Die Koalition hat sich auf ein neues Gesetz zur Wehrpflicht verständigt. Was gilt nun? Und: Reicht das?
Ausbildung bei der Bundeswehr: Nur wenn sich nicht genug Freiwillige finden, kann eine Pflicht zum Dienst folgen.
Von Tobias Heimbach
Es war eine Einigung am runden Geburtstag: Am Mittwoch wurde die Bundeswehr 70 Jahre alt und am selben Abend einigten sich Union und SPD auf ein neues Wehrdienstgesetz. Eine Pflicht zum Dienst sieht dieses nicht vor. Unionsfraktionschef Jens Spahn (CDU) nannte die Einigung am Donnerstagmorgen ein „gutes Ergebnis“, sein SPD-Gegenpart Matthias Miersch sagte, dies sei ein „sehr, sehr gutes Gesetz.“ Worauf hat sich die Koalition geeinigt? Ein Überblick.
Was steht 18-Jährigen bevor?
Deutsche Staatsbürger, die im kommenden Jahr 18 Jahre alt werden, bekommen ab Januar Post von der Bundeswehr. Das Schreiben verweist sie zu einem Internet-Fragebogen. Frauen können diesen beantworten, für Männer ist das verpflichtend. Dieser Fragebogen soll etwa Motivation und Eignung erfassen, heißt es in einem von den Fraktionen verbreiteten Papier.
Wer wird gemustert?
Nach und nach alle 18-jährigen Männer und die Frauen, die sich freiwillig melden. Die Musterungszentren stellt sich Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) nicht als „staubige Amtsstuben“ wie früher vor, sondern „sehr modern, sehr hell, sehr freundlich.“ Dazu sollen bald Räume in Stadtzentren in ganz Deutschland angemietet werden. Nach den Untersuchungen soll laut Aussage von Pistorius den jungen Menschen auch gesagt werden, welche Aufgabe ihnen bei der Bundeswehr angeboten werden kann. Falls jemand mit seinem Profil nicht in die Streitkräfte passt, soll dort auch über ein Engagement im Zivil- oder Katastrophenschutz informiert werden.
Was soll den Freiwilligen geboten werden?
„Wer freiwillig dient, erhält rund 2600 Euro brutto monatlich“, heißt es in dem Einigungsdokument. Zum Vergleich: Aktuell liegt der Grundsold für einen freiwillig Wehrdienstleistenden bei rund 1800 Euro brutto. Ab einer Verpflichtungszeit von einem Jahr soll künftig ein Zuschuss zu einem PKW- oder LKW-Führerschein gewährt werden.
Wie schnell soll die Bundeswehr wachsen?
Neu ist, dass es nun Jahr für Jahr „Aufwuchskorridore“ für das Personal der Bundeswehr geben soll. Dafür hatte sich insbesondere die Union starkgemacht. 2026 sollen demnach 186 000 bis 190 000 Soldaten dienen. Aktuell sind es etwa 184 000. Bis 2035 will man einen Korridor zwischen 255 000 und 270 000 erreichen. Auch die Reserve, die sich auch aus denjenigen speist, die Wehrdienst geleistet haben, soll wachsen: von aktuell rund 50 000 auf mindestens 200 000 im Jahr 2035.
Was passiert, wenn die Ziele nicht erreicht werden?
Das Verteidigungsministerium wird den Bundestag alle sechs Monate darüber informieren, wie es um die Personalzahlen der Bundeswehr steht. „Sobald wir erkennen, dass wir nicht im Plan sind, muss man ganz schnell reagieren“, sagte der stellvertretende Unionsfraktionschef Norbert Röttgen (CDU). „Einen Automatismus zur Aktivierung der Wehrpflicht wird es nicht geben“, stellen die Fraktionen im Einigungspapier klar. Hier hatte sich die Union mehr Verbindlichkeit gewünscht.
Wann kann es zu einer Pflicht zum Dienst kommen – und was ist mit dem Losverfahren?
Sollten die Personalziele nicht erreicht werden, kann es als „Ultima Ratio“ zu einer Einführung der sogenannten Bedarfswehrpflicht kommen. Dabei betonte SPD-Fraktionsvize Siemtje Möller: „Allein der Bundestag entscheidet per Gesetz über die Einführung einer Bedarfswehrpflicht.“ Ursprünglich wollte Pistorius das allein per Verordnung entscheiden. Die genaue Ausgestaltung wird ein separates Gesetz erfordern. Wenn der Bedarf an Soldaten dann nicht aus Freiwilligen gedeckt werden kann, ist ein Losverfahren vorgesehen.
Was ist mit anderen Freiwilligendiensten neben dem Wehrdienst?
Anders als zunächst vorgesehen, sollen mit dem neuen Gesetz auch zivile Freiwilligendienste gestärkt werden. Schon im Anschreiben an die 18-Jährigen soll nicht nur auf die Bundeswehr, sondern auch auf andere Möglichkeiten verwiesen werden. Caritas-Präsidentin Eva Welskop-Deffaa begrüßte diese Einigung: „Die Koalition macht damit einen großen und wichtigen Schritt auf die jungen Menschen zu und signalisiert, dass der Dienst im Bevölkerungsschutz und in einem Altenheim für die Krisenresilienz und den Zusammenhalt der Gesellschaft genauso wertvoll ist wie der Dienst in der Landesverteidigung.“ Nach Angaben der SPD sollen mehr als 15 000 neue Stellen bei den Freiwilligendiensten geschaffen werden. Das Geld dafür sollte noch in der Bereinigungssitzung in der Nacht zum Freitag in den Bundeshaushalt für 2026 eingestellt werden. Eine solche „finanzielle Absicherung“ forderte auch die Caritas.
Reicht das, um Deutschland verteidigungsfähig zu machen?
Das ist die Frage, die offen bleibt – im Zweifel aber auch noch nicht zu beantworten ist. In der Expertenanhörung am Montag hatten mehrere Sachverständige angesichts der Bedrohung durch Russland für einen schnelleren Aufwuchs plädiert. Klar ist auch: Im Spannungs- oder Verteidigungsfall gilt ohnehin wieder die allgemeine Wehrpflicht.