Nach mehr als 33 Jahren Haft: Sörings „Rückkehr ins Leben“

Von Von Isabell Scheuplein, dpa

dpa Frankfurt/Main. Mehr als sein halbes Leben saß Jens Söring in den USA im Gefängnis. 2019 dann die Entlassung auf Bewährung. In einem Buch schildert er seine Ankunft in Deutschland und Pläne für die Zukunft.

Nach mehr als 33 Jahren Haft: Sörings „Rückkehr ins Leben“

Freiheit ist für Jens Söring noch keine Selbstverständlichkeit. Foto: Boris Roessler/dpa

Jens Söring hat die Zahlen noch genau im Kopf: 33 Jahre, 6 Monate und 25 Tage hat er im Gefängnis verbracht, den größten Teil davon in den USA. Dort war der heute 55-Jährige für den Mord an den Eltern seiner damaligen Freundin zu zweimal lebenslanger Haft verurteilt worden.

Im November 2019 wurde er auf Bewährung entlassen, im Dezember folgte die Abschiebung nach Deutschland. Die Fernsehbilder zeigten einen Mann mit altmodischer Brille und weißem Trainingsanzug, der unter großem Medieninteresse und Applaus seiner Unterstützer durch den Frankfurter Flughafen schritt.

An diesem Montag erscheint Sörings Buch „Rückkehr ins Leben“ über das erste Jahr in Freiheit: Das erste Frühstück im Kreis von Freunden, das erste Handytelefonat, der erste Ausflug in die Natur, das erste Mal Fahrradfahren, der erste Arztbesuch. All dies setzt Söring in Kontrast zu den Jahrzehnten hinter Gefängnismauern.

Zukunft als Resilienz-Trainer

Söring berichtet im Interview der Deutschen Presse-Agentur, dass er derzeit eine Wohnung in Hamburg sucht. Er sei dabei, sich eine berufliche Existenz als Experte und Redner zum Thema Resilienz aufzubauen - der Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen zu überstehen. „Das ist etwas, was ich immer wieder gefragt werde, 'Wie haben Sie das geschafft?', 'Wie haben Sie das überlebt?', 'Warum sind Sie nicht gebrochen?'. Er habe sich Gedanken gemacht, was er von seinen Erfahrungen weitergeben könne.

Der 55-Jährige ist Sohn eines deutschen Diplomaten, hatte als Kind nur wenige Jahre in Deutschland verbracht. Nach seiner Ankunft in Frankfurt flog er 2019 weiter nach Hamburg, um zunächst bei einer Gastfamilie zu wohnen.

Söring hatte die Morde aus dem Jahr 1985 zunächst gestanden, später aber das Geständnis widerrufen. Er beteuert bis heute seine Unschuld. Immer wieder hatte er erfolglos seine Entlassung oder Überstellung nach Deutschland beantragt. Begnadigt worden ist er nicht. In die USA darf er nie wieder einreisen.

Die Frage, ob Söring unschuldig ist oder nicht, polarisiert. Der 55-Jährige hat zahlreiche auch prominente Fürsprecher. Andere zweifeln nicht an seiner Schuld, dazu gehört der ehemalige US-amerikanische Strafverteidiger Andrew Hammel, der dazu mehrere Zeitungsartikel veröffentlicht hat.

Im Rückblick bereue er sein Geständnis, das ihn ins Gefängnis gebracht habe, sagt Söring. Mit der Aussage habe er seiner damaligen Freundin helfen wollen; beide waren nach einer gemeinsamen Flucht in London gefasst worden, sie wurde später wegen Beihilfe zum Mord verurteilt.

Elf Monate Supermax-Gefängnis

Haft, das war „permanente Gefahrenzone“, Fremdbestimmung, kein Ansatz von Privatsphäre, heißt es in Sörings Buch. Besonders schlimm waren den Schilderungen nach elf Monate in einem sogenannten Supermax-Gefängnis, wo Häftlinge unter besonders strengen Bedingungen leben. Söring schildert Panikanfälle. Über Wasser gehalten habe ihn der Kreis an Unterstützern, die sich für ihn einsetzten - Bekannte, Freunde und Anwälte, mit denen er telefoniert habe.

Sörings Leben sei über Jahrzehnte fremdbestimmt gewesen, sagt Bernd Maelicke, Experte für Strafvollzug und Resozialisierung, zu den Schwierigkeiten entlassener Strafgefangener. Der 55-Jährige habe kein abgeschlossenes Studium und müsse nun lernen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen - in gelingenden beruflichen, sozialen und familiären Beziehungen.

Während in Deutschland das Ziel des Strafvollzugs Resozialisierung sei, sei es in den USA Wegsperren und Abschreckung: „Da herrscht die Subkultur der Mitgefangenen, es dominieren Gewalt, Drogen, Vergewaltigung, Erpressung.“ Soering sei zwar auf Bewährung entlassen worden, habe aber keinen Bewährungshelfer, der ihn berate und coache.

Söring berichtet, ihm sei von vielen Freunden geraten worden, seinen Namen zu ändern, um in Deutschland anonym ein neues Leben anzufangen. Dies habe er nicht gewollt: „Wenn ich das getan hätte, dann wären diese 33 Jahre einfach ein Loch in meiner Biografie gewesen, sie wären einfach ein reiner Verlust.“ Stattdessen wolle er die Erfahrungen nutzen, um anderen zu helfen. „Ich hoffe, ich bekomme diese Gelegenheit von der Gesellschaft, von den Menschen hier draußen.“

An die Haftzeit denke er inzwischen fast gar nicht mehr zurück, sagt Söring. Freiheit sei für ihn aber noch keine Selbstverständlichkeit. Jeden Tag genieße er sie aufs Neue, vor allem jetzt, wo die Corona-Beschränkungen gelockert seien und er mehr unter Menschen kommen könne.

Jens Söring, Rückkehr ins Leben: Mein erstes Jahr in Freiheit nach 33 Jahren Haft, C. Bertelsmann, 304 Seiten, 20 Euro, ISBN 978-3-570-10434-7

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