Lucha: Heime sollten Ausnahmeregelungen für Besuche nutzen

dpa/lsw Stuttgart. Das soziale Leben von Menschen in Pflegeheimen ist in der Corona-Krise stark eingeschränkt. Aber es gibt strenge Ausnahmen vom Besuchsverbot. Die sollten genutzt werden, sagt der Sozialminister. Und ein erster Träger will das auch tun.

Lucha: Heime sollten Ausnahmeregelungen für Besuche nutzen

Zwei pflegebedürftige Frauen sitzen in einem Pflegeheim in ihren Rollstühlen nebeneinander. Foto: Sebastian Kahnert/dpa-Zentralbild/dpa/Symbolbild

Keine Besuche und kaum Austausch, keine Verwandten halten die Hand, Gespräche sind nur am Telefon möglich. Für Senioren in Pflegeeinrichtungen sind die Folgen der strengen Corona-Auflagen erheblich. Und nur wenige Heime haben bisher die Verantwortung übernommen und Besuche unter strengsten Auflagen genehmigt. Nach Ansicht des baden-württembergischen Sozialministeriums sollten die Träger der Einrichtungen dagegen versuchen, Ausnahmeregelungen zu nutzen, sofern das möglich ist. Auch andere Rufe nach einer Öffnung werden lauter. Und erste Konsequenzen sind bereits angekündigt.

„Wir wollen ganz vorsichtig Kontakte wieder anbieten“, sagte Sozialminister Manne Lucha (Grüne) am Dienstag in Stuttgart. Allerdings sei der Grat zwischen Risiko und Lockerung sehr schmal. Konzepte für weitere Lockerungen sollen „in Kürze“ vorgelegt werden, kündigte der Minister an. Details oder einen konkreten Zeitplan nannte sein Ministerium nicht, es konkretisierte aber Angaben aus dem Haus vom Vortag.

Eine Arbeitsgruppe berät demnach Schritte und Handlungsempfehlungen. Die Erfahrungen der vergangenen Wochen haben nach Auskunft des Sozialministeriums aber gezeigt, dass auch vom bisherigen Besuchsverbot nur selten eine Ausnahme gemacht wird. „Dies ist auch nachvollziehbar, insbesondere zu Beginn der Infektionswelle, wo alles unternommen werden musste, um einen Infektionseintrag in die Heime möglichst zu vermeiden“, heißt es.

Doch mittlerweile habe sich in den Häusern vieles eingespielt. „Deshalb hat man die Einrichtungsträger, auch im Hinblick auf die künftigen geplanten Lockerungen, nunmehr explizit ermutigt, von den bestehenden Ausnahmeregelungen Gebrauch zu machen“, sagte eine Sprecherin des Ministeriums. Den Einrichtungen solle damit auch die Sorge genommen werden, dass sie falsch handeln könnten, wenn sie Besuche genehmigten.

Die Evangelische Heimstiftung, einer der größten Träger von Alten- und Pflegeheimen in Baden-Württemberg, sieht das ähnlich. Sie will das Besucherverbot in ihren Einrichtungen ab dem 4. Mai lockern. Es gebe inzwischen „praktische Erfahrungen damit, wie die Ausbreitung des Virus mit einem verantwortungsvollen und vorausschauenden Krisenmanagement eingegrenzt werden kann“, sagte Hauptgeschäftsführer Bernhard Schneider der „Heilbronner Stimme“ und dem „Mannheimer Morgen“ (Mittwoch). Daher sei es „richtig und sinnvoll, über eine schrittweise, verantwortungsvolle Öffnung für Pflegeeinrichtungen zu sprechen“. Für die Evangelische Heimstiftung betreuen im Südwesten aktuell rund 9200 Mitarbeiter in 86 Einrichtungen insgesamt etwa 5960 Bewohner.

Nach Ansicht der SPD schiebt das Sozialministerium die Verantwortung lediglich auf die Heimleitungen ab. Die Landesregierung erlasse ein grundsätzliches Besuchsverbot, überlasse Lockerungen in Einzelfällen und entsprechende Ausnahmen von der Corona-Verordnung aber den Heimträgern. Damit mache sich Lucha „einen schlanken Fuß“, kritisierte die Vize-Fraktionsvorsitzende der SPD, Sabine Wölfle. Den Pflegeeinrichtungen werde „der Schwarze Peter“ zugeschoben.

Die Regierung müsse zumindest in Beispielen deutlich machen, welche Vorsichtsmaßnahmen eine Ausnahmeregelung rechtfertigen könnten und welche nicht. „Denn wenn über die Ausnahmeregelung ein Virus in das Heim kommt und möglicherweise sogar Menschenleben fordert, geht es ganz schnell um Regress-, Schadenersatz- oder Schmerzensgeldforderungen“, sagte Wölfle.

Der Bischof der Evangelischen Landeskirche in Baden, Jochen Cornelius-Bundschuh, setzt sich dafür ein, Lockerungen auf alle Bewohner von Seniorenheimen ohne das Kriterium drohender Schäden auszuweiten. „Das muss für den engsten Kreis, also Ehepartner oder Kinder der Heimbewohner gelten“, sagte er. Verwandte in Schutzkleidung und mit Masken einer hohen Schutzstufe müssten die Chance bekommen, die Bewohner in ihren Zimmern zu treffen. Dabei dürften die Besucher nicht auf den Kosten für die vom Heim zur Verfügung zu stellende Ausrüstung sitzenbleiben. Der Theologe mahnte: „Wir dürfen den Schutz der Risikogruppe nicht nur technisch sehen. Wir müssen den Menschen in seiner Gesamtheit im Blick haben.“

Auch der Vorsitzende des Landesseniorenrats, Uwe Bähr, macht sich für eine Öffnung der Heime stark: „Die bisherigen Ausnahmeregelungen sind zu restriktiv gehandhabt worden“, sagte er. „Sie sollten offener ausgelegt werden.“ Die Gesellschaft müsse verstehen, „dass es in der Natur der Sache liegt, dass etwas passieren kann“.

Öffnung ja, aber nur mit ausreichendem Schutz, heißt es beim Paritätischen. Besuche in Pflegeheimen seien möglich, sofern die Schutzkonzepte stimmten. „Schon jetzt gibt es Konzepte in den Einrichtungen, Besuche von Familienmitgliedern zu ermöglichen“, sagte Mirko Hohm, der den Bereich Ältere Menschen und Pflege beim Paritätischen Baden-Württemberg leitet. „Das können Begegnungen auf dem Freigelände, vor dem Fenster oder der Veranda sein, immer mit der erforderlichen Schutzausrüstung und dem notwendigen Sicherheitsabstand.“ Das Land müsse aber dafür sorgen, dass es ausreichend Schutzausrüstungen und Covid-19 Tests gebe. „So können Ansteckungen verhindert und Besuche ermöglicht werden.“