In der Talkrunde von Ingo Zamperoni wechseln im Studio nur wenige Befürworter der Wehrpflicht ins Contra-Lager. Bestraft die Pflicht junge Leute?
Ingo Zemperoni moderierte die Sendung (Archivbild).
Von Christoph Link
Mit der Sendung „Was Deutschland bewegt“ hat „Hart-aber-Fair“-Moderator Ingo Zamperoni ein voll mit Argumenten gespicktes Format in die ARD gebracht: Am Montag ging es vor 100 aktiv beteiligten Studiogästen um die Frage, ob Deutschland eine Wehrpflicht brauche oder nicht, und die Ausgangslage am Anfang der Sendung war eindeutig: 22 waren dagegen, 74 dafür.
Dann aber setzte der Argumentenreigen ein – befeuert von den Moderatoren Anna Planken (gegen Wehrpflicht) und Ralph Caspers (dafür). Schon nach wenigen Minuten ging ein lautes Raunen durchs Studio. Ein junger Mann hatte klipp und klar erklärt, er selbst sei nicht bereit sein Leben zu opfern für die Verteidigung „von Landesgrenzen und Herrschaftsgebieten“. Und die Ukraine habe „sich selbst keinen Gefallen getan“ mit der Entscheidung, gegen Putins Armee zu kämpfen, der Krieg sei jetzt schlimmer als eine Besatzung.
Das stieß dann auf allgemeine vernehmbare Ablehnung der großen Mehrheit im Studio und ein Studiogast erinnerte an die Massaker von Butscha und Putins Folterkeller dort: „Da vertauschen Sie ja Opfer und Täter. Der Angriffskrieg ging von Putin aus. Ich jedenfalls bin bereit, meine Freiheit und die Menschenrechte zu verteidigen“, meinte der Gegenredner.
Wehrpflicht: Mit Rucksack durch die Heide?
Deutschland verteidigen, das will auch die Wehrpflichtgegnerin Anna Planken. Auch sie will eine starke Bundeswehr, aber sie zweifelt angesichts der neuen Kriegsführung mit Drohnen daran, ob es sinnvoll ist, massenhaft junge Leute „mit schwerem Rucksack durch die Lüneburger Heide marschieren zu lassen und zu lernen, wie man sein Bettzeug ordentlich faltet“.
Wichtiger sei, dass die Bundeswehr Spezialisten für den Drohnenkrieg gewinne. „Wir brauchen Hightech und keine massenhafte Anwerbung.“ Man möge die jungen Leute doch besser ihr Studium oder ihre Ausbildung machen lassen.
Räume müssen verteidigt werden
Aus dem Publikum kam da gleich Widerspruch. Stell dir vor es sei Krieg und keiner gehe hin, zitierte ein Studiogast den altbekannten Friedensspruch, ergänzte ihn aber mit dem Zusatz, dann habe er irgendwann den Putin hier „Zu Hause“. Ein anderer argumentierte ähnlich: Wenn er an dann Europa in 20 Jahren denken, dann sollten das Länder sein, „in denen kein russischer Soldat was zu suchen hat“.
Ein Mann mittleren Alters hatte noch bei der NVA in der DDR gedient: Er habe das Militärhandwerk gelernt und daher wisse er, dass Räume „erobert, verteidigt und gesichert werden“ müssten. „Und dazu brauche ich Leute.“
Für Ralph Caspers war das das Stichwort: „Putin hat den Westen zu seinem Feind erklärt. Wir brauchen eine starke Armee mit mehr Soldaten.“ Die Bundeswehr wachse seit Jahren nicht mehr, sie habe jetzt 180.000 Soldaten, in den nächsten Jahren soll die Zahl auf 203.000 wachsen, nach Nato-Vorgaben sogar auf 260.000. Mit Freiwilligkeit sei das nicht zu schaffen. Putin wolle seine Armee auf 1,5 Millionen Soldaten aufbauen.
Und dann ließ Caspers auf dem Studioparkett zwei Lager bilden: Auf der einen Seite standen elf Personen (die deutsche Bundeswehr), auf der anderen standen 89 Personen (die russische Armee) – es war ein recht beeindruckendes Bild von den Größenverhältnissen. Wer das Recht auf Freiheit und Demokratie im Westen genieße, der habe auch die Pflicht, es zu verteidigen, so sein Argument.
Wehrpflicht: Zwang hat keinen Sinn
Die Einwände aus dem Publikum waren vielfältig. So meinten einige, sie seien für Freiwilligkeit und eine attraktivere Bundeswehr mit besserem Sold, denn unter Zwang würden die Menschen nur „halbherzig“ beim Bund dienen. Nur selbstbestimmte Personen würden das Land gut verteidigen können.
Einer widersprach und sagte, es gebe ja auch andere Pflichten wie Gurtpflicht oder Schulpflicht oder die Pflicht zum Maskentragen in der Coronazeit. Ob er jetzt wirklich die Wehrpflicht mit der Gurtpflicht vergleichen wolle, fragte da ein konsternierter Moderator Zamperoni.
Wobei Pflichtgegnerin Anna Planken ähnliche Vergleiche zog: Die Wehrpflicht sei ein Freiheitsentzug, und den habe es während der Corona-Pandemie auch gegeben. Planken stellte die These auf, dass die jungen Leute schon während der Lockdowns in der Pandemie „viel geopfert“ hätten, um die älteren zu schützen.
Überhaupt sieht sie die Generationengerechtigkeit in Gefahr. Die älteren hinterließen den Jungen die Klimakrise, eine Rekordverschuldung und eine leere Rentenkasse. Und nun also auch noch die Wehrpflicht aufbürden? „Die Wehrpflicht ist ungerecht, denn die junge Generation hat schon sehr viel geopfert“, meinte Planken. Die Älteren sollten sich fragen, was sie denn als Kompensation anbieten könnten: einen Boomer-Soli? Einen Rentenverzicht um zehn Prozent? Ein soziales Pflichtjahr für Rentner?
Der Wohlstand kommt von den Älteren
Eine ältere Zuschauerin wollte diese Ansicht so nicht stehen lassen. Die Jungen könnten auch einen Beitrag zur Erhaltung des Wohlstands leisten, den die Älteren aufgebaut hätten.
Von einer Rückkehr zur allgemeinen Wehrpflicht verspricht sich Ralph Caspers auch, dass Gesellschaft und Bundeswehr wieder näher zusammenrücken und dass die Soldaten wieder mehr Respekt erfahren. Der frühere Bundespräsident Horst Köhler habe das Verhältnis der Gesellschaft zur Bundeswehr einmal als „freundliches Desinteresse“ bezeichnet. Das könnte verbessert werden.
Das schlagendste Argument aber für Casper ist, dass sich seit der Aussetzung der Wehrpflicht vor 14 Jahren „die Welt komplett geändert“ habe: „Wir haben Krieg in Europa.“
Anna Planken fragte in ihrem Schlusswort, ob ein Staat von seinen Bürgern wirklich den Wehrdienst als Pflicht – und damit gegebenenfalls das Töten – verlangen könne, solange er nicht alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft habe. In Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden gebe es jedenfalls keine Wehrpflicht. „Haben wir alles ausgeschöpft?“, fragte Planken.
Das von Zamperoni am Ende der Sendung erhobene Meinungsbild gab nur eine leichte Verschiebung: Das Lager der Gegner einer Wehrpflicht wuchs von 22 auf 27, die Menge der Befürworter verkleinerte sich etwas von 74 auf 70.