Neue „Stromautobahnen“ für die Energiewende

Von Von Helge Toben und Andreas Hoenig, dpa

dpa Dortmund/Bonn. Der Stromnetzausbau spielt eine zentrale Rolle bei der Energiewende. Höchstspannungsleitungen sollen klimaneutral erzeugten Strom dorthin bringen, wo er gebraucht wird. Doch der Ausbau dauert.

Neue „Stromautobahnen“ für die Energiewende

Tunnelvortriebsrohre auf einer Baustelle für die geplanten Stromautobahn Suedlink in der Nähe des Umspannwerks Großgartach in Baden-Württemberg. Foto: Marijan Murat/dpa

Damit im Norden erzeugter Grünstrom besser in den Süden Deutschlands kommt, sollen neue Leitungen her - und nicht nur dafür. Planung und Bau dieser „Stromautobahnen“ sind jedoch aufwendig und teuer.

Auf der Agenda der Ampel-Koalition steht der Netzausbau weit oben: „Strom- und Wasserstoffnetze sind das Rückgrat des Energiesystems der Zukunft“ heißt es im Koalitionsvertrag. Doch wo steht der Ausbau der Stromnetze und wie kommt er voran?

Warum sind neue Stromleitungen überhaupt nötig?

Damit zum Beispiel in der Nordsee erzeugter Windstrom jederzeit nach Baden-Württemberg fließen kann, wo er nach dem Wegfall von Kohle- und Atomstrom gebraucht wird. In einigen Regionen übersteigt der von Sonne, Wind oder Biomasse erzeugte Strom die Kapazität der bestehenden Leitungen. Die Folge: Netzengpässe. Erzeugungsanlagen müssen zeitweise vom Netz genommen werden, der grüne Strom bleibt ungenutzt. Gleichzeitig müssen Kraftwerke „hinter“ dem Engpass einspringen, was zusätzliche Kosten verursacht.

Hinzu kommt: „Die Stromerzeugung wird vielfältiger und dezentraler“, betonen die für den Betrieb des sogenannten Übertragungsnetzes zuständigen vier Firmen Amprion, TransnetBW, 50Hertz und Tennet. Der Grund: Immer mehr kleine Stromerzeugungsanlagen wie Windparks müssen an das Netz angeschlossen werden. Auch werde Deutschland künftig deutlich mehr grenzüberschreitenden Stromhandel sowie Stromtransport abwickeln als andere Länder.

Wie viele Leitungen sollen neu gebaut werden?

Im Moment stehen auf den Vorhabenlisten mehr als 100 Projekte mit einer Gesamtlänge von über 12 000 Kilometern. Erst gut 1800 Kilometer davon sind schon in Betrieb, knapp 700 Kilometer sind in Bau. Der Rest wird noch geplant. Das bestehende Höchstspannungsnetz umfasst bereits über 35.000 Kilometer. Zum Vergleich: Das deutsche Autobahnnetz für den Straßenverkehr kommt auf gut 13.000 Kilometer. Neu- und Ausbau der Stromleitungen kosten viel Geld. Allein für den Ausbau des Übertragungsnetzes rechnet die Bundesnetzagentur bis 2030 mit 55 Milliarden Euro.

Welche Vorhaben gelten als besonders wichtig?

Im Moment die drei großen Nord-Süd-Vorhaben im Westen, in der Mitte und im Osten, die mit A-Nord/Ultranet, Suedlink und Suedostlink bezeichnet werden. Sie sind jeweils gut 500 bis knapp 700 Kilometer lang und sollen als Erdkabel zumeist Gleichstrom mit 380.000 oder gar bis zu 525.000 Volt Spannung transportieren. Die Bauarbeiten haben aber noch nicht begonnen.

Wann sollen sie fertig werden?

Nach mehreren Terminverschiebungen war das zuletzt 2026 geplant. Bei Ultranet (Osterath-Philippsburg) soll das auch klappen, sagen die Übertragungsnetzbetreiber. Für den nördlichen Teil der Strecke, Nord A (Emden-Osterath), ist jetzt 2027 vorgesehen. Durch die Leitung Suedostlink soll 2027 der erste Strom fließen. „Wir werden alles in unserer Macht Stehende unternehmen, damit Suedostlink ab 2027 einsatzbereit ist“, so die Betreiber. Beginnen soll der Bau 2024. Suedlink soll jetzt bis Ende 2028 Strom von Nord- nach Süddeutschland transportieren. „Dabei handelt es sich zwar um einen weiterhin ambitionierten Zeitplan, er ist nach unserer aktuellen Planung aber auch realistischerweise zu erreichen“, sagt ein Sprecher. Beschleunigungsmaßnahmen seien eingeleitet worden. Für alle Projekte gilt: „Es müssen nun alle Anstrengungen unternommen werden, um weitere Verzögerungen zu vermeiden“, sagt der Präsident der Bundesnetzagentur, Jochen Homann.

Was ist mit den vielen anderen Projekten?

Der weitaus größte Teil der Projekte befindet sich im Zeitplan, sagen die Netzbetreiber. Trotz bestehender Hemmnisse sei der Ausbau in den vergangenen Jahren gut vorangekommen. Sie betonen jedoch, dass es sich um komplexe Infrastrukturprojekte handelt. So müsse etwa bei der Untersuchung von Leitungsverläufen jede in Betracht kommende Alternative untersucht werden. „Bei der Kartierung von Pflanzen und Tieren sind wir beispielsweise auf Vegetations- und Brutzeiten angewiesen. Genehmigungsverfahren dauern länger durch zusätzliche Untersuchungen“, so die Betreiber.

Auch hätten in der Vergangenheit Gesetzesänderungen zu Verzögerungen geführt, weil anschließend Verfahren neu gestartet werden mussten, etwa durch die Umstellung von Freileitung auf Erdkabel. Die Bundesnetzagentur stellt außerdem fest: „Vor Ort gibt es weiterhin Widerstand von Kommunen, Bürgerinitiativen und mit der Festlegung der Erdverkabelung auch von Landwirten.“

Was sagen Umweltschützer zu den Ausbauplänen?

Der Nabu betont, dass der Stromnetzausbau zwar hilft, erneuerbare Energien besser zu integrieren, jedoch auch Risiken für die Natur berge. „Investitionen und Planungsbeschleunigung der europäischen Energieinfrastruktur müssen Klima- und Naturschutz gewährleisten“, so ein zentrale Forderung der Umweltschutzorganisation.

Für den BUND wiederum ist der vorgesehene Netzausbau „vollkommen überdimensioniert“. Die Umweltschützer berufen sich auf eine im April 2021 vorgelegte Studie, wonach eine dezentrale Erzeugung grünen Stroms, also möglichst nahe an den Verbrauchsorten, deutlich kostengünstiger sein soll als die bisherigen Ausbaupläne. „Für eine dezentrale Energiewende - ohne überdimensionierten Netzausbau“ spricht sich auch der Bundesverband der Bürgerinitiativen gegen Suedlink in einem Brief an Bundeswirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Grüne) vom Januar aus. Kritisiert wird darin, dass Planungsverfahren zuletzt „auf Kosten der Bürgerbeteiligung und des Umweltschutzes massiv beschleunigt worden“ seien.

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