„Ohne Computer geht heute nichts mehr“

Tausende Lehrlinge beginnen dieser Tage ihre Ausbildung – Wie war die Lehrzeit früher? – Vier Ausbilder erinnern sich

Am 1. September ist Ausbildungsstart für junge Menschen, die einen Beruf erlernen wollen. Wie war die Lehrzeit vor 10, 20 oder gar 50 Jahren? War früher alles besser? Wir haben nachgefragt. Vier Ausbilder erinnern sich an ihre eigene Lehrzeit und vergleichen diese Jahre mit der heutigen Ausbildungszeit.

„Ohne Computer geht heute nichts mehr“

Ausbilder, Auszubildender und Ausbilder (von links): Jonas Wagner, Luca Metzger und Christian Knoll finden den Beruf des Veranstaltungstechnikers spitze. Fotos: U. Henne/Volksbank/F. Muhl

Von Florian Muhl

BACKNANG/ASPACH. Seine eigene Ausbildung liegt fast 20 Jahre zurück. „Im September 2000 hab ich hier meine dreijährige Lehrzeit angefangen“, erinnert sich Jonas Wagner. „Damals war d&b audiotechnik noch viel kleiner. Da waren es etwas über 80 Mitarbeiter.“ Er war der erste Lehrling im Unternehmen. Eigentlich. Denn es gab noch einen vor ihm, der hatte aber eine Sonderstellung, war das erste Jahr in Berlin auf der Schule und bald auch nicht mehr bei der Firma.

Seit dem Ausbildungsbeginn von Wagner ist viel passiert. Das Backnanger Unternehmen ist stetig gewachsen. Heute hat der Hersteller von Beschallungsanlagen weltweit rund 620 Beschäftigte, allein in Backnang 500. Wagner selbst hat als Fachkraft für Veranstaltungstechnik 2008 in der Fachrichtung Bühne/Studio seinen Meister gemacht und bildete dann auch Lehrlinge aus. Sein erster Auszubildender war Christian Knoll, der vor elf Jahren bei d&b begann. Mittlerweile ist der Stift von damals 33 Jahre alt, ebenfalls Meister, seit vier Jahren, und bildet mittlerweile ebenfalls junge Menschen aus. Sein zweiter Auszubildender ist der 20-jährige Luca Metzger, der gerade in sein drittes Lehrjahr startet.

Alle drei sitzen zusammen und überlegen. Einerseits den Nachnamen des jeweiligen Gegenübers. Denn bei d&b wird jeder geduzt, vom Lehrling bis zum Chef. Und dann stellen sie sich die Frage: War früher wirklich alles besser? Wagner hatte bereits während seiner Schulzeit, die er im technischen Gymnasium in Backnang verbracht hat, als Freiberufler beim Veranstaltungsstudio jmh von Jürgen M. Häfner in Allmersbach im Tal gearbeitet. Es folgte ein Jahr Zivildienst in Winnenden und ein weiteres Jahr im Studio jmh. Beeindruckt war Wagner damals von einem Verwandten von Häfner, der bei d&b arbeitete: „Ich hab gemerkt: Der kommt immer später und ist früher fertig als die Kollegen, die die Bühne und das Licht aufbauen müssen.“

Fortan setzte Wagner alle Hebel in Bewegung, mit diesem Mitarbeiter unterwegs sein zu dürfen und so von dessen Arbeitszeiten profitieren zu können. „Der hat mich drauf aufmerksam gemacht, dass d&b auch ausbildet.“ Gesagt, getan. Das erste halbe Jahr verbrachte der damals 23-jährige Stift in der Lehrwerkstatt von Marconi, die seinerzeit noch auf dem Gelände der Oberen Walke in der Gartenstraße untergebracht war. „In der Gruppe von etwa 25 Jungen und Mädchen war ich der Einzige von einer anderen Firma.“

„Morgens um 7 Uhr – das war nun gar nicht meine Zeit“

Wagner kann sich noch sehr gut daran erinnern, dass er seine eigenen Arbeitszeiten eingeführt hat: „Die haben morgens um 7 begonnen. Das war nun gar nicht meine Zeit, weil’s in unserer Branche abends immer länger geht“, schmunzelt der 42-Jährige. „Dass ich ein, zwei Stunden später komme, wurde bald zur Gewohnheit.“ Der Ausbildungsmeister habe anfangs gesagt, dass er dann halt abends länger bleiben solle. „Bis er gemerkt hat: Das ist ja doof für mich, dann muss ich ja auch zwei Stunden länger bleiben.“ Die Lösung, die der Meister parat hatte, kam Wagner entgegen: „Dann bleiben Sie halt noch zehn Minuten länger, bis die anderen weg sind, dann können Sie heim.“ Die anderen beiden, Christian Knoll und Luca Metzger, müssen lachen, obwohl sie diese Geschichte schon mehrfach gehört haben.

Das Gelächter wird nicht weniger, als Wagner berichtet, dass er in der Lehrwerkstatt bei Marconi im Rahmen der Grundbildung Metall und Elektrotechnik seine zweite Briefwaage und seinen zweiten Spannungsmesser gebaut hatte. Denn just diese beiden Geräte hatte er in derselben Ausführung bereits im TG bauen müssen beziehungsweise dürfen.

Auch wenn er nicht hätte müssen, ist Wagner freitagnachmittags nach der Schule noch in seinen Ausbildungsbetrieb gefahren und hat dort „ein bissle rumgeschnuppert“, wie er sagt. „Ich wurde dann ziemlich schnell von den Kollegen, damals Ausbilder, Ralf Zuleeg und Werner ‚4‘ Bayer integriert, die den Bereich Education und Application Support, also Training und Anwenderunterstützung, geleitet hatten. Mittlerweile sind wir über 20 Leute in dem Bereich.“

Wagner hat während seiner Ausbildung Einblick in die verschiedensten Abteilungen gehabt, beispielsweise auch in die Produktion. „Das war damals wie heute so ein Zirkel, den man hier durchläuft, dass man nicht nur eine Abteilung kennenlernt, sondern auch schaut: Wie sieht’s bei den anderen aus.“ Und unvermittelt kam dann ein besonderer Tag: „Ich wurde ins kalte Wasser geschmissen, wo’s hieß: Jetzt fährst du da mal hin und baust die Anlage auf. Zum Glück hatte ich vor Ort Unterstützung und da hat’s ganz gut funktioniert.“

An die Berufsschule in Baden-Baden kann sich der Unterbrüdener auch gut erinnern: „Damals war’s noch recht chaotisch. Es wurde eine Art Campus erstellt. Die Gebäude, die früher französische Kasernen waren, wurden entsprechend ausgebaut.“ Ungewöhnlich damals die Zusammensetzung seiner Berufsschulklasse: „Im Schnitt waren die Schüler über 40 Jahre alt, weil damals, als der Beruf Fachkraft für Veranstaltungstechnik erst aufkam, jeder, der als freier Techniker unterwegs war, diesen Nachweis hat haben müssen, um seine Qualifikation nachzuweisen. Und dafür haben wir wieder drei Jahre lang die Schulbank drücken müssen, obwohl eigentlich die Schüler den Unterricht gemacht haben, weil damals die Lehrer teilweise komplett überfordert waren mit dem neuen Berufsfeld. Die wussten gar nicht so recht, was die neuen Kollegen, die da kommen, so machen.“

„Mittlerweile ist das aber ein riesiges Event-Ausbildungszentrum“, sagt Wagner. Christian Knoll stimmt zu: „Jetzt ists eine der am besten ausgestatteten Ausbildungsstätten für die Branche.“ Als der Unterweissacher die Schule in Baden-Baden besuchte, „war die richtige Hochzeit in der Branche, da war Veranstaltungstechniker ein Modeberuf“. Knoll erinnert sich an drei oder sogar vier Parallelklassen, „und die waren alle voll“. Allerdings, und das habe auch Luca Metzger berichtet, würden fünf bis acht Lehrlinge pro Klasse ihre Ausbildung abbrechen. Warum? „Sie stellen halt fest, dass man dann arbeiten muss, wenn die anderen frei haben, aufs Fest gehn und feiern. Man ist zwar immer dabei, aber man arbeitet.“

„Man ist beim Fest der Erste, der kommt, und der Letzte, der geht“

Wagner pflichtet bei: „Man kommt überall hin zum Partymachen. Aber dass man als Veranstaltungstechniker der Erste ist, der kommt, und der Letzte, der geht, das merken manche Leute erst während ihrer Ausbildung.“ Knoll fasst es vielsagend zusammen: „Man muss schon eine Leidenschaft für den Beruf mitbringen. Alle drei von uns hatten schon vorher Berührungspunkte mit der Veranstaltungstechnik.“

Und was hat sich in den zurückliegenden 20 Jahren geändert? „Die Ausbildung ist moderner geworden. Durch die mediale Welt und durch Vernetzungen von Geräten und Internet-Schnittports ist die Arbeit komplett anders geworden als früher, wo man einfach Kabel in ein Gerät eingesteckt hat“, sagt Wagner. „Heute muss man fast ein ITler sein oder zumindest Kenntnisse von IT-Technik haben, um zum Erfolg zu kommen. Ohne Computer geht heute nichts mehr.“

Aktiv auf Menschen zugehen

Conny Major hat ihre Ausbildung zur Bankkauffrau von 1993 bis 1995 bei der Volksbank in Murrhardt und Sulzbach an der Murr absolviert. Anschließend war die heute 42-Jährige im Bereich Personal/Ausbildung tätig. „Ich durfte die Auszubildenden von ihrer Bewerbung bis zur Abschlussprüfung begleiten und für eine gute Ausbildung sorgen.“ Für die Vermittlung von fachlichen Inhalten war sie weniger zuständig, sondern eher die Mitarbeiter der Fachabteilungen.

„Damals war wichtig, dass man Mathe gut können musste und Interesse für wirtschaftliche Themen haben sollte“, erinnert sich Major. Zudem habe man sich gut ausdrücken können müssen. Die Grundbedingungen, die vor 20, 30 Jahren wichtig waren, haben sich krass geändert. „Heute brauche ich selbstbewusste Menschen, die kontaktfreudig sind, die gerne auf fremde Menschen zugehen.“

Zwar sollten die Bewerber die genannten Grundbedingungen von damals auch heute erfüllen, aber: „Das steht heute nicht mehr so im Vordergrund.“ Denn es werde heute viel durch technische Hilfsmittel abgedeckt. Während ihrer Ausbildung war Major beispielsweise noch drei Monate in der Abteilung Zahlungsverkehr. „Heute sind meine Azubis da drei Tage.“ Früher wurden alle Belege manuell bearbeitet, heute werden sie nur noch eingescannt und maschinell gelesen. Und: „Diesen klassischen Bankbeamten von früher, der Geld zählt und wartet, bis der Kunde kommt, den gibt’s heute auch nicht mehr.“ Heute müsse man aktiv auf die Menschen zugehen.

Auch das klassische Vorstellungsgespräch von früher ist Vergangenheit. „Unser Auswahlverfahren ist ein eintägiges Assessment-Center. Durch verschiedene Aufgaben versuchen wir, die geeigneten Bewerber herauszufinden.“ Das Vorstellungsgespräch sei ein Teil des Verfahrens, wichtiger seien aber die Gruppendiskussion und ein Rollenspiel. „Ich hatte nur ein Vorstellungsgespräch, das war’s“, sagt Major, die damals drei Personen gegenübersaß. Sie hatte sich darauf so gut es geht vorbereitet, hatte sich alle Fragen besorgt, die sie nur bekommen konnte. Und trotzdem wurde sie überrascht. „Ja, gleich mit der ersten Frage: Wie war’s im Urlaub?“ Die 42-Jährige lacht, „das fand ich total nett, weil ich tatsächlich gerade aus dem Urlaub kam“.

Dann sei auch die übliche Frage nach Stärken und Schwächen gekommen, über die sich Major im Vorfeld viele Gedanken gemacht hatte. „Als Schwäche hab ich genannt, dass ich nicht gerne lange das Gleiche mache und dass ich da ungeduldig werde. Das kann ja aber genauso auch eine Stärke sein. Heute gibt’s Leute, die wissen nicht mal, was ihre Stärke ist.“

Früher alles von Hand gemacht

Bei Herbert Titze liegt der Beginn der Lehrzeit am längsten zurück. Fast 50 Jahre ist es her, dass er im elterlichen Zimmergeschäft begonnen hat. Für ihn war es als 15-Jähriger gar keine Frage, den Beruf des Zimmerers zu erlernen und später den Betrieb in Kleinaspach zu übernehmen, den sein Großvater im Jahr 1921 gegründet hatte. Bereut hat er diesen Entschluss jedenfalls nie. Eher trauert er der Tatsache etwas nach, dass ein Betrieb in Gaildorf-Unterrot seine Ausbildungszusage praktisch in letzter Minute wieder zurückgezogen hat.

So hat er das erste Lehrjahr 1972 im damals nagelneuen Ausbildungszentrum Bau in Remshalden-Geradstetten verbracht, das heißt gearbeitet und auch gewohnt. „Das hat mir in meiner ganzen Berufslaufbahn in keiner Weise geschadet“, ist sich Titze sicher. Er habe dort viel gelernt, Betonschalungen wurden erstellt, Höhenaufnahmen gemacht, Schnurgerüste eingeschnitten und in der Metallwerkstatt hat er auch feilen müssen. „Das hätte ich nie so gelernt wie dort. An die Zeit erinnere ich mich sehr gerne zurück.“ Da habe er unheimlich viel mitgekriegt an Wissen, das man beim Bau benötigt. „Das ist heute nicht viel anders. Im ersten Lehrjahr gehen die Auszubildenden in die Schule und haben nur einen Betriebstag in der Woche. Die lernen genauso Fliesen legen und mauern und die ganzen Grundzüge.“

Ab dem zweiten Lehrjahr ging der heute 62-Jährige in Stuttgart in die Steinbeisschule, die auch heute noch die Berufsschule ist. Nur damals kamen die Zimmererlehrlinge aus halb Baden-Württemberg zusammen und füllten eine Klasse, während heute Azubis aus nur drei Landkreisen fahren und zwei bis drei Zimmererklassen füllen. Zum Glück habe sein Handwerk keine Sorgen, was den Nachwuchs anbelangt. „Da liegen wir auf einem hohen Niveau. Das liegt auch daran, dass der Zimmererberuf im Baubereich noch ein großes Ansehen hat“, sagt der stellvertretende Kreishandwerksmeister und Ehrenobermeister der Zimmerer-Innung Rems-Murr.

Im Vergleich – Ausbildung vor 50 Jahren und heute – sagt Titze: „Die ist natürlich viel moderner. Wir haben damals alles von Hand gemacht.“ Beim Bau eines Dachstuhls sei zuvor das Dachprofil auf dem Reisboden im Maßstab 1:1 aufgezeichnet worden. Dann habe man den Leersparren draufgelegt, habe sich alle Markierungen rübergeholt, mit dem Winkel angerissen, und dann sei dieser in die Werkstatt gegangen zum Ausarbeiten. „Heute wird alles am Computer gemacht“, sagt Titze, „das war eine Revolution, als Mitte der 90er-Jahre die computergesteuerten Abbundmaschinen gekommen sind.“