„Müllberg aus Dornröschenschlaf gerissen“

40 Prozent der alten Deponie Steinbach sind bereits neu abgedichtet – Schutz seltener Tiere kommt eine große Bedeutung zu

Die Oberfläche des alten Teils der Deponie Steinbach wird derzeit neu abgedichtet. Etwa 40 Prozent der 6,5 Hektar großen Fläche sind bereits fertig. Vertreter von Behörden und Ingenieurbüros machten sich jetzt ein Bild von den aufwendigen Bauarbeiten, bei denen das Thema Artenschutz großgeschrieben wird. Der erste Bauabschnitt soll in einem Jahr abgeschlossen sein.

„Müllberg aus Dornröschenschlaf gerissen“

Die Oberfläche der stillgelegten Deponie Steinbach wird abgedichtet: Der Bereich links ist noch unmodelliert, in der Mitte bereits mit Füllmaterial aufgefüllt und teilweise mit Kunststoffdichtungsbahnen versehen und rechts mit einer bis zu 2,50 Meter mächtigen Rekultivierungsschicht. Fotos: A. Becher

Von Florian Muhl

BACKNANG. Längst ruhte der alte Teil der Hausmülldeponie Backnang-Steinbach, der vor über 20 Jahren nicht nur fertig verfüllt, sondern auch umfassend abgedeckt und rekultiviert war. Nicht nur Gras wuchs über der Ansammlung von Wegwerfartikeln der Wohlstandsgesellschaft, sogar ein kleiner Wald war dort entstanden. „Eine Deponie im Dornröschenschlaf“, wie Planer Stefan Schatz den Müllberg wohlklingend nannte. „Aber die neuen Vorschriften haben uns eingeholt, und wir mussten das Dornröschen aufwecken und sehr umfassend in Angriff nehmen“, so der Geschäftsführer der AU Consult GmbH aus Augsburg weiter. Der Rohmüll in der stillgelegten Deponie soll nun unter eine dichte Haube kommen, die aus einer Vielzahl von Schichten besteht. Ziel ist es, die Bildung von Sickerwasser zu vermindern und das Austreten von Gas zu verhindern.

Geschützte Tiere wandern von einem Abschnitt zum nächsten

„Wir konnten die Abdichtung nicht in einem Abschnitt machen, aus naturschutzrechtlichen Gründen, weil die Fläche knapp zwölf Hektar beträgt“, erläuterte der Chef der Abfallwirtschaft des Rems-Murr-Kreises, Gerald Balthasar, den Fachleuten. Es seien nämlich auch geschützte Arten gefunden worden. „Dementsprechend mussten wir hier in zwei Abschnitten untergliedern“, so der AWRM-Vorstand weiter. Der erste, 6,5 Hektar große Abschnitt, bei dem die Arbeiten im April vergangenen Jahres begonnen hatten und der bereits zu 40 Prozent abgedichtet ist, soll im September kommenden Jahres fertig sein. „Dann brauchen wir zwei Jahre Interimszeit, in der dann die seltenen Tierarten von dem zweiten in den ersten Abschnitt wandern, und dann kann mit dem zweiten Abschnitt begonnen werden, das heißt 2021“, sagt Balthasar.

Zu welchen Mehraufwendungen die Aufteilung des Geländes in zwei Bauabschnitte geführt haben, erläuterte Eckhard Haubrich. Der geschäftsführende Gesellschafter der Ingenieurgruppe RUK GmbH in Stuttgart listete auf: „kleinere Baulose, mehrfache Baustelleneinrichtung, dauerhafte Sicherung der fertiggestellten Bauabschnitte in den Randbereichen, temporäre Baubehelfe, größere Sickerwassermenge, die zu behandeln ist und so weiter.“ Der örtliche Bauüberwacher rechnete alle Einzelkosten zusammen und kam auf Mehrkosten von 15 bis 25 Prozent; umgerechnet in Euro zwischen 900000 und 1,5 Millionen. Weitere 240000 Euro würde die zusätzliche Sickerwasserbehandlung ausmachen. Haubrich erläuterte auch, wie wichtig das Anlegen eines Testfelds ist, bevor man mit den eigentlichen Abdichtungsarbeiten beginnt. Das Dichtsystem, das auf den modellierten Untergrund aufgebracht wird, besteht aus mehreren Schichten. Wenn alles fertig ist, könnte noch eine Fotovoltaikanlage aufgebaut werden, wie sie bereits seit vielen Jahren auf der Deponie in Kaisersbach installiert ist und dort laut Balthasar eine Rendite von 3 bis 3,5 Prozent erwirtschaften. In Steinbach steht dafür eine ein Hektar große Fläche zur Verfügung. Aber das werde noch geprüft, in enger Abstimmung mit dem Naturschutz, wie der Chef der Abfallwirtschaft betont.

Wie die Bauarbeiten vorangehen und welche Probleme es im Laufe der Monate gab, die gelöst werden mussten, erläuterte Lars Steinle, Niederlassungsleiter des Umweltsanierungsunternehmens Geiger. Insgesamt seien allein im ersten Bauabschnitt 500000 Tonnen Material zu bewegen und einzubauen. Unzählige Lkw-Ladungen müssten bewegt werden. Gerne hätte man eine vorhandene Straße auf dem Gelände genutzt, um einen Ringschluss für den Baustellenverkehr zu ermöglichen. Aber aus Tierschutzgründen wurde die Straße gesperrt. Jetzt steht nur ein Weg zur Verfügung, praktisch eine Sackgasse, an deren Ende die Brummis wenden und dann wieder im Begegnungsverkehr abwärtsfahren müssen.

Und was ist, wenn alles fertig ist? Dann wird aufgeforstet. „Es gibt eine befristete Waldumwandlung, und da sind die Zuständigen – das ist bei uns das Regierungspräsidium Tübingen – ganz besonders streng“, sagt Balthasar. „Wir müssen komplett die ganze Geschichte aufforsten.“ Aber das schmeckt nicht jedem. „Wir hatten ganz große Kämpfe mit den Naturschützern, die gesagt haben: Am besten kein Wald, sonst wären die ganzen geschützten Arten nach drei oder fünf Jahren wieder weg. Das interessiert aber die Förster ganz wenig“, so der AWRM-Vorstand. Aus diesem Grund müsse ein Kompromiss gefunden werden.

Die rigiden Forderungen des Regierungspräsidiums kann auch er nicht nachvollziehen, allerdings aus anderen Gründen. „Ich kann nicht verstehen, warum wir auf den alten Flächen dort zwingend auf einer Dichtungsbahn, die ja eine Wurzelsperre darstellt, eine Rekultivierung von zwei oder besser drei Metern Hochwald installieren müssen. Kapiere ich nicht, aber das ist so,“ sagt Balthasar. „Wir müssen das so machen, wir kommen nicht drum rum.“

„Müllberg aus Dornröschenschlaf gerissen“

AWRM-Vorstand Gerald Balthasar (Mitte, in AWG-Weste) informiert Fachleute aus ganz Baden-Württemberg über den Stand der Bauarbeiten.