Namibias Chefunterhändler: Aussöhnungsabkommen auf Kurs

Von Von Frauke Röschlau und Ralf E. Krüger, dpa

dpa Windhuk. Proteste gegen das geplante Aussöhnungsabkommen zwischen Deutschland und Namibia stellen ein rasches Ende der Verhandlungen infrage. Vertreter betroffener Bevölkerungsgruppen haben es abgelehnt. Der Chefunterhändler gibt sich dennoch optimistisch.

Namibias Chefunterhändler: Aussöhnungsabkommen auf Kurs

Denkmal im Zentrum der namibischen Hauptstadt Windhuk. Die Inschrift laut übersetzt etwa: „Ihr Blut nährt unsere Freiheit“. Foto: Jürgen Bätz/dpa

Ein Scheitern des Aussöhnungsabkommens, in dem die Bundesregierung die Verbrechen der deutschen Kolonialmacht im heutigen Namibia als Völkermord anerkennt, ist dem dortigen Chefunterhändler zufolge unwahrscheinlich.

Zed Ngavirue sagte der Deutschen Presse-Agentur in der namibischen Hauptstadt Windhuk: „Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem beiderseits das Einvernehmen besteht, dass man ins Geschäft kommt.“ Es sei eine tragfähige Basis gefunden worden, auf der beide Seiten aufbauen könnten. Der bisherige Zeitplan müsse aber angepasst werden, da Namibias Parlament bis zum 8. Juni pausiere.

„Ich glaube nicht, dass es mit dem Vertrag als solches ein Problem gibt“, erklärte Ngavirue und betonte: „Wenn einige Leute demonstrieren und sich lauthals beschweren, denkt die Gesellschaft, das sei die Mehrheit. Dem ist nicht so.“ Nach der parlamentarischen Billigung des Dokuments könnten es die Außenminister unterschreiben.

Deutschland erkennt Völkermord an

Mehr als 100 Jahre nach den Verbrechen der deutschen Kolonialmacht im heutigen Namibia erkennt die Bundesregierung darin die Gräueltaten an den Volksgruppen der Herero und Nama als Völkermord an. Deutschland will die Nachkommen offiziell um Vergebung bitten und in den nächsten 30 Jahren mit 1,1 Milliarden Euro unterstützen. Darauf haben sich nach jahrelangen Verhandlungen beide Regierungen verständigt.

Das Deutsche Reich war von 1884 bis 1915 Kolonialmacht im damaligen Deutsch-Südwestafrika und schlug Aufstände brutal nieder. Während des Herero-und-Nama-Kriegs von 1904 bis 1908 kam es zu einem Massenmord, der als erster Genozid im 20. Jahrhundert gilt. Historiker schätzen, dass 65.000 von 80.000 Herero und mindestens 10.000 von 20.000 Nama getötet wurden. Seit 2015 verwendet das Auswärtige Amt dafür den Begriff Völkermord in seinem allgemeinen Sprachgebrauch. Jetzt werden die Gräueltaten auch offiziell als Völkermord bezeichnet.

„Unser Leid ist unkalkulierbar“

„Die Chiefs haben sich letzte Woche in den Besprechungen mit großer Mehrheit zu dem Abkommensentwurf bekannt; natürlich wird es immer Leute geben, denen das, was gerade auf dem Tisch liegt, nicht passt“, sagte Ngavirue. Zudem gebe es „Missverständnisse“, die aufgeklärt würden. Dazu gehöre ein Milliardenwert, der ursprünglich „über verschiedene Formeln zur Quantifizierung des Leids“ errechnet worden sei. „Das bedeutete nie, dass dies der Betrag ist, den man als Wiedergutmachung verlangt: Unser Leid ist unkalkulierbar.“ Der nun vorliegende Vertragsentwurf biete aber eine Basis, auf der man den Nachfahren eine Wiedergutmachung zukommen lassen könne.

Ngavirue bestritt Behauptungen, die Unterhändler hätten ohne Rücksprache mit den Betroffenen verhandelt: „Das stimmt nicht, es gab Treffen über Treffen: Der Prozess wurde offen gehandhabt und die Leute (die Chiefs der betroffenen Gemeinschaften) wussten, wo wir waren und wo wir jetzt stehen.“ Einige Mitglieder des Chief's Councils der Volksgruppen der Herero und der Nama hatten das von Deutschland vorgeschlagene Abkommen abgelehnt.

Gremium vereint Anführer der Betroffenen

Das Gremium vereint die Anführer der betroffenen Volksgruppen. Dem Sonderbeauftragten und Verhandlungsführer der namibischen Regierung zufolge entspricht der Begriff des Chiefs im Deutschen am ehesten der einst von den Kolonialherren geprägte Ausdruck Häuptling. „Das sollten wir nicht ernsthaft debattieren; am besten ist es, stets den Begriff zu wählen, mit dem die Person in ihrer eigenen Gemeinschaft angesprochen wird: Chief oder Häuptling oder Kaptein - das ist doch nur eine Übersetzung“, sagte Ngavirue.

Die von Berlin angebotenen Unterstützungszahlungen in Höhe von 1,1 Milliarden Euro über 30 Jahre hatten Kritiker als „inakzeptabel“ und einen „Affront gegen unsere Existenz“ bezeichnet. Die Ovaherero Traditional Authority, eine weitere Herero-Gruppe, hatte das Abkommen als PR-Coup Deutschlands kritisiert. Die Bundesregierung hatte immer wieder betont, dass es aus ihrer Sicht keinen Rechtsanspruch auf Entschädigung gebe. Die 1,1 Milliarden Euro seien als politisch-moralische Verpflichtung zu verstehen.

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