Mit dem Rad für eine bessere Welt unterwegs

Der Backnanger Martin Hübler sammelt mit seiner Radfahrt „Muskathlon“ Gelder für einen Verein, der sich gegen Zwangsarbeit und Sklaverei einsetzt

Der geübte Langstreckenradfahrer Martin Hübler aus Backnang ist Teil des Projekts „Muskathlon“ der Organisation IJM. Die Spenden kommen Opfern von Zwangsarbeit, Sklaverei und schwersten Menschenrechtsverletzungen in Rumänien zugute. 120 Kilometer will Hübler zurücklegen und zugleich auf Missstände aufmerksam machen.

Mit dem Rad für eine bessere Welt unterwegs

120 Kilometer mit dem Rad zurückzulegen, ist für Martin Hübler kein Problem. Foto: J. Fiedler

Von Renate Schweizer

BACKNANG. Sklaverei – bei diesem Begriff denkt man an die endlosen Baumwollplantagen der US-Südstaaten, an das 19. Jahrhundert, an dunkelhäutige Menschen, die von den Peitschen der Aufseher angetrieben unter der unbarmherzigen Sonne arbeiten müssen. Schlimm, aber weit weg das alles, sowohl geografisch als auch zeitlich. „Das ging mir ganz genau so“, erzählt Martin Hübler, „bis ich mit dem Fahrrad durch Oklahoma geradelt bin, wo der Horizont so flach und weit ist, dass du die Erdkrümmung sehen kannst. Ich war in Untergruppenbach aufgebrochen, über den Bodensee und die Alpen nach Genua gestrampelt, mit dem Containerschiff übergesetzt und dann quer durch die USA auf dem Weg nach San Francisco. Ich hatte schon Tausende Kilometer hinter mir und da in Oklahoma, in dieser endlosen Weite hinter den Appalachen, begriff ich, dass ich frei bin. Und Freiheit war so viel mehr als bloß Machen-können-was-man-will, es war was ganz Existenzielles, es war Leichtigkeit und es war Glück und es war echt.“

Hübler kommt in Fahrt beim Erzählen und obwohl das Gespräch aufgrund der aktuellen Lage nur telefonisch stattfinden kann, entstehen sofort Bilder im Kopf: riesiger Himmel und das endlose Asphaltband der Straße und ein einsamer Mann auf dem Rad. Einsam? Das war die Ausnahme, berichtet der Backnanger. „Egal wo ich hinkam, auch in Europa schon: Die Menschen waren unglaublich freundlich. Ich wurde zum Essen eingeladen, ich durfte in Gästezimmern übernachten, ich bekam die Dinge geschenkt, die ich brauchte: Socken und Schnur, T-Shirts und Schuhe und mehr. Es war überwältigend.“

Wer über Sklaverei nachdenkt, landet schnell vor der eigenen Tür

Nach neun Monaten des Unterwegs-seins kam Martin Hübler zurück und änderte sein Leben: Er gab seinen Job in der Autoindustrie auf und heuerte bei einer Firma an, die unter anderem Beatmungsgeräte herstellt, er wurde Vater und er begann, zu lernen. Lernen, was Freiheit ist und was ihr Gegenteil: Sklaverei. „Wenn man es freiwillig niemals machen würde und Gewalt im Spiel ist, dann ist es Sklaverei.“ Und wenn man anfängt, über moderne Sklaverei nachzudenken, ist man ganz schnell bei der Zwangsprostitution, bei jungen Frauen, die im Osten „gekauft“ werden und bei uns auf dem Strich und in den Bordellen landen. Und dann ist man ganz schnell vor der eigenen Haustür. „Und ganz schnell an dem Punkt, an dem man zu viel weiß, um nichts zu tun“, so Hübler.

Hübler fand eine Organisation, die für sein Anliegen quasi maßgeschneidert war: IJM heißt sie, die Großbuchstaben stehen für International Justice Mission – ein Zusammenschluss international tätiger Anwälte, die sich um die Opfer von Zwangsarbeit, Sklaverei und schwersten Menschenrechtsverletzungen kümmern. Anwälte für die Freiheit nennen sie sich. Das kostet Geld. Dafür will Hübler Spenden sammeln und zwar mit einer besonderen Art des „Spendenlaufs“, dem Muskathlon: Einer Kombination von sportlicher Herausforderung und Information vor Ort. Im September soll’s losgehen, Hübler hofft natürlich sehr, dass man bis dahin wieder reisen kann. Sein Ziel: Rumänien. „Wir werden eine Woche dort sein, mit Betroffenen sprechen, mit Müttern, Vätern, Sozialarbeitern, Polizisten und Prostituierten – und damit das Ganze Eventcharakter bekommt, gibt es zum Schluss einen Wettbewerb. Man konnte sich aussuchen, ob man läuft oder Fahrrad fährt und ich hab mich natürlich fürs Fahrradfahren entschieden.“ 120 Kilometer wird er radeln – kein Riesending für den bewährten Langstreckenradler –, aber darum geht es ja gar nicht. Es geht um die Aufmerksamkeit, das Sichtbar-machen der vermeintlich Unsichtbaren, um Wertschätzung – und eben um Geld.

„Es geht mir gut. Zeit, was zurückzugeben“

„Die Reise bezahle ich selbst – alle Spenden kommen nach Rumänien. Es ist ja nicht so, dass es dort keine Gesetze gegen die Zwangsprostitution gibt, die gibt es – aber viel zu oft werden sie nicht durchgesetzt. Der Polizei fehlt die technische Ausrüstung, Schulung, Kameras und manchmal auch der Mut, gegen mafiöse Strukturen vorzugehen.“ Hübler verstummt. Man spürt, wie sehr ihn die Sache bewegt. „Zwangsprostitution ist ein unangenehmes Thema“, sagt er dann. „Man sieht es nicht, man will es gar nicht wissen, aber es ist da und ganz in der Nähe.“ Und nach Corona, aber das sagt er nicht, wird die Not größer sein und die Sexsklaverei womöglich noch zunehmen.

„Ich bin wie angezündet von meiner Reise zurückgekommen. Ich bin Vater geworden. Es geht mir gut. Zeit, was zurückzugeben. Zeit, was zu tun.“

Wer Martin Hübler unterstützen, mehr über das Projekt „Muskathlon“ wissen oder spenden möchte, kann das über folgende Internetseite tun: http://www.muskathlon.com/de-de/teil nehmer/2907/martin-huebler.html