Nach zehn Jahren ist der Boom vorbei

IHK-Konjunkturklimaindex fällt im Rems-Murr-Kreis auf den niedrigsten Wert seit 2010 – Deutlicher Anstieg bei der Kurzarbeit

Das Wort „Krise“ meidet Claus Paal zwar wie der Teufel das Weihwasser, denn der Präsident der IHK-Bezirkskammer Rems-Murr weiß: „Eine Krise kann man auch herbeireden.“ Allerdings zeigt die aktuelle Konjunkturumfrage der Industrie- und Handelskammer, dass die Stimmung bei den Firmen im Rems-Murr-Kreis schlechter geworden ist. Vor allem in der Industrie wächst die Skepsis.

Nach zehn Jahren ist der Boom vorbei

Blick in die Montage bei Lorch Schweißtechnik in Auenwald: Wegen des rückläufigen Auftragseingangs hat das Unternehmen für das vierte Quartal Kurzarbeit angemeldet, musste davon bis jetzt allerdings noch nicht Gebrauch machen. Foto: A. Becher

Von Kornelius Fritz

Die Stimmung in der Wirtschaft mit einer einzigen Zahl zu beziffern, ist schwierig. Die IHK versucht es trotzdem und berechnet dreimal im Jahr einen sogenannten Konjunkturklimaindex. Dieser berechnet sich aus den Angaben der Unternehmen zu ihrer aktuellen Geschäftslage und zu ihren Zukunftserwartungen. Bei der Herbstumfrage, an der sich knapp 120 Unternehmen aus dem Rems-Murr-Kreis beteiligt haben, ist dieser Indexwert nun zum zweiten Mal in Folge gesunken, und zwar deutlich von 125,1 Punkten im Frühsommer auf nur noch 99,3 Punkte. Das ist der niedrigste Wert seit Anfang 2010.

IHK-Präsident Paal spricht von „deutlichen Bremsspuren“: „Die Unternehmen bewerten die aktuelle Lage gedämpfter und blicken mit deutlich mehr Skepsis in die Zukunft.“ Zwar liegt der Anteil der Unternehmer, die ihre aktuelle Lage als gut oder zumindest befriedigend bezeichnen, immer noch bei 80 Prozent, allerdings bezeichnet nun schon jeder fünfte Unternehmer seine Geschäftslage als schlecht, im Frühsommer waren es lediglich sieben Prozent. Und beim Blick in die Zukunft steigt die Zahl der Pessimisten. Ein Viertel der Unternehmer rechnet in den kommenden zwölf Monaten mit schlechteren Geschäften, gegenüber 17 Prozent bei der letzten Umfrage. Besonders schlecht ist die Stimmung in der Industrie: Die Zahl der Firmen, die über schlechte Geschäfte klagen, hat sich hier seit Sommer von 9 auf 27 Prozent verdreifacht. Beim Blick in die Zukunft rechnen sogar 37 Prozent der Befragten mit einer Verschlechterung.

„Im Basislager des Mount Everest“

Die Gründe für den Stimmungsumschwung sind vielfältig: Da sind einerseits strukturelle Veränderungen, etwa in der für die Region so wichtigen Automobilbranche. Das Problem sei „die Gleichzeitigkeit von Entwicklungen“, erklärt Claus Paal: „Die Firmen müssen massiv in die Entwicklung alternativer Antriebe investieren, ohne die bewährten Geschäftsmodelle zu vernachlässigen, mit denen sie heute ihr Geld verdienen.“

Hinzu kommen weltpolitische Unwägbarkeiten wie die Handelsstreitigkeiten der USA oder die unendliche Brexit-Diskussion. Das alles führt laut Paal zu einer „unguten Melange, die viele Unternehmen derzeit belastet“. Für den IHK-Vizepräsidenten Markus Höfliger ist es letztlich aber völlig normal, dass die Wirtschaft nach einem fast zehnjährigen Boom auch wieder eine schwächere Phase durchmacht. „Das ist eigentlich längst überfällig“, sagt der Aufsichtsratsvorsitzende der Harro Höfliger Verpackungsmaschinen GmbH aus Allmersbach im Tal. Er vergleicht die momentane Situation mit einem Zwischenstopp „im Basislager des Mount Everest“, wo die Wirtschaft nach einem langen Anstieg nun mal eine Pause einlegt.

Tatsächlich ist man von einer ähnlich schweren Krise wie 2009 noch weit entfernt. Das zeigen auch die Zahlen der Arbeitsagentur in Waiblingen: Lag die Zahl der Arbeitslosen im Rems-Murr-Kreis Ende 2009 bei 11300 (Quote 5,2 Prozent), sind aktuell nur 7700 Personen (2,9 Prozent) arbeitslos gemeldet. Noch deutlicher wird der Unterschied beim Blick auf die Kurzarbeit. Die ist seit Mitte des Jahres zwar deutlich gestiegen: Aktuell sind knapp 500 Beschäftigte in 32 Unternehmen davon betroffen, im Mai waren es lediglich 22 Beschäftigte in vier Unternehmen. In den Hochzeiten der Finanzkrise vor zehn Jahren galten allerdings zeitweise für fast 14000 Beschäftigte in mehr als 600 Betrieben an Rems und Murr reduzierte Arbeitszeiten.

Ob sich die Situation in den kommenden Monaten noch verschärfen oder wieder entspannen wird, ist schwer vorherzusehen: „Viel wird davon abhängen, ob die weltweiten Unsicherheiten entschärft oder gelöst werden können“, erklärt Claus Paal. Wenn das gelingt, ist er zuversichtlich, dass es für die Unternehmen in der Region schon bald wieder aufwärtsgeht. Und wenn sie die Freiräume, die sich durch ein geringeres Auftragsvolumen ergeben, sinnvoll nutzten, etwa um die Digitalisierung voranzutreiben oder ihre Mitarbeiter zu qualifizieren, könnten sie sogar gestärkt aus der aktuellen Schwächephase hervorgehen.

Info
Zahl der Ausbildungsverträge steigt

Trotz der schwierigeren Wirtschaftslage lassen die Unternehmen im Rems-Murr-Kreis bei der Ausbildung nicht nach. Die Zahl der Ausbildungsverträge ist im Vergleich zum Vorjahr sogar um 2,3 Prozent gestiegen. „Angesichts eines regionsweiten Minus von 1,2 Prozent ist das ein starkes Ergebnis“, sagt Markus Beier, leitender Geschäftsführer der IHK-Bezirkskammer Rems-Murr.

Im gewerblich-technischen Bereich meldet die IHK ein Plus von 5,3 Prozent, die Zahl der Ausbildungsverträge in den kaufmännischen Berufen ist hingegen nahezu konstant geblieben (+0,2 Prozent). „Unser Plus an Neuverträgen resultiert vor allem aus einem deutlichen Anstieg im Bereich Elektrotechnik“, erklärt Beier.

Seit Jahresbeginn haben 1627 junge Menschen eine IHK-Ausbildung begonnen. Insgesamt gibt es im Rems-Murr-Kreis aktuell 4253 Auszubildende.

Der beliebteste Ausbildungsberuf mit 125 Neuverträgen war wie in den Jahren zuvor Kaufmann/Kauffrau im Einzelhandel, gefolgt von Industriemechaniker (118) und Mechatroniker (109).

In den technischen Berufen gilt nach wie vor die klassische Rollenverteilung: Von 690 neuen Azubis in diesem Bereich sind lediglich 71 weiblich. Bei den kaufmännischen Berufen ist das Verhältnis hingegen fast ausgeglichen: Hier sind 48 Prozent der Azubis weiblich, 52 Prozent männlich.