Özdemir widmet das Urteil allen Opfern Erdogans

Rechtsstreit vor dem Berliner Amtsgericht um eine Twitter-Nachricht des Grünen-Politiers: Deutsche Lobbyisten des türkischen Staatschefs der Lüge überführt

Von Franz Feyder

Berlin An manchen Tagen muss Cem Özdemir einiges aushalten. Das gilt vor allem dann, wenn der Grünen-Politiker seine Meinung auf 140 Zeichen zuspitzt und über den Kurznachrichtendienst Twitter verbreitet. Dann ist programmiert, dass Özdemir Stürme auslöst: „Du als Möchtegern Deutscher kannst eigentlich nichts anderes als Türkeipolitik. Es ist schon traurig, dass die Biodeutschen dein Brot zahlen für deutsche Politik. Heuchler“, schmäht „Tuncay Colak“, als Özdemir am Sonntag auf die Kommunalwahlen in der Türkei hinweist und sich wünscht, dass „Erdogan die Ergebnisse ohne Manipulation akzeptiert“.

Im vergangenen Jahr zog sich der Stuttgarter Bundestagsabgeordnete ebenfalls mit einem Tweet den Unmut von Erdogan-Getreuen zu: „Razzien bei Osmanen Germania und UETD: Es darf in Deutschland keinen bewaffneten Arm Erdogans geben.“ Eine Äußerung, die die Lobbyisten des türkischen Staatspräsidenten in Deutschland auf die Palme brachte. Der Nachfolgeverein der Union der Europäisch-Türkischen Demokraten (UETD), die in Köln ansässige Union der Internationalen Demokraten (UID), klagte vor dem Berliner Landgericht: Özdemir solle bei einer Strafandrohung von 250 000 Euro oder sechs Monaten Haft diese Aussage nicht mehr wiederholen dürfen.

Özdemir hatte sich bei seinem Tweet auf die Berichterstattung unserer Zeitung zu bundesweiten Razzien bei Mitglieder der inzwischen verbotenen, rockerähnlichen Gruppe Osmanen Germania Boxclub bezogen. In Baden-Württemberg hatten Polizisten unter anderen die Mannheimer Wohnung des UETD-Vorsitzenden Rhein-Neckar, Yilmaz Ilkay Arin, durchsucht. Er, so belegen es Abhörprotokolle der Polizei, gilt als Schlüsselfigur bei der Bewaffnung der in Deutschland lebenden Osmanen durch hochrangige Mitglieder der türkischen Regierungspartei AKP und des türkischen ­Geheimdienstes MIT.

Arin, so behauptete die Anwältin der UID, sei nicht mehr Vorsitzender seines Mannheimer Regionalvereins: Der windige 34-Jährige sei bereits 2015 von diesem Amt abgerufen worden. Eine faustdicke Lüge: Arin ist selbst in einem am Sonntag aufgerufenen Eintrag des Vereinsregisters des Mannheimer Amtsgerichts noch als Vorsitzender der UETD Rhein-Neckar eingetragen; verfügt mithin juristisch über alle Rechte und Pflichten eines Vorsitzenden – kontrolliert die Finanzen. Insofern wiesen die Richter die Argumentation der UID-Anwältin zurück.

Für Özdemirs Anwalt Christian Schertz ein bemerkenswertes Urteil der 27. Zivilkammer. Der Berliner Medienanwalt erkannte in der Klage „einen Versuch der UID, den deutschen Rechtsstaat dafür zu instrumentalisieren, Meinungsfreiheit zu beschneiden und Kritiker mundtot zu klagen“. Es spreche für den Rechtsstaat Deutschland, dem nicht Raum zu geben.

Nach der gemeinsamen Berichterstattung des ZDF, der „Neuen Züricher Zeitung“ am Sonntag und unserer Zeitung über Erdogans gewaltbereites, bewaffnetes Netzwerk in Deutschland hatte es immer wieder Einschüchterungsversuche gegenüber den berichtenden Journalisten, aber auch Politikern wie Özdemir oder der Linke-Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen gegeben. Die Bundesregierung vermied bisher, das Thema des von Erdogan geschaffenen Netzwerkes offen gegenüber der Türkei anzusprechen. Vor diesem Hintergrund bescheinigt Schertz den Richtern des Berliner Landgerichts, mit ihrer Entscheidung ein „Urteil für die Meinungsfreiheit in einem demokratischen Rechtsstaat gesprochen“ zu haben.

Özdemir fühlt sich durch den juristischen Schlagabtausch mit den Lobbyisten des türkischen Präsidenten gestärkt: „Man könnte auch sagen, ich habe dieses Verfahren quasi gegen Erdogan gewonnen. Schließlich sind es seine Anhänger, die mich zum Schweigen bringen wollen. Ich widme daher dieses Urteil all seinen Opfern in der Türkei sowie außerhalb des Landes.“