Ohne ihn würde etwas fehlen

Carmine Verna gehört zu Backnang wie die Stiftskirche und der Stadtturm – Der Trottwar-Verkäufer hat schon viel durchgemacht

Carmine Verna ist aus Backnang nicht wegzudenken. Jeden Tag, bei Wind und Wetter, steht er in der Fußgängerzone, verkauft die Straßenzeitschrift Trottwar und schenkt jedem ein freundliches Lächeln. Ein Mann, der seinen Platz im Leben gefunden hat. Und der auch dessen Schattenseiten erlebt hat.

Ohne ihn würde etwas fehlen

Die Straßenzeitung Trottwar kostet 2,20 Euro, ein Lächeln und etwas Süßes gibt es bei Verkäufer Carmine Verna gratis dazu. Foto: A. Hohnerlein

Von Annette Hohnerlein

BACKNANG. „Na, Carmine, wie geht’s?“ Der Mann in der roten Weste, der mit seinem Rollator in der Fußgängerzone steht, muss diese Frage täglich Dutzende Male beantworten. Fast im Minutentakt bleiben Passanten auf ein Schwätzle bei ihm stehen oder kaufen ihm ein Exemplar von Trottwar ab. Zu seinen Stammkunden zählt auch Oberbürgermeister Frank Nopper, der – wie alle Kunden und Freunde von Carmine – zum Abschied ein paar Gummibärchen oder Traubenzucker in die Hand gedrückt bekommt.

An jedem Wochentag steht der 50-Jährige vor dem Café Weller. Er ist Zeitungsverkäufer mit Leib und Seele, und das seit rund 20 Jahren. „Das ist mein Leben. Das mache ich, bis ich mit 101 Jahren in Rente gehe“, sagt er mit einem verschmitzten Lächeln. Und dieses Lächeln gehört zu Backnang wie die Stiftskirche und der Stadtturm. Wenn Carmines Platz leer bleibt, fehlt etwas in der Stadt.

Heute kommt Carmine Verna mit seinem Leben klar. Das war nicht immer so. Als Jugendlicher lebte er in Murrhardt, geriet an die falschen Freunde, bekam Probleme mit dem Alkohol und wurde obdachlos. „Ich bin auf die schiefe Bahn gekommen“, sagt er rückblickend. Es folgten viele Jahre auf der Straße, in denen er sich mit Betteln über Wasser hielt. Und es kam noch schlimmer: 1992 wurde er von einem Kumpel im Streit brutal zusammengeschlagen. Mit schwersten Kopfverletzungen lag er sechs Wochen lang im Koma. Dann folgten zweieinhalb Jahre im Rollstuhl, bevor er langsam wieder Gehen lernte. Seitdem ist er auf einen Rollator angewiesen und hat Schwierigkeiten mit der Artikulation.

Rollator mit BK-Kennzeichen
als Bekenntnis zur Heimatstadt

Einige Jahre danach gab es wieder eine Wendung in seinem Leben, dieses Mal zum Besseren. Er lernte seine Rita kennen und lieben. Seit 2003 sind die beiden verheiratet. Und noch eine weitere Frau spielt in Carmine Vernas Leben eine Hauptrolle: sein Patenkind Layla. Wenn er von der Dreijährigen erzählt, beginnt sein Gesicht zu leuchten: „Sie ist mein Sonnenschein“. So sehr hat ihn seine kleine Nichte um den Finger gewickelt, dass er sich die Buchstaben ihres Namens auf die Fingerknöchel seiner rechten Hand tätowieren ließ. Ein Schnuller von Layla hängt an seinem Rollator.

Überhaupt dient der Gehwagen nicht nur der Fortbewegung, sondern er ist auch ein Platz für Statements. Durch ein Schild mit dem Autokennzeichen BK CV 1967 bekundet Carmine seine Verbundenheit mit seiner Heimatstadt. Ein weiteres Schild mit der Aufschrift „I love you“ sei allen Frauen gewidmet, erläutert er. Daneben hängt eine kleine Tafel, die ihm ein Bekannter geschenkt hat, und die den Backnangern aus der Seele spricht: „Carmine ist der Beste!“

Dieser Text ist zuerst in der Aprilausgabe
der Stuttgarter Straßenzeitung Trottwar erschienen. Trottwar ist eine Zeitung, die sozial benachteiligten Menschen hilft.
Alle Verkäuferinnen und Verkäufer waren
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