Neue Kanäle in Backnang: Mit Hochdruck durch den Untergrund

Umfangreiche Kanalsanierungen im Backnanger Norden verschlingen 1,9 Millionen Euro. Die Bauarbeiten dauern 16 Monate und sorgen im Gebiet rechts und links der Straße In der Plaisir für große Verkehrsbehinderungen. In einigen Passagen wird das Berstlining-Verfahren eingesetzt.

Neue Kanäle in Backnang: Mit Hochdruck durch den Untergrund

Die alten Kanäle werden aufgebrochen und die Scherben ins angrenzende Erdreich verdrängt. Dann wird ein dickeres Rohr eingezogen.

Von Matthias Nothstein

Backnang. Im Backnanger Norden müssen auf einer Länge von insgesamt 790 Metern verschiedenste Abwasserkanäle erneuert werden. Sie sind zum Teil schadhaft, undicht und hydraulisch völlig überlastet. Erster Bürgermeister Stefan Setzer nannte die Arbeiten in der jüngsten Sitzung des Betriebsausschusses Stadtentwässerung „alternativlos“. Die Stadt könne sie nicht aufschieben. Betroffen ist ein ganzes Quartier rechts und links der Straße In der Plaisir.

Um die Beeinträchtigungen für die Anwohner so gering wie möglich zu halten und um Kosten zu sparen, baut die Verwaltung auch aufs Berstlining-Verfahren. Dieses hat den Vorteil, dass die Straße nicht aufgegraben werden muss. Vielmehr wird beim Berstlining ein konischer Berstkörper aus gehärtetem Stahl durch den Kanal gezogen. Das Besondere: Der Konus ist viel größer als das Rohr. Dieses berstet, die Scherben werden in das umliegende Erdreich gepresst. Im gleichen Arbeitsgang wird ein neues Rohr in den aufgeweiteten Berstkanal eingezogen. So kann zum Beispiel im Extremfall ein Rohr mit einem Durchmesser von 10 Zentimetern zu einem Kanal von 30 Zentimetern aufgeweitet werden. Und das, ohne die Straße aufzugraben. Damit dies gelingt, müssen am Anfang und am Ende der Baustrecke Schächte ausgehoben werden. In ihnen findet die Technik Platz, die den Konus durch das Rohr zieht.

In der Vergangenheit gute Erfahrungen mit Berstlining gemacht

Das Verfahren wurde in Backnang schon mehrfach angewandt, etwa bei der Kanalerneuerung in der Hasenhälde und in der Bromberger Straße. Die Erfahrungen damit waren so gut, dass die Backnanger Verwaltung nun wieder darauf setzt. Aber das Verfahren ist nicht überall praktizierbar. Lars Kaltenleitner, der Leiter des Backnanger Amts für Tiefbau, sagt dazu: „Die Technik ist überall dort geeignet, wo es wenig Hausanschlüsse und Einlaufschächte gibt, denn um solche anzuschließen, müsste die Straße trotzdem aufgegraben werden.“

In folgenden Straßen werden die Kanäle erneuert: In der Plaisir, Calvinstraße, Leipziger Straße, Frankfurter Straße, Münchener Straße, Kölner Straße, Hamburger Straße, Reuchlinstraße, Gerokstraße und im Melanchthonweg. Die Arbeiten werden Anfang April ausgeschrieben und vom Sommer dieses Jahres bis Dezember 2024 ausgeführt. Voraussichtlich ziehen sie sich über 16 Monate hin. Die Baumaßnahme ist in fünf Bauabschnitte unterteilt. Weil jeweils Vollsperrungen der betroffenen Straßenabschnitte nötig sind, werden die Bauabschnitte in mehreren Phasen hintereinander ausgeführt. Die Gesamtkosten für die Erneuerung der Kanalisation belaufen sich auf 1,9 Millionen Euro. Weitere 600000 Euro sind für die Straßensanierungen fällig, wobei an den Randsteinen und Gehwegen keine Arbeiten vorgenommen werden.

CDU-Stadtrat Rolf Hettich verwies auf die riesige Belastung für die Anwohner während der Bauzeit. Deshalb wollte er wissen, ob die Anwohner zu einer Informationsveranstaltung eingeladen werden. Erster Bürgermeister Stefan Setzer bejahte dies, gab aber auch zu verstehen, dass es bei solchen Arbeiten trotzdem immer Ärger geben wird. Eine Infoveranstaltung sei zwingend nötig. Setzer: „Das wäre der Worst Case, dass ein Bürger abends heimkommt und der Bagger hat unangekündigt vor der Tür aufgegraben.“ Während Mustafa Gül (Grüne) eher die Auffassung vertrat, dass die Gehwege in dem Bereich noch gut sind, monierte Fraktionskollege Willy Härtner konkret in der Gerokstraße schadhafte Bürgersteige. Zudem mahnte er, bei den Arbeiten zumindest Leerrohre für Glasfaserkabel einzulegen. Lars Kaltenleitner räumte ein, dass die Parkmöglichkeiten während der Bauzeit stark eingeschränkt werden. Seine Empfehlung: Während der Baumaßnahmen auf Nebenstraßen ausweichen. Das Gelächter der Stadträte konterte er mit der Bemerkung: „Ich weiß, da ist die Situation auch heute schon heikel. Aber wir können keine Parkflächen zur Verfügung stellen.“

In Backnang wurden schon 2500 Meter schadhafte Kanäle mit dem Berstlining-Verfahren saniert

Historie Berstlining gibt es seit Anfang der 80er-Jahre, die Stadt Backnang hat das BerstliningVerfahren das erste Mal im Jahr 1996 für die Erneuerung eines schadhaften Abwasserkanals eingesetzt. Seitdem hat Backnang etwa 2500 Meter schadhafte Abwasserkanäle im Berstlining-Verfahren erneuert. Die Stadt Backnang setzt für das Berstlining-Verfahren eine Nutzungs- und Abschreibungsdauer von 65 Jahren ein.

Berstkörper Beim Berstlining wird ein Konus mit einem Seil durch die Sanierungsstrecke gezogen. Der Berstkörper bricht das Rohr auf, verdrängt dieses in das umgebende Erdreich und weitet den Berstkanal auf den erforderlichen neuen Durchmesser auf. Nach dem abgeschlossenen Berstvorgang werden im Bereich der punktuellen Baugruben die neuen Schachtbauwerke hergestellt und die Anschlusskanäle wieder an den Hauptkanal angeschlossen. Je nach Erfordernis werden statische Zuglafetten (Zugeinheiten) mit einer Zugkraft von 40 bis 250 Tonnen eingesetzt. Ein Beispiel: In der Frankfurter Straße wird das bestehende Steinzeugrohr mit einem Durchmesser von 20 Zentimetern von einem Berstkörper mit einem Außendurchmesser von 39 Zentimetern aufgebrochen. Im gleichen Zuge wird ein neues Rohr aus Polyethylen mit einem Außendurchmesser von 35,5 Zentimeter eingezogen.

Materialien Es können alle Rohrmaterialien geborsten werden, selbst Stahlbeton -, Guss- oder Kunststoffrohre. Das Berstlining-Verfahren ist schnell. An einem Tag können Strecken von bis zu 300 Metern in einem Arbeitsgang geborsten werden. Es ist daher anliegerfreundlicher und spart Immissionen im Vergleich zur offenen Bauweise.