Dozentin Halina Strokol und ihr Polnischkurs treffen sich im Pavillon am Max-Born-Gymnasium. Foto: Alexander Becher
Von Kai Wieland
Backnang. „Hei! Jeg heter Kai og jeg snakker litt norsk.“ Sätze wie dieser gehören zu den ersten Meilensteinen beim Erlernen einer neuen Sprache und beflügeln den Sprecher, der plötzlich fremde Laute aus dem eigenen Mund kommen hört und sogar ihren Sinn erfassen kann. Ob es sich wie hier um das Grundmodul Norwegisch an der Universität handelt, um den Volkshochschulkurs Arabisch oder Polnisch oder um die ersten Lektionen einer Lern-App, das Gefühl des Aufbruchs ist stets dasselbe – oft gefolgt vom ersten Frust angesichts grammatikalischer Unwägbarkeiten oder einer unmöglich erscheinenden Aussprache.
„Am Anfang fühlt man sich schon wie eine Kuh beim Eislaufen“, gesteht Heinz Gerwald, der an der Volkshochschule Backnang seit rund fünf Jahren Polnisch lernt. Gemeinsam mit drei weiteren Lernwilligen sitzt der ehemalige Lehrer in einem Klassenzimmer im Pavillon neben dem Max-Born-Gymnasium und lauscht der im oberschlesischen Zabrze geborenen Halina Strokol, die gerade ein Gedicht vorträgt, das sich später als Schlaflied entpuppt. Auch die Teilnehmer versuchen sich an den Zeilen. „Es soll ihnen helfen, in die Aussprache hineinzufinden“, erklärt die Dozentin.
Anschließend werden die Hausaufgaben abgefragt – ein heikler Moment wie eh und je, aber Halina Strokol nimmt die durchschnittliche Ausbeute mit Humor. Überhaupt wird in der Gruppe viel gescherzt und gelacht, ehe es für Friedrich Beyer aus Backnang ernst wird. Er soll sich die Kreide schnappen und polnische Beispielsätze für unterschiedliche grammatische Fälle, von denen es im Polnischen anders als im Deutschen gleich sieben gibt, an die Tafel schreiben. Dann werden diese decodiert, also Wort für Wort übersetzt, ohne dabei die Satzstellung zu verändern. „Nie lubię ciepłego piwa“, steht dann dort, und darunter: „Nicht mag warmes Bier.“ Das helfe dabei, sich die polnischen Satzstrukturen besser einzuprägen, sagt Halina Strokol, die auf diese Weise auch ein wenig vom eher trockenen Unterrichtsbuch wegzukommen versucht.
Am Vokativ scheiden sich dann aber die Geister. Friedrich Beyer glaubt von seiner polnischen Lebensgefährtin zu wissen, dass dieser in der Praxis nicht mehr verwendet werde, aber die Dozentin bleibt unerbittlich. Ob er seinen Satz eigentlich mithilfe von Google geschrieben habe? „Beim Vokativ hilft dir Google nix“, erwidert Friedrich Beyer bestimmt.
Die Gründe für das Lernen sind unterschiedlich
Während in Polen umgekehrt viele Menschen Deutsch lernen, entscheidet sich hierzulande das Gros der Bevölkerung für das Erlernen der englischen oder einer romanischen Sprache, entweder schon während der Schulzeit oder zu einem späteren Zeitpunkt im Leben. Der Blick auf das Sprachangebot der Volkshochschule Backnang für das laufende Semester verdeutlicht das: Den 17 Englischkursen und jeweils sechs Französisch-, Italienisch- und Spanischkursen stehen lediglich je ein Kurs in Schwedisch, Polnisch, Kroatisch und Chinesisch sowie zwei Kurse in Japanisch gegenüber, ein geplanter Ungarischkurs wurde abgesagt. Besonders häufig wird übrigens sowohl an der Volkshochschule (30 Kurse) als auch auf Apps wie Babbel (Platz 4, Stand 2020) Deutsch als Fremdsprache gelernt.
Die Argumente für die Big Three, also Englisch, Französisch und Spanisch, sind bekannt: Es handelt sich um Sprachen, die große Teile der westlichen Welt erschließen, berufliche Perspektiven eröffnen, das Reisen erleichtern und zudem relativ niedrigschwellig zu lernen sind, da ihr Klang vertraut ist und die Schrift im Wesentlichen der deutschen entspricht. Was motiviert also Menschen dazu, stattdessen Polnisch, Arabisch oder Koreanisch zu lernen?
Nadia Haider aus Waiblingen lebt seit 1998 in Deutschland und unterrichtet seit 2001 Arabisch an der Volkshochschule, damals noch in Schorndorf, mittlerweile in Fellbach. Das Interesse an ihren Sprachkursen sei keinem klaren Trend unterworfen, sondern hänge stark von den Umständen ab, erklärt die gebürtige Irakerin. „Die Anzahl betrug in all diesen Jahren nicht weniger als vier Teilnehmer und überstieg 14 Teilnehmer in einem Kurs nicht.“ Da zuletzt mehr Menschen aus dem arabischen Raum zugewandert seien, spüre man aber doch verstärkt den Wunsch oder die Notwendigkeit, sich mit diesen auseinanderzusetzen, sei es auf der Arbeitsebene oder auf der sozialen Ebene.
Den typischen Schüler gebe es indessen nicht, dafür seien die Gründe für das Lernen zu unterschiedlich, versichert Nadia Haider. „Wir finden unter den Teilnehmern junge Menschen, ältere Menschen und sogar Kinder arabischer Abstammung, welche das Lesen und Schreiben auf Arabisch lernen wollen.“ Oft stehe aber auch das Interesse an einer anderen Kultur im Vordergrund. So erwögen viele derjenigen, die sich letztlich für Arabisch entschieden, zuvor alternativ das Erlernen anderer nicht lateinischer Sprachen wie Chinesisch oder Japanisch.
Vom Interesse an der Kultur hin zur Begeisterung für Sprache
Ähnlich dürfte es bei Leonie Wagner gewesen sein. Ihre Faszination für die koreanische Kultur entwickelte sich durch Serien und Musik. Daraufhin absolvierte sie zunächst einen Koreanischkurs an der Volkshochschule Stuttgart, mittlerweile vertieft sie ihre Kenntnisse durch das Masterstudium im Bereich Transcultural Studies in Heidelberg. „Das koreanische Alphabet besteht heutzutage aus nur 24 Buchstaben, die es ermöglichen, innerhalb von nur einem Tag das Lesen zu erlernen“, erklärt Leonie Wagner. „Die ersten Lernschritte führen demnach schnell zu einem Erfolgserlebnis.“
Auch im Polnischkurs der VHS Backnang ist das Interesse am Land das Leitmotiv. „Ich würde sehr gerne einmal hinfahren und die Gegend kennenlernen“, sagt Barbara Krüger, deren Familie aus Polen, konkret: aus der ehemaligen Provinz Westpreußen stammt. „Außerdem klingt die Sprache einfach sehr schön.“ Dass sie bereits etwas Russisch spricht, helfe ihr beim Lernen der polnischen Sprache entgegen der landläufigen Vorstellung allerdings nur wenig.
Das Interesse an Sprachen und anderen Kulturen scheint alle Lernenden zu verbinden. „Ich habe immer gerne Sprachen gelernt und auch schon einige andere angefangen“, erzählt Ralf Kleinpeter, der vierte Polnischschüler im Bunde. Und auch Leonie Wagner kam neben ihrer Muttersprache Deutsch und den Schulsprachen Englisch, Spanisch und Französisch bereits mit einer weiteren, weniger gängigen Sprache in Kontakt, nämlich dem Tibetischen.
Schwierig wird es bei der Grammatik und beim Sprechen
Während sich beim Lesen im Koreanischen schnell Fortschritte einstellen, folgten aber auch bald die ersten Hürden, erzählt die Aspacherin: „Herausforderungen stellen sich in der Grammatik, denn koreanische Grammatikregeln werden durch Suffixe angezeigt, was bedeutet, dass schon ein einzelner veränderter Buchstabe am Ende eines Wortes die Zeit, den Bezug oder die Bedeutung des Wortes oder Satzes ändern kann. Lesen und Schreiben sind daher einfacher als Hören und Sprechen.“
Das kann Nadia Haider auch für das Erlernen der arabischen Sprache bestätigen. „Die meisten Rückmeldungen auf die Kurse sind positiv, vor allem in der Anfangsphase, bevor die Grammatikschwierigkeiten beginnen“, erzählt sie. „Manche Schüler erwarten fälschlicherweise, die Sprache schnell in einem Kurs zu lernen.“
Das Erlernen von Sprachen ist und bleibt eben eine Geduldfrage. Aber umso schöner ist es, wenn es am Ende heißt: „Sehr gut!“ Oder eben: „Veldig godt!“