Mutter und Tochter verschwunden: Prozessbeginn in München

Von Von Britta Schultejans, dpa

dpa München. In einem Aufsehen erregenden Vermisstenfall steht ein Mann in München vor Gericht, weil er seine Frau und seine Stieftochter getötet haben soll. Zum Prozessauftakt präsentiert der Angeklagte allerdings seine eigene Version.

Mutter und Tochter verschwunden: Prozessbeginn in München

Der Angeklagte beim Prozessauftakt im Landgericht München I. Foto: Britta Schultejans/dpa

Er soll seine Frau umgebracht, seine Stieftochter ermordet und die Leichen der Beiden versteckt haben. Zum Auftakt im Mordprozess um einen Aufsehen erregenden Münchner Vermisstenfall hat der Angeklagte alle Vorwürfe gegen ihn bestritten.

Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass er seine Frau im Juli vergangenen Jahres im Streit getötet und danach auch seine Stieftochter umgebracht hat, um die Tat zu verschleiern. Von den Frauen fehlt seit dem 13. Juli 2019 jede Spur. Der Mann ist wegen Totschlags und Mordes angeklagt.

Der 45-Jährige bestreitet vor Gericht, mit dem Verschwinden der „Mädchen“, wie er Frau und Stieftochter nennt, etwas zu tun zu haben. „Das, was mir vorgeworfen wird, dazu habe ich überhaupt keinen Bezug“, sagt er - mit Hilfe eines Dolmetschers. „Außerdem gehe ich davon aus, dass die Mädchen immer noch leben - zumindest meine Frau.“ Darum stört er sich auch daran, dass er in der Anklageschrift als „verwitwet“ bezeichnet wird.

Die Gründe für seine Annahme will er allerdings nicht nennen - nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit, weil „sonst eine Bedrohung für die beiden Frauen“ entstehen könne. Das Gericht lehnt das ab. Für den Ausschluss der Öffentlichkeit sieht Richter Norbert Riedmann keine Grundlage.

Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Deutsch-Russe die beiden Frauen nacheinander „am ehesten durch massive, stumpfe Gewalt gegen den Kopf“ getötet hat. Danach fuhr er laut Anklage in einen Baumarkt, kaufte Farbe und strich Wände. Außerdem entfernte er einen Wohnzimmerteppich und eine Fußmatte aus dem Flur.

Diese fand die Polizei später - mit dem Blut der beiden mutmaßlichen Opfer verschmiert - in einem Waldstück. Es sind die Haupt-Indizien in dem Mordprozess ohne Leiche. Der Verteidiger des Angeklagten, Florian Opper, betont, nicht ohne Grund seien 27 Verhandlungstage für den Prozess um Totschlag und Mord angesetzt.„Wo sind die beiden Frauen? Wo ist das Motiv“, sagt er am Montag. Das seien „die Kernfragen“.

Für die Blutspuren präsentiert der Angeklagte seine eigene Version: Mutter und Tochter hätten am Tag ihres Verschwindens so heftig gestritten, dass sie sich gegenseitig blutige Wunden zugefügt hätten. Seine Frau habe „auf dem Hinterkopf eine blutende Beule“ gehabt, die Tochter eine blutige Nase. Die Tochter habe die Mutter gewürgt. Beide seien kaum ansprechbar gewesen, darum wisse er nicht, was losgewesen sei. „Sie befand sich in einem depressiven Zustand, sie hatte Blutspuren an sich und ich war gezwungen, sie kalt abzuduschen, damit sie wieder zu sich kam“, sagt er über seine Frau.

Danach seien Mutter und Tochter dann zusammen weggegangen - zum Ex-Partner und leiblichen Vater vielleicht, wie er angenommen habe. Er habe dann das Blut weggewischt und aus Fliesenfugen gekratzt, Wäsche gewaschen („weil ich weiß, dass frisches Blut sich leichter wegwaschen lässt als getrocknetes“) und Wände gestrichen. Auch Teppich und Fußmatte habe er entsorgt, weil es nicht möglich gewesen sei, sie zu reinigen. Als Grund dafür, dass er sie nicht in die Mülltonne, sondern ins Unterholz warf, gab er Mülltrennung an. Er habe „jetzt erst begriffen, dass er die Teppiche in den Restmüll hätte werfen können“.

Bei der Polizei, wo er die Beiden im vergangenen Jahr als vermisst gemeldet hatte, hatte der Mann angegeben, die Stimmung zwischen den Beiden sei gut, Mutter und Tochter auf dem Weg zum gemeinsamen Shoppen gewesen, bevor ihre Spur sich verlor. Als Grund für die frisch gestrichenen Wände hatte er damals angegeben, sie seien dreckig gewesen. Ermittler fanden dann nach Angaben von Richter Riedmann allerdings Blutspuren unter der weißen Farbe.

Seine Situation habe sich seitdem geändert, erklärt der Angeklagte die offensichtlichen Widersprüche in seinen Aussagen. Damals bei der Polizei sei er noch davon ausgegangen, „dass die Frauen nach ein paar Tagen oder nach einer Woche zurückkehren und dann alles selbst erklären können“, sagt er. „Jetzt ist es offensichtlich, dass die Situation nicht mehr so aussieht.“ Richter Riedmann sagt dazu: „Etwas provokant müsste man fragen, ob die andere Situation darauf beruht, was in den Akten als Ermittlungsergebnis steht.“

Die Rechtsanwältin Antje Brandes, die den als Nebenkläger auftretenden leiblichen Vater des verschwundenen Mädchens vertritt, wird deutlicher und nennt die Ausführungen des Angeklagten „völlig unglaubwürdig“. „Er weiß, was für Beweismittel im Raum stehen“, betont sie. Sie hoffe, „dass der Angeklagte sich umentscheidet“, ein Geständnis ablegt und sagt, was mit der Tochter ihres Mandanten und deren Mutter passiert ist. Traurige Gewissheit sei besser als quälende Ungewissheit. „Das ist der Mega-Gau und der schlimmste aller Zustände, wenn man nicht weiß, was mit seiner Tochter passiert ist.“ Der Vater selbst sagt später als Zeuge: „Es ist die Hölle.“

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