Nackter Protest

Darum kontrollieren Ägypten und Türkei den Verkauf gelber Westen

Von Simon Rilling

Istanbul/Kairo In jedem Auto schlummert die Revolution – zumindest in Deutschland. Dort sind gelbe Warnwesten gesetzlich vorgeschrieben. Gerade mal 1,95 Euro kostet ein Exemplar, günstiger geht ein Umsturz nicht. Das haben auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und Ägyptens Abd al-Fattah as-Sisi erkannt. Beide wollen sich – den gewaltsamen Protest in Frankreich vor Augen – nicht mehr allein auf Polizei und Schlägertrupps verlassen, um ihre Macht zu erhalten.

Beide lassen den Westenverkauf kon­trollieren. Das klingt im ersten Moment hirnrissig, weil Warnwesten zwar als starkes Symbol taugen, eine Revolution aber allein nicht ausmachen. Doch so albern die Maßnahme erscheinen mag, sie ist es nicht. Denn während die Proteste in Frankreich Präsident Emmanuel Macron zum Einlenken bewegen, könnten die Folgen eines Protests in Ägypten oder der Türkei viel gravierender sein, weil Kompromisse nicht zum Repertoire Erdogans oder as-Sisis gehören.

Macron war nie in Gefahr, die Macht zu verlieren – Erdogan und as-Sisi wären es: Beide haben sich zu Diktatoren aufgeschwungen, Andersdenkende gnadenlos verfolgt – und im Falle Erdogans das Land aus Selbstherrlichkeit auch wirtschaftlich an die Wand gefahren. Gute Gründe, eine Warnweste anzuziehen und zu protestieren. Wobei gelbe Warnwesten nicht zwingend nötig sind. In islamisch geprägten Ländern böten sich grüne Westen an, um Allah und seinen Propheten auf seiner Seite zu verorten.

Noch radikaler wäre es, ähnlich wie die Femen-Aktivisten komplett auf Kleidung zu verzichten. Nackte Tatsachen gegen Potentaten wären in symbolischer Hinsicht wohl noch wirkungsvoller als eine gelbe Warnweste für 1,95.

simon.rilling@stzn.de