Neujahrsempfang im Filmstudio

Die Veranstaltung der IHK-Bezirkskammer Rems-Murr konnte wieder nicht in Präsenz stattfinden und wurde via Livestream digital verbreitet. Vier Talkgäste sprachen mit dem Moderator Michael Antwerpes über Wohnungsmangel und ließen sich drei gute Tropfen schmecken.

Neujahrsempfang im Filmstudio

Eine edle Cuvée aus Merlot, Cabernet und Lemberger zum Abschluss: Michael Antwerpes (von links), Markus Beier, Claus Paal, Nicole Razavi, Axel Ramsperger und Richard Sigel prosten den Zuschauern via Kamera im Kernener Studio zu, von wo aus der Neujahrsempfang der IHK Rems-Murr digital übertragen wurde. Foto: IHK

Von Bernhard Romanowski

Rems-Murr. Neujahrsempfang im neuen Gewand oder besser gesagt im neuen Format: Diesmal beging die Bezirkskammer Rems-Murr der Industrie- und Handelskammer (IHK) den Jahresauftakt nicht wie in den Vorjahren im Backnanger Bürgerhaus oder der Fellbacher Schwabenlandhalle, sondern quasi im virtuellen Raum. Coronabedingt musste man erneut umplanen und tat dies laut dem Geschäftsführer der Rems-Murr-Kammer, Markus Beier, dann im vergangenen Jahr auch rechtzeitig genug, um die digitale Veranstaltung vernünftig und ansprechend umsetzen zu können.

„Digital“ und „virtuell“ klingt allerdings immer so, als wenn man es mit pixeligen Grafikfiguren oder Computerspielcharakteren in einem Fantasiereich zu tun hätte. Tatsächlich aber agierten keine Avatare oder die Super-Mario-Brothers via Livestream, sondern lebendige Menschen in einem Studio der Produktionsfirma MLC Group in Kernen im Remstal.

Zum Thema Wohnungsmangel begrüßte SWR-Moderator Michael Antwerpes dort die Talkgäste Claus Paal, Präsident der IHK-Bezirkskammer Rems-Murr, Nicole Razavi, baden-württembergische Ministerin für Landesentwicklung und Wohnen, und Richard Sigel, Landrat des Rems-Murr-Kreises, sowie den Vorstandsvorsitzenden des Verbands Immobilienwirtschaft Stuttgart IWS, Axel Ramsperger. Livestream hieß in diesem Fall, dass sich die Besucher mit einem empfangsbereiten Gerät über einen Link einwählen und so dem Neujahrsempfang beiwohnen konnten, was die meisten Zuschauer wohl im heimischen Wohnzimmer getan haben dürften. Das Gala-Ambiente leidet darunter freilich etwas, weil der Applaus eines großen Publikums in festlicher Kleidung ausbleibt. Das hat aber den Vorteil, dass man ungezwungen zu Hause sitzen und sich zwischendurch etwas zu trinken holen oder einem Bedürfnis nachgehen kann, ohne den Sitznachbarn über die Füße zu stolpern. Apropos trinken: Eine Weinverkostung gehörte auch zum Programm. Daniel Hasert, namhafter Sommelier aus Winterbach, stellte drei Weine vor, einen Riesling und zwei Rotweine aus dem Remstal. Grundsätzlich gestaltet sich eine Online-Weinverkostung eher etwas schwierig, weil das Geschmacksfernsehen noch nicht erfunden wurde und man nur anhand der Ausführungen des Sommeliers erahnen kann, wie der gute Tropfen denn nun tatsächlich schmeckt.

Doch konnte man die Weine vorab erwerben und nach Hause liefern lassen, um sie sich hernach kennerhaft schmatzend wie der Sommelier Hasert und der Moderator Antwerpes auf der Zunge zergehen zu lassen. Zwei musikalische Unterhaltungsblöcke gab es ebenfalls in der Internetsendung. Dazu hatte die IHK den Stuttgarter Musiker Ben Jud und die Youtuberin Jenny Marsalla verpflichten können, die im Duett den Song „Lucky“ von Jason Mraz und das Stück „Shallow“ sangen, bekannt aus dem Film „A Star is born“ mit Lady Gaga und Bradley Cooper. Auch ein Abstecher zum Stuttgarter Flughafen wurde beim Neujahrsempfang gemacht. In einem Flugzeugsimulator stand IHK-Präsident Paal dem Moderator bei einem kurzen Interview zum Auftakt der Übertragung Rede und Antwort. Paal, studierter Ingenieur und Fan der Luftfahrt, sieht in Flugzeugen als anspruchsvolle Technikobjekte ein Synonym für Baden-Württemberg: nämlich starke Technik und Innovationskraft. Der IHK-Chef ließ noch einmal die IHK-Aktivitäten vom vergangenen Jahr Revue passieren, als die Kammer Rems-Murr die Soforthilfen für die Unternehmen zusammen mit Land und Bund auf den Weg und an den Mann brachte. Im Ausblick auf das laufende Jahr sieht Paal, wenn auch weiterhin überschattet vom Thema Corona, den Fachkräftemangel, die Digitalisierung und künstliche Intelligenz sowie den Liefermangel als besondere Herausforderungen für die Wirtschaft im Land. Selbstverständlich hatte Paal auch einiges zum eigentlichen Thema des Neujahrsempfangs, also zum Wohnungsmangel, zu sagen. Das Thema sei sozialer Sprengstoff und sorge ihn. Auch sieht er hier die Unternehmen in der Verantwortung, sich für die Schaffung sozialen Wohnraums nicht zuletzt mit Blick auf die IT-Experten und Pflegekräfte zu engagieren, die dringend in der Region gebraucht würden.

Als „ein Riesenzukunftsthema und eine Herkulesaufgabe“ bezeichnete auch Nicole Razavi das Sujet, also nicht ohne einen Wink auf die Bedeutsamkeit des eigenen Anforderungsprofils im Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen, das als solches erst 2021 geschaffen wurde. Wichtig sei es nun, die richtigen Rahmenbedingungen für eine gedeihliche Entwicklung des Wohnungsmarkts unter den Vorgaben des Klimawandels, der steigenden Ressourcenknappheit und der Ansprüche seitens der Wirtschaft zu schaffen. Denn auch Razavi weiß nur zu gut, dass der zur Verfügung stehende Raum immer knapper und der Konflikt von Gewerbe und Industrie und Landwirtschaft sowie Wohnungsbaufirmen und Häuslebauern im Buhlen um Flächen immer stärker wird. Dazu brauche es dringend einen Abbau an Hemmnissen, so die Auffassung von Axel Ramsperger als Vertreter der Immobilienwirtschaft. Anträge schneller bearbeiten, somit mehr Flächen schneller als Bauland verfügbar machen, Restflächen besser nutzen und die Innenverdichtung vorantreiben, so sein Credo. Auch fehle es an regionaler Vernetzung über die ÖPNV-Verbindung, insbesondere über die Schiene, meint Ramsperger.

Der Neujahrsempfang endete mit einem erlesenen Roten

„Wir müssen die Bau- und Genehmigungsverfahren auf jeden Fall schneller machen“, räumte die Ministerin denn auch ein. Immerhin könne man seit diesem Jahr einen Bauantrag digital einreichen. Doch was nutzt das, wenn der dann nicht auch digital von der Behörde bearbeitet werden kann, fragte Landrat Richard Sigel. Rein statistisch gebe es 5000 Wohnungen zu wenig im Rems-Murr-Kreis, so Sigel. Insofern sei „das neue Ministerium zur rechten Zeit an den Start gegangen“, da viele junge Leute sich die Preise in der Region nicht mehr leisten könnten. Der Landkreis Rems-Murr baue gerade selbst 500 neue Apartmenthäuser und das sogar schneller als geplant.

Der Neujahrsempfang endete mit einem erlesenen Roten und gemütlichem Gläserklingen, als alle Akteure des Abends gemeinsam anstießen. Ob die Veranstaltung in diesem Format eine Wiederholung findet, wird die Pandemieentwicklung diktieren. Doch das Konzept, schwere Diskussionskost aus dem Wirtschaftsbereich in bekömmlicher Form zu präsentieren, wurde recht unterhaltsam umgesetzt und dürfte auch künftig tragfähig sein.