Nacktfoto ungefragt weitergeschickt

600 Euro Geldstrafe empfindet 69-Jähriger als ungerecht und ist davon auch durch anderthalbstündige Verhandlung nicht abzubringen.

Nacktfoto ungefragt weitergeschickt

Symbolfoto: Erwin Wodicka

Von Hans-Christoph Werner

BACKNANG. Eine Dreiviertelstunde musste der Angeklagte vor dem Gerichtssaal warten, weil sich die vorausgehende Verhandlung in die Länge zog. Das hebt seine Stimmung nicht unbedingt. Schimpfend läuft er durch den Gang im Amtsgerichtsgebäude. Als es dann so weit ist, wirft ihm der Staatsanwalt mit der Anklageschrift Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen vor. Hinter den juristischen Vokabeln verbirgt sich ein Geschehen im Juni 2019. In einer Kneipe ist der Alkohol reichlich geflossen. Zwischen zwei mitzechenden Frauen, so die Version des Angeklagten, entsteht ein Streit über ihre Oberweite. Und weil dies am besten durch sofortige Inaugenscheinnahme entschieden werden könne, entblößt sich eine 45-Jährige. Der 69-Jährige hält das Ergebnis per Handy fest. Das heißt: Es kann auch anders gewesen sein. Das wird in der Verhandlung nicht so richtig klar.

Fest steht, dass der Metzger ein Oben-ohne-Foto der 45-Jährigen auf seinem Handy hat. Das alleine ist noch nicht strafwürdig. Doch dem Metzger wird angelastet, dass er dieses Foto ohne Zustimmung der Fotografierten an zwei Personen weitergeleitet hat. Im Vorfeld der Gerichtsverhandlung versuchte die Staatsanwaltschaft die Sache so abzuarbeiten, dass sie dem Metzger einen Strafbefehl über 1000 Euro schickte. Der Metzger war empört und widersprach. Der Richter erläutert eingehend den Strafbefehl. 50 Tagessätze hat die Staatsanwaltschaft für das Weiterleiten der Bilder festgesetzt. Das sei quasi der „Tarif“ für die Straftat. Bei der Tagessatzhöhe nahm die Staatsanwaltschaft 20 Euro an, weil man ein entsprechendes Einkommen vermutete. Wortreich erläutert der Metzger, dass ihm von Grundsicherung und Rente gerade mal 330 Euro bleiben. Der Richter will die Tagessatzhöhe an das Einkommen des Angeklagten anpassen und schlägt 10 Euro vor. „Sie laufen hier nicht ohne Strafe hinaus“, macht der Richter deutlich. „Sie haben sich strafbar gemacht.“

Befragung artet in Streit zwischen Angeklagtem und Zeugin aus.

Aber der Metzger will nichts davon wissen. Er hält die Fotoangelegenheit für eine läppische Sache und malt sich aus, dass er vor dem Landgericht (der nächsthöheren Instanz), wie er zu berichten weiß, ohne jegliche Bestrafung davonkommen würde. So bleibt dem Richter nicht anderes, als das Amtsgerichtsverfahren wie üblich durchzuführen. Die betroffene Frau wird als Zeugin gehört. Über eine Freundin hat sie von dem Foto erfahren. Und das Gerücht, dass weitaus Kompromittierenderes im Netz unterwegs sei, hat sie beunruhigt. So erstattet sie Anzeige. Auch der Angeklagte erhält Gelegenheit, an die Zeugin Fragen zu stellen. Aber die Sache artet in ein wirres Streitgespräch mit gegenseitigen Vorwürfen aus.

Eine kurze Atempause der Kontrahenten nutzt der Richter, um die Verhandlung fortzusetzen. Und macht den 69-Jährigen darauf aufmerksam, dass er in der Gefahr stehe, sich ein weiteres Verfahren aufzuhalsen. Hätte er doch im Streitgespräch mit der Zeugin nicht mit Koseworten gespart. Die zweite Zeugin ist eine 26-jährige Auszubildende. An sie ging das Nacktfoto. Wieder echauffiert sich der Metzger. Foto gegen Foto, denkt er wohl. Die 26-Jährige habe ihm doch auch ein Oben-ohne-Bild geschickt. Der Angeklagte sucht in seinem Handy, fördert das Bild zutage und will es Staatsanwalt und Richter zeigen. Die lehnen dankend ab. Es ist für die Tat des 69-Jährigen nicht relevant. Ein Polizist, der den Fall bearbeitet hat, ist der dritte Zeuge. Das Handy des Angeklagten wurde bei einer Hausdurchsuchung beschlagnahmt und untersucht. Der Ordnungshüter kann bestätigen, dass das Foto der 45-Jährigen an zwei andere Personen ging. Im Schnelltempo trägt der Richter das Vorstrafenregister des Angeklagten vor. Das Tempo ist nötig. Denn 43 Einträge sind es. Als der Richter den Angeklagten zu seinem Lebenslauf befragt, wird dieser wieder ausschweifend. Mit großer Geduld lässt der Richter ihn gewähren. Für den Staatsanwalt hat sich die Anklageschrift bestätigt. Er fordert in seinem Plädoyer eine Geldstrafe von 1000 Euro. Der Angeklagte fragt zurück. Ja, absitzen kann er das auch. Das wären dann 100 Gefängnistage. Aufgefordert zum letzten Wort hebt der Angeklagte zu einer Rede an: Er fühlt sich ungerecht behandelt. Aufgrund seiner Vorstrafen, so sagt er, sei er schon beim Reinlaufen in den Gerichtssaal schuldig.

Der Richter meint es dann gnädig mit ihm und verhängt eine Geldstrafe von 600 Euro. Das Weiterleiten des kompromittierenden Fotos sei ohne Einwilligung der Betroffenen erfolgt. Das sei eine Straftat. Und nur deswegen, so führt der Richter in der Urteilsbegründung aus, werde er bestraft. All die anderen Geschichten, die der Metzger aufgetischt hatte, spielen keine Rolle. Genau erkundigt sich der Verurteilte danach, wie er dem Urteil widersprechen kann. Die Protokollantin der Gerichtsverhandlung reicht ihm ein Merkblatt. Er muss da etwas schreiben, innerhalb einer Woche. Und der 69-Jährige wird das wohl auch, so hört er sich an, tun.