Nach dem Ausstieg dreier oberschwäbischer Kommunen aus den Planungen wirft ein kommunaler Steuerungskreis hin. Das Umweltministerium spricht von einer verpassten Chance für die Region.
Der Federsee in Bad Buchau, Oberschwaben ist mit einer Fläche von 1,4 Quadratkilometern der zweitgrößte See in Baden-Württemberg. Mit insgesamt 33 Quadratkilometer gehört das Gebiet zum größten Moor Südwestdeutschlands.
Von Rüdiger Bäßler
Noch vor ziemlich genau einem Jahr, Mitte November 2024, hat die grüne Umweltministerin Thekla Walker ihre Aufwartung in Bad Waldsee gemacht, im Haus am Stadtsee, wo die kommunale Arbeitsgemeinschaft Biosphärengebiet tagte. Am Rand der Tagung warb die Ministerin vor Pressevertretern erneut kräftig für dieses Herzensprojekt ihrer Partei, als Prüfauftrag festgeschrieben im Koalitionsvertrag von 2021. Innerhalb eines Suchgebiets von 184 000 Hektar Fläche sollte Baden-Württembergs drittes Biosphärengebiet entstehen, im Mittelpunkt das Federseemoor, das Wurzacher Ried und das Pfrunger-Burgweiler Ried. Bis Ende 2026 sollten Städte und Gemeinden Zeit haben, über eine Mitgliedschaft zu beraten.
Bad Wurzach und Wolfegg verabschiedeten sich zuerst
Exakt am selben Ort ist vergangene Woche nun das vorzeitige Ende für das Biosphärengebiet gekommen. Der Gemeinderat von Bad Waldsee entschied auf Antrag der CDU-Fraktion, aus dem Projekt auszusteigen. Zuvor hatte sich schon Bad Wurzach verabschiedet, ausgerechnet. Auch die Gemeinde Wolfegg, auf deren Gemarkung Kiesabbau betrieben wird, beschloss die Abkehr vom Naturreservat. Einen Tag nach der Entscheidung von Bad Waldsee verkündete der regionale Steuerungskreis unter Führung von Timo Egger, dem Bürgermeister der Gemeinde Fleischwangen, ihre Selbstauflösung. Weitere bis Jahresende geplante Kommunalberatungen sind damit obsolet geworden.
Dem Aus fürs Projekt war über Monate nicht zuletzt der gut organisierte Widerstand von Landwirten, Jägern, Waldbesitzern vorausgegangen, hier und da tauchte ein PR-Berater unter dem Pseudonym „Sphärman“ auf und raunte Warnungen in die Welt, falls das Naturschutz-Großprojekt Wirklichkeit werde. Der CDU-Agrarminister Peter Hauk begann im Mai 2024 offen gegen das Biosphärengebiet zu opponieren, sagte im Kommunalwahlkampf vor Bauernvertretern in Wangen: „Es darf kein Biosphärenreservat in Oberschwaben geben.“ Das wiederholte er diesen Oktober laut übereinstimmenden Berichten von Lokalmedien bei einem Auftritt bei der Oberschwabenschau in Ravensburg, wieder vor Bauern: „Es darf kein Biosphärenreservat in Oberschwaben geben.“ Es gebe „schon genug Schutzgebiete“.
Industrie- und Handelskammer gab womöglich den Ausschlag
Den letzten Stoß gab der Sache aber womöglich eine Entscheidung der in Weingarten beheimateten Vollversammlung der Industrie- und Handelskammer Bodensee-Oberschwaben vom 22. Oktober. In einem kurz darauf veröffentlichten Positionspapier steht: „Nach Abwägung aller Aspekte kommt die Vollversammlung zu dem Schluss, dass ein Biosphärengebiet aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive nicht das geeignete Instrument für die regionale Wirtschafts- und Strukturentwicklung darstellt.“
Enttäuscht reagierte nach dem Projekt-Aus der NABU-Landesvorsitzendes Johannes Enssle. Er sprach von einer „verpassten Chance für Mensch und Natur, für den Tourismus, den Klimaschutz und eine nachhaltige Wirtschaft in der Region“.
Oberschwaben würde wegen des Drucks einer „kleinen Gruppe“ von Landeigentümern „Millionen an Fördermitteln entgehen“. Zufriedenheit hingegen bei Franz Schönberger, Chef des Bauernverbandes Allgäu-Oberschwaben. „Wir haben keine Chance vertan, sondern die Vielfalt der Chancen erhöht“, teilte er mit.
Das Umweltministerium sieht keine Chance mehr auf eine Mehrheit für ein Biosphärengebiet. Man respektiere die Entscheidung der Region, so eine Sprecherin. Doch eine „große Chance“ sei vertan. „Auf der Schwäbischen Alb und im Schwarzwald sind die Biosphärengebiete so attraktiv, dass Kommunen neu beigetreten sind oder es anstreben.“ Die Nachfrage unserer Zeitung, ob und wie stark das Verhältnis zwischen Ministerin Walker und ihrem Amtskollegen Hauk belastet sei, wollte das Ministerium nicht beantworten.