Die Verhandlung wurde am Amtsgericht Backnang ausgetragen. Symbolfoto: okanakdeniz - stock.adobe.com
Von Jutta Rieger-Ehrmann
Backnang. War es ein Verstoß gegen das Versammlungsrecht oder gegen den Infektionsschutz? Was nach einer feinen juristischen Unterscheidung klingt, macht den „feinen“ Unterschied zwischen Straftat und Ordnungswidrigkeit aus. Diese Frage soll denn auch in der Verhandlung am Amtsgericht Backnang gegen den 56-jährigen Versammlungsleiter einer Veranstaltung gegen die Coronamaßnahmen im April 2021 in Backnang geklärt werden.
Der Angeklagte, ein gelernter Koch, kann aufgrund eines ärztlichen Attests keinen Mund-Nasen-Schutz tragen. Daher hat er sich während der Versammlung überwiegend außerhalb der vorgegebenen Versammlungsfläche aufgehalten. Ausnahmen bildeten seine Auftaktrede mit der Verkündung der Coronaauflagen und seine Gänge zu seiner Lautsprecheranlage, die er seinen Angaben nach mehrmals neu justieren musste. Zu sehen ist dies auf einem zirka zweistündigen Video, das von der Polizei sichergestellt wurde.
Die Verhaltensregeln wurden im Vorfeld per Videokonferenz und direkt vor der Versammlung mit den Mitarbeitern der Stadt und der Polizei besprochen. Der Versammlungsleiter sicherte deren Einhaltung zu. Grundlage waren die Bescheide der Stadt Backnang und des Landratsamts Rems-Murr. Es gab unterschiedliche Zuständigkeiten: Die Leitung der Ortspolizeibehörde und der Versammlungsbehörde fiel in den Zuständigkeitsbereich der Großen Kreisstadt Backnang, die Auflagen in Bezug auf den Infektionsschutz kamen vom Gesundheitsamt, angesiedelt beim Landratsamt Rems-Murr.
Demnach war, wenn aus gesundheitlichen Gründen keine Maske möglich ist, ein sogenanntes Face Shield (Gesichtsvisier) zu tragen. Dieser Anordnung folgte der Angeklagte beim Betreten der Versammlungsfläche nicht. Er sei jedoch weder vom Ordnungsamt noch von der Polizei darauf angesprochen worden. Für den juristischen Laien seien die unterschiedlichen Bescheide schwer nachvollziehbar gewesen. Er habe allerdings nach „40 bis 50 Coronademos“ einige Erfahrung damit.
Die erste Zeugin, eine ehemalige Mitarbeiterin des Ordnungsamts Backnang, das zusammen mit der Polizei für die Gefahrenabwehr zuständig ist und vor Ort war, bestätigt, dass der Angeklagte sich hauptsächlich außerhalb der Versammlungsfläche aufgehalten habe, wobei diese nicht eindeutig umrissen werden könne. Die Gänge ohne „Facer“ wären zwar bemerkt worden, es sei jedoch nicht eingeschritten worden, da man auf Deeskalation setzte. Eine weitere Zeugin, eine 45-Jährige aus einer Umlandgemeinde, die die Versammlung angemeldet hatte, bestätigt die Aussagen des Angeklagten.
Aufgrund der rechtlichen Komplexität und der Tatsache, dass alle Beteiligten den Vorgang als „nicht so schlimm“ betrachten, erfolgt die Einstellung des Verfahrens wegen geringer Schuld. Der Richter möchte den Beschluss trotzdem als „Warnschuss“ verstanden wissen, da Regeln eingehalten werden müssen, ob man sie sinnvoll findet oder nicht. Die Prozesskosten trägt die Staatskasse, der 56-Jährige die eigenen Kosten. Dieser ist damit einverstanden. Er habe mit einem solchen Ausgang gerechnet und sei deshalb auch ohne Anwalt erschienen.