriebstechnologie zulassen.

Mit aller Geschlossenheit gegen ein zu frühes Verbrenner-Aus

Gemeinsames Ziel: Mercedes-Chef Ola Källenius, Kanzler Friedrich Merz, Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Porsche-Chef Oliver Blume (von links).

Von Matthias Schiermeyer

Johannesburg, Luanda, Hamburg, Berlin, Stuttgart: Kanzler Friedrich Merz hat diese Woche einen hochkarätigen und dichten Terminkalender abzuarbeiten. Seine Visite beim Strategiedialog Automobilwirtschaft, zu dem er am Mittwochnachmittag einfliegt, unterstreicht die Bedeutung des Treffens auf dem Stuttgarter Messegelände, auch wenn dort keine Beschlüsse gefasst werden.

So hochrangig besetzt wie zur neunten Auflage war die Veranstaltung bisher noch nicht. Vertreten ist, was Rang und Namen hat in der Automobilbranche des Landes: allen voran die Vorstandschefs Ola Källenius (Mercedes), Oliver Blume (Porsche/VW) oder auch Stefan Hartung (Bosch), zudem das halbe Landeskabinett, angeführt von Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Selbst Verbandsführer geraten bei so viel Prominenz in den Hintergrund.

CEO’s als Vorzeigeverkäufer ihrer Marken

Kretschmann lässt sich quasi im Vorprogramm des auf eineinhalb Stunden angesetzten sogenannten „Top-Level-Meetings“ von den Anführern der Automobilindustrie die vor der Messe postierten brandneuen Flaggschiffe demonstrieren. Källenius & Co. werben vollmundig wie Vorzeigeverkäufer ihrer Marken: etwa für den GLC 400 von Mercedes, den gerade erst präsentierten Porsche Cayenne oder einen Audi A6, allesamt elektrisch angetrieben, versteht sich.

„Es mag ungewöhnlich sein, dass der Bundeskanzler an einer Veranstaltung eines Bundeslandes teilnimmt“, sagt Merz nach dem zweistündigen „Top-Level-Meeting“. Aber kein zweites Bundesland sei so sehr mit der Automobilindustrie verbunden wie Baden-Württemberg. Er möchte, „dass wir einen rasanten technologischen Transfer bestehen und wieder wettbewerbsfähig werden, wo wir zum Teil aus eigenem Verschulden die Wettbewerbsfähigkeit verloren haben.“ Um die Herausforderung „dieser sogenannten Mobilitätswende“ zu schaffen, „werden wir uns in den nächsten Wochen und Monaten gewaltig anstrengen müssen“.

Dass auch der EU-Kommissar für Industriestrategie und Kommissions-Vizepräsident, Stéphane Séjourné, dabei ist, zeigt, um was es an diesem Nachmittag geht: Politik und Automobilindustrie wollen ein Zeichen der Geschlossenheit gen Brüssel senden. Im Visier haben sie den 10. Dezember, ein Schlüsseldatum für die Branche. Dann könnte die EU-Kommission unter Ursula von der Leyen eine Kehrtwende einleiten.

Nur einmal fällt das Wort vom „Verbrenner-Aus“

Am Donnerstagabend werde darüber noch einmal in der Koalition beraten, sagt Merz. „Und ich werde im unmittelbaren Nachgang der Kommissionspräsidentin und dem Ratspräsidenten einen Brief schreiben mit der deutschen Position.“ Er wolle den Details nicht vorgreifen, „aber wir werden nicht hinter die Position der Ministerpräsidentenkonferenz von Ende September zurückgehen“. Mit Blick auf die um ihre Arbeitsplätze kämpfenden Beschäftigten beispielsweise von Bosch sagt der Kanzler: „Wir hören die Besorgnis der Belegschaften und sind genau aus diesem Grunde heute hier: Wir sind mit der EU-Kommission im Gespräch, um das zu ermöglichen, was wir gemeinsam wollen, nämlich gute Arbeitsplätze in dieser Automobilindustrie.“

Die Einzige, die vor den Medienvertretern das Schlüsselwort in den Mund nimmt, ist Nicole Hoffmeister-Kraut – sie freue sich, „dass es jetzt tatsächlich zu Änderungen kommen soll: Rücknahme des faktischen Verbrenner-Aus und die gleichberechtigte Anerkennung von Hybridantrieben, aber auch von E-Fuels und Biokraftstoffen, um Technologieoffenheit zu ermöglichen“, bekennt die CDU-Wirtschaftsministerin.

EU-Kommissar verspricht sehr viel Pragmatismus

Der Ministerpräsident dringt ebenso ein weiteres Mal darauf, „dass alle technologischen Optionen offen gehalten werden“. Aber es geht um mehr – etwa um eine von der IG Metall eingebrachte „Local-content-Strategie“, mit der Wertschöpfung in Europa gehalten werden soll. Speziell die Chinesen sollen damit eingehegt werden. „Wenn andere die Spielregeln des Freihandels eklatant verletzen und Kernindustrien von uns in Gefahr geraten, dann müssen wir uns auch wehren“, betont Kretschmann. Dies könne man aber nicht „mit der Kettensäge“ machen – dafür brauche es das Skalpell. Insgesamt zeigt er sich hocherfreut: „Ich konnte an keinem Punkt irgendwelche spürbaren Differenzen feststellen – das ist das Wichtigste.“

Selbst der EU-Kommissar Séjourné mag da nicht hintanstehen und sagt voraus: „Wir werden sehr viel Pragmatismus an den Tag legen und wenig Ideologie.“ Ins Detail geht er nicht, verspricht aber Großes: „Wir sind auf dem Weg, einen neuen europäischen Konsens in der Industriepolitik zu finden.“