„Ohne Kinder hätte was gefehlt“

Wir sind Familie (8): Weil sie keine eigenen Kinder bekommen konnten, haben Monika Schwartz und Josef Klein zwei adoptiert

Monika Schwartz und Josef Klein haben zwei Kinder, Mareike und Nikolas, 21 und 24 Jahre alt. Dass die beiden nicht ihre leiblichen Nachkommen sind, spielt für das Ehepaar keine Rolle. Die beiden Religionslehrer haben die Kinder vor über 20 Jahren adoptiert.

„Ohne Kinder hätte was gefehlt“

Das Ehepaar Schwartz/Klein ist sich einig: „Kinder sind eine Bereicherung.“ Und für Mareike steht fest: „Ihr seid einfach meine Eltern.“ Foto: A. Becher

Von Matthias Nothstein

BACKNANG. Das Schicksal meinte es einst nicht gut mit dem Ehepaar Schwartz/ Klein. Nach der Hochzeit im Jahr 1982 mussten die beiden mit der Tatsache zurechtkommen, dass ein Kind tot zur Welt kam. Zwar hatten sie die Hoffnung, wieder schwanger werden zu können, aber als weitere Fehlgeburten folgten, fanden sie sich damit ab, kinderlos zu bleiben.

Wobei, nur als Paar durchs Leben zu gehen war nicht ihr Ding. Eine Adoption erschien ihnen eine Möglichkeit zu sein, doch noch eine Familie zu werden. Allerdings sollte das Kind nur wenige Wochen alt sein, damit sich noch ein normales Eltern-Kind-Verhältnis entwickeln könnte. Josef Klein: „Wir wollten keine älteren Kinder aus Pflegefamilien oder Heimen. Ich wollte Papa werden, nicht Pädagoge.“

In Deutschland ist dies nicht einfach, weil viele Kinderlose dies wollen. Im Landkreis kamen auf 180 Paare nur zwei Säuglinge, die zur Adoption standen. Zudem erklärte man den Interessenten, sie seien zu alt. „Ich habe das akzeptiert, ich war damals über 35 Jahre alt und das war die Grenze“, sagte der heute 66-Jährige.

Was hierzulande nicht funktionierte, war in anderen Ländern möglich. Etwa in Brasilien. Anfangs war es schwierig, an Adressen zu kommen. Mehrere Kontakte waren nötig, immer kannte einer einen. So lernten sie schließlich die Frau kennen, die in Brasilien von staatlicher Seite die Betreuerin war für ausländische Eltern, die ein Kind adoptieren wollten. Nachdem der größte Papierkram erledigt war, flogen Schwartz und Klein im Mai 1996 nach Südamerika, genau genommen in die Stadt Jundiai im Bundesstaat São Paulo, um dort Douglas kennenzulernen. Nachdem die Formalitäten erledigt waren, kehrten sie mit dem zehn Monate alten Kind nach Backnang zurück.

In der Nachbarschaft gab es zum Glück viele junge Familien

Die Umstellung war groß, vor allem für Monika Schwartz. Die Lehrerin war plötzlich hauptberuflich Mutter. Zwar hatte sich das Paar innerlich schon jahrelang auf die Elternrolle gefreut und vorbereitet, aber nun war es Fakt. Fremd war ihnen die Aufgabe nicht, schließlich hatten alle Verwandten, alle Schwestern und Brüder auch Kinder. Voller Freude besuchten Mutter und Kind die Krabbelgruppe der Markusgemeinde. Auch das Zusammenleben im Haus mit den eigenen Eltern änderte sich. Nun saßen plötzlich drei Generationen gemeinsam am Frühstückstisch. Von großem Vorteil war des Weiteren, dass zu dieser Zeit im Bereich der Markuskirche viele junge Familien in die Nachbarschaft gezogen sind. „Ich habe damals viele junge Familien kennengelernt“, erinnert sich Schwartz mit Freude zurück. „Wir sind oft zusammen auf der Straße gestanden und haben miteinander geredet.“

Weil der kleine Junge kein Einzelkind bleiben sollte, strebten Schwartz und Klein zwei Jahre später eine weitere Adoption an. In Brasilien hatten sie dieses Mal kein Glück, die Umstände hatten sich geändert. Dafür gab es Kontakte nach Vietnam, die mehr Erfolgsaussichten versprachen. So lernten sie in einem Kinderheim in Saigon die fünf Monate alte My Ngan kennen. Über elf Wochen hinweg besuchten sie das Kind täglich zwei Stunden lang. Der lange Zeitraum war dadurch begründet, weil nach der offiziellen Freigabe des Mädchens zur Adoption alle Parteien 40 Tage Zeit hatten, die Entscheidung zu widerrufen. Doch weder die Herkunftseltern noch die Behörden noch das Backnanger Paar taten dies. Vielmehr ging es nach fast drei Monaten mit dem Mädchen wieder zurück in die Heimat.

Dass die Kinder adoptiert sind, daraus haben die Eltern nie ein Geheimnis gemacht. Josef Klein sagt: „Wenn ich gefragt wurde: ,Haben Sie Kinder?‘, habe ich immer geantwortet: ,Ja, zwei, wir haben sie adoptiert.‘“ Auch haben die Adoptiveltern für jedes der Kinder sofort Fotoalben angelegt, in denen alles dokumentiert ist. Schwartz: „Die Kinderalben fangen damit an, wie wir die Kinder abholen, mit ihnen heimfliegen und wie wir von allen begrüßt werden. Wir wollten damit auch klarmachen, dass wir die Kinder nicht direkt aus einem Krankenhaus geholt haben, sondern dass es auch eine Zeit gibt, von der wir nichts wissen.“

Um das Anderssein nicht noch zu betonen, erhielten beide Kinder zusätzliche Vornamen, auf die sie auch getauft wurden. So lautet Douglas’ Rufname heute Nikolas, und My Ngan heißt Mareike. Viel ist den Kinder von ihren leiblichen Eltern nicht bekannt. Nikolas weiß, dass seine Mutter bei seiner Geburt 18 Jahre alt war, der Vater 25 Jahre. Und sie haben beide in derselben Straße gewohnt. Gerne würde er mehr vor Ort über seine Eltern herausfinden, aber er war noch nie in Brasilien, aus Angst, er könnte dort zum Militärdienst eingezogen werden.

Josef Klein dachte anfangs, es sei gut, dass die beiden ihre Eltern nicht kennen. Er vermutet, dass er damals etwas Angst vor der Elternkonkurrenz hatte. „Heute finde ich es schade. Ich würde es ihnen gönnen, die Eltern zu kennen.“ Er spürt, dass der Sohn seine Wurzeln nicht verleugnet. Und wenn es nur ist, dass der Junior bei der Fußball-WM die brasilianische Fahne hisst und die Außenspiegel des Autos mit denselben Farben ziert. Die Mutter ergänzt: „Man merkt deutlich, dass die Wurzeln ihnen wichtig sind.“ So zahlt sich vielleicht aus, dass die Eltern immer auch nur positiv über die Herkunftsländer gesprochen haben. Inzwischen waren die Backnanger auch nochmals in Vietnam im Heim, aber sie hatten keine Chance, die Mutter herauszufinden.

Das Familienleben bezeichnen alle vier als normal. Das Thema Adoption nehmen alle auch mit Humor. Wenn etwa der Vater mal wieder kritisierte, man könne nicht Hausaufgaben machen und Musik hören, bekam er von Mareike oft zur Antwort: „Doch, wir können das. Wir haben ja nicht deine Gene.“

Schwartz hatte für jedes Kind Erziehungsurlaub genommen, bei Nikolas drei Jahre, bei Mareike zwei Jahre. Beim Urlaub änderten die Eltern auch nicht viel. Früher waren sie oft im Campingbus unterwegs, aber spätestens mit dem zweiten Kind leisteten sie sich aus praktischen Gründen ein Ferienhaus. Klein hat die Ferien und die Zeit mit dem Nachwuchs immer genossen. „Es war schön, zu sehen, wie sie sich entwickeln.“ Im Vergleich zur kinderlosen Zeit waren die Einschränkungen nicht riesig. Der Pädagoge fuhr sein Pensum in der Schule etwas zurück. Und schmunzelnd fügt er hinzu: „Ich konnte auch weniger in die Kneipe gehen. Aber aufs Straßenfest sind wir trotz der Kinder immer gemeinsam gegangen.“

Im Rückblick bezeichnen Schwartz und Klein die Jahre mit den Kindern als eine sehr glückliche Zeit. Als vor 25 Jahren klar war, dass sie nie eigene Kinder bekommen würden, dachte Klein anfangs: „Okay, dann leben wir halt ohne Kinder. Heute weiß ich, es hätte etwas ganz Wesentliches gefehlt. Ich bin durch sie ein Stück weit erwachsener geworden.“ Schwartz nennt „ihre zwei“ eine Bereicherung. „Sie sind ein Geschenk.“ Und fügt lachend hinzu: „Klar, manchmal könnte man sie an die Wand klatschen. Aber unterm Strich haben wir ein gutes Leben.“ Schon die Richterin in São Paulo hatte gesagt: „Kinder sind ein Geschenk Gottes an die Eltern.“ Was der Vater heute unterstreicht. „Wir sind dankbar und fühlen uns beschenkt.“ Er erinnert sich an ein Gespräch mit einer Nonne. Diese meinte, weil sie das Kind angenommen hatten: „Ihr seid gute Menschen.“ Er widersprach ihr damals: „Nein, wir wollten das Kind für uns und hoffen, es schadet ihm nicht.“ So lebte die Familie die ganze Zeit nach dem christlichen Gebot: „Liebe den Nächsten wie dich selbst.“ Die Wechselseitigkeit der Dankbarkeit erkennt Klein auch bei den Kindern. „Ihnen ist die Beziehung zu uns wichtig.“ Mareike pflichtet ihm bei: „Ich glaube nicht, dass wir in erster Linie dankbar sind, ihr seid einfach nur unsere Eltern.“ Und Nikolas ergänzt: „Ich sehe das wie meine Schwester. Wir sind eine ganz normale Familie, in der es keine Rolle spielt, adoptiert zu sein. Wir kennen ja nichts anderes.“ Auch dass beide aus verschiedenen Ländern kommen, war nie ein Problem. Mareike: „Ich verstehe mich sehr gut mit meinem Bruder. Es ist schön, einen Bruder zu haben.“

Mittlerweile sind beide schon ausgezogen und studieren, Mareike Jura in Mainz, Nikolas Textilmanagement in Reutlingen. Schwartz: „Wir telefonieren oft miteinander und ich freue mich immer wie ein Schneekönig, wenn sie uns besuchen kommen.“ Auch der Papa ist zufrieden: „Ich finde es gut, dass sie ihren eigenen Weg gehen.“