Nur Katholiken und keinesfalls Frauen

Wer Mitglied werden darf, ist beim 1956 gegründeten Backnanger Karnevals-Club in den ersten 14 Jahren klar definiert. Der BKC ist der älteste Verein in der näheren Umgebung, die Narren in den Nachbarorten blicken auf eine teils deutlich kürzere Historie zurück.

Nur Katholiken und keinesfalls Frauen

Der Faschingsumzug des Sulzbacher Carnevalsvereins erfreute sich schon 1973 größter Beliebtheit. Martin Schetter, der langjährige Präsident und die treibende Kraft bei der Gründung, war in einem Auto an vorderster Front dabei. Bei der Elferratssitzung des Backnanger Karnevals-Clubs traten unter anderem Harald Richter, Walter Berninger und Ernst Skarpil (rechtes Foto, von links) auf. Fotos: privat

Von Steffen Grün

BACKNANG. Für den alten Brauch, es noch einmal so richtig krachen zu lassen vor der 40-tägigen Fastenzeit von Aschermittwoch bis Ostern, gibt es etliche Bezeichnungen. Hochburgen des Karnevals oder Faschings, der Fasnet oder Fastnacht finden sich vor allem in den ursprünglich katholisch geprägten Regionen. Dort aber, wo nach der Reformation die Protestanten den Ton angaben, fristete die Narretei lange Zeit ein Schattendasein – zumindest was organisierte Formen, etwa in Vereinen, betrifft. Das änderte sich auch in Backnang und den Umlandgemeinden langsam erst wieder, als nach dem Zweiten Weltkrieg viele Katholiken hier ihre neue Heimat fanden. Neben Flucht und Vertreibung spielten berufliche Aspekte eine Rolle: Zum Beispiel zog es viele Mitarbeiter der Firma Telefunken nach Backnang.

Letzteres traf auf Guido Freitag mit seiner Familie zu. Er engagierte sich in seiner Freizeit in der katholischen Pfarrgemeinde St. Johannes und wurde als Vorsitzender des Pfarrausschusses zu einem der wichtigsten Wegbereiter des Backnanger Karnevals-Clubs. „Angeregt durch eine Fernsehsendung, die am 11.11.1956 die Eröffnung des rheinischen Karnevals brachte“, habe sein Vater den Mitgliedern den Vorschlag unterbreitet, „jährlich zwei gesellige Veranstaltungen mit Tanz und Unterhaltung durchzuführen“, zitiert Peter Freitag aus den ihm vorliegenden Aufzeichnungen. „Eine davon sollte als Kostümfest während der Karnevalszeit stattfinden.“

Es war die BKC-Geburtsstunde, für die Organisation wurde ein Festausschuss gebildet. „Die Marsrakete“ lautete das Motto des ersten Kostümfestes am 16. Februar 1957, die Vereinschronik verrät: „Der Elferrat trägt dunkle Anzüge. Die Elferratsmützen sind aus Papier, die Orden aus Pappe.“ Der Plan, alle Eintrittskarten im Vorverkauf loszuwerden, ging laut Peter Freitag nicht so leicht auf, denn in dieser protestantisch geprägten Region „rümpfte manch einer die Nase“, sobald von der katholischen Pfarrgemeinde als Veranstalter die Rede war. Berührungsängste zwischen den Konfessionen, die sich schnell legten – bereits 1959 wurden den Machern die Tickets förmlich aus den Händen gerissen und „es herrschte eine drängende Fülle im Saal“, notierte Guido Freitag erfreut.

Daher gab es ab 1960 zwei Kostümfeste mit Elferratssitzung. Eine Erfolgsstory ihrer Vorgänger, die Gabi Kallfaß mit Stolz erfüllt. „Der BKC war durch die Maskenbälle im Saal der Christkönigskirche sehr bekannt“, sagt die seit 30 Jahren amtierende Präsidentin. Der Zuspruch ermunterte die damaligen Funktionäre dazu, mit Beginn der Sechziger den Sprung auf die große Bühne des alten Bahnhofhotels und heutigen Bürgerhauses zu wagen. Die Dekorationen wurden von Fest zu Fest aufwendiger, die vorbereitenden Arbeiten im Hause Freitag demzufolge auch. „Ich kann mich gut daran erinnern, dass mein Vater im Keller eine Glitzerkugel gebastelt hat. Sie wurde mit unzähligen Spiegelglaselementen beklebt, die vielleicht so groß wie zwei Briefmarken waren, und baumelte dann in der Mitte des Saales im Bahnhofhotel von der Decke“, sagt Peter Freitag.

Der Backnanger Karnevalsgruß: „Ha-no“ statt „Alaaf“ oder „Helau“.

Sein Bruder Thomas Freitag, einer der besten deutschen Kabarettisten, sammelte mit 16 Jahren in der Bütt erste Bühnenerfahrung. Aus den Anfangszeiten des BKC stammt auch der bis heute gültige Karnevalsgruß – statt „Alaaf“ und „Helau“ wie im Rheinland heißt es hier „Ha-no“. Ein traditioneller Ruf, aber in einem anderen Punkt ging der Verein doch mit der Zeit: Ab 1970 durften auch Frauen und Nichtkatholiken Mitglied werden. Gabi Kallfaß lacht, als sie das hört, da es längst Frauen sind, die den Ton angeben. Allen voran sie, Präsidentin seit 1990. Nicht zuletzt durch Garde- und Schautanz sind es inzwischen mehr weibliche als männliche Mitglieder, „auch die Konfession spielt keine Rolle mehr“, so Kallfaß. Der BKC decke als einer der wenigen Klubs im Ländle alle Bereiche ab – von Elementen des rheinischen Karnevals wie Prunksitzung und Gardetanz bis zu Formen der schwäbisch-alemannischen Fastnacht mit dem Backemer Träpplerbua und damit dem Brauchtum.

Die Jecken aus Backnang standen auch Pate bei Neugründungen in Nachbarorten, etwa beim Sulzbacher Carnevalsverein. Maria Schetter-Fluor, Tochter der SCV-Mitgründer Regina und Martin Schetter, erinnert sich, wie die Kooperation zustande kam. „Meine Mutter war als Funkenmariechen beim Faschingsball in Burgstall. Ihr Kostüm gefiel den Backnangern so gut, dass sie nach dem Musterschnitt fragten“, erzählt die 72-Jährige. „Mein Vater handelte mit Guido Freitag aus, dass sie ihn kriegen, wenn sie in Sulzbach eine Elferratssitzung ausrichten.“ 1965 feierte die Veranstaltung in Zusammenarbeit mit dem katholischen Werkvolk in der Turn- und Festhalle ihre Premiere. Im Jahr drauf trugen die Sulzbacher bereits die Hälfte des Programms bei, 1967 brauchten sie sogar nur noch minimale Hilfe aus Backnang. „Wir hatten eine Prinzengarde und einen Fanfarenzug gebildet, zudem hatten wir schon einige Büttenredner und einen Narrenchor“, berichtet Maria Schetter-Fluor. Beste Voraussetzungen, um auf eigenen Beinen zu stehen. Am 1. November 1967 wurde der Verein gegründet.

Später waren die Sulzbacher ihren Geburtshelfern aus Backnang manchmal sogar einen Schritt voraus. So bezogen sie ihr Vereinsheim im Teilort Lautern 1969, der BKC musste da noch 40 Jahre warten, bis er unter dem Viadukt eine echte Heimat hatte. Der erste Rathaussturm fand in Sulzbach am 10. Februar 1972 an einem „schmotzigen Donnerstag“ statt, in Backnang passierte es erst am 11. November 1978 und seitdem stets zum Auftakt der neuen Faschingssession. Ein Höhepunkt ist zudem der Umzug am Faschingsdienstag, den einst Martin Schetter zum ersten Mal auf die Beine stellte und der schon damals mit über 1000 Hästrägern, Musikzügen oder Garden eine Riesensache war.

Maria Schetter-Fluors Vater stand wiederum mit Rat und Tat zur Seite, als die Murrhardter eine Narrenzunft gründeten. Seit 1983 gibt’s die Murreder Henderwäldler, ein Jugendstreich war der Ursprung. Vier Jahre vorher bildeten elf Jungs eine Maskengruppe, die Narrenfreunde Murrhardt. In aller Frühe zogen sie am schmotzigen Donnerstag zum „Fasnetswecken“ als „Hemdglonker“ – also in Nachthemden –– durch die Stadt und machten einen Riesenkrach. Sie beteiligten sich auch an den Faschingsumzügen des Stadtjugendrings, wurden mit ihren Häs und Masken aber noch als Exoten belächelt. Weil die schwäbisch-alemannische Fastnacht in Murrhardt immer mehr Interesse weckte, wurde der Verein aus der Taufe gehoben. Mittlerweile dürfen die Henderwäldler als einer von nur vier Vereinen ihres Landesverbands das Logo tragen, das die schwäbisch-alemannische Fastnacht als nationales immaterielles Kulturerbe ausweist.

Nur Katholiken und keinesfalls Frauen

Nur Katholiken und keinesfalls Frauen

Die Murreder Henderwäldler gibt es erst seit 1983, doch in der ehemaligen Klosterstadt Murrhardt hatte die Narretei immer ihre Anhänger. Dasselbe gilt auch für den bis 1971 selbstständigen Stadtteil Fornsbach, wie das Foto von der Fastnacht im Jahre 1926 beweist.

Einige noch recht junge Vereine

Fast so alt wie der Backnanger Karnevals-Club ist der 1957 gegründete Faschingsverein Burgstetten. 1967 kamen mithilfe der Narren aus der Murr-Metropole zwei weitere Vereine in der Region dazu: Neben dem Sulzbacher Carnevalsverein war es der Unterweissacher Carnevals-Club, der anfangs so eng mit den Backnangern verbandelt war, dass deren Frontmann Guido Freitag die ersten vier Sitzungen im Täle leitete.

Seit 1983 gibt es die Narrenzunft in Murrhardt, die „Murreder Henderwäldler“. 1995 wurde die Narrenzunft Weissacher Täle ins Leben gerufen, die 1999 in Narrenzunft Althütte umbenannt wurde. Es folgten die Reichenberger Burghexen in Oppenweiler (2004), die Freie Narrenzunft Spiegelberger Wetzstoi-Hexa (2015) und die Narrenzunft Auenwald (2017). Der Guggenmusik widmen sich die Monsterheuler in Großerlach, deren Anfänge ins Jahr 2010 zurückreichen.