Ohne Merkel

Die Kanzlerin bereitet ihren Ausstieg aus der Politik vor – und ist dabei für Überraschungen gut

Von Wolfgang Molitor

Es hat Kanzler gegeben, die haben sich im Zorn von ihrer Partei entfernt. Helmut Kohl gehört dazu, auch Helmut Schmidt. Und sie sind nicht die Einzigen. Manchmal ging es um persönliche Verfehlungen (wie bei Kohl, der sogar die CDU-Ehrenmitgliedschaft zurückgab), manchmal um handfesten parteipolitischen­ Richtungsstreit (wie bei Schmidts Ja zur Nachrüstung). Dass sich aber eine Kanzlerin noch in der laufenden Amtszeit von ihrer Partei, auf deren Unterstützung sie als Regierungschefin zwingend angewiesen ist, absetzt, ist neu. Eben typisch­ Angela Merkel.

Nach außen mag es um Termine gehen. Um abgesagte Wahlkampfauftritte und parteipolitisches Protokoll. Aber natürlich ist es mehr als nur irritierende Symbolik, wenn Merkel das Wahlkämpfen künftig anderen überlassen will. Ein bisschen Einsatz für Europa, ja, da ist die Kanzlerin noch dabei – wenn auch mehr auf internationaler als auf deutscher Bühne. Für den Wahlkampfabschluss von CDU und CSU in München am 24. Mai hat sie ihre Teilnahme zugesagt, und alles deutet darauf hin, dass das ihr letzter großer Parteiauftritt sein dürfte.

Merkels Abschied auf Raten geht also weiter. Demonstrativ unaufgeregt. Provozierend selbstbestimmt. Um die Kommunalwahlen macht sie einen Bogen, um die vier Landtagswahlen dieses Jahr – in Bremen, Brandenburg, Sachsen und Thüringen – erst recht. Merkels Botschaft ist eindeutig: Ich bin nicht mehr für das Wohl und Wehe der CDU zuständig. Oder anders gesagt: Eine Bundeskanzlerin hat andere Sorgen als eine Parteivorsitzende.

Tatsächlich: Mehrheiten zu gewinnen, um neue Regierungen zu bilden, fällt zuvörderst nicht in das Aufgabengebiet einer Scheidenden. Merkels angekündigte CDU-Abstinenz heißt deshalb auch: Als Chefin der schwarz-roten Regierung wird sie versuchen, der Union bei den nächsten Wahlen Rückenwind zu verschaffen. Und sich einen ordentlichen Abgang zu sichern. Gewiss auch das. Aber das Gewinnen ist kein Auftrag und folglich nicht mehr ihre ureigene Sache. Das müssen andere.

Annegret Kramp-Karrenbauer wird sich an Merkels Schlussstrich orientieren müssen. Wahlen werden von Parteien geführt, gewonnen, verloren. Eine Wahlkämpferin ohne Parteiamt, die nicht mehr zur Wahl steht, mag noch bei nostalgisch Sentimentalen punkten. Für diejenigen, die wissen wollen, wie es nach den Wahlen weitergeht, aber ist sie kein Ansprechpartner mehr. Auch deshalb ist es folgerichtig, den Wahlkampf Kramp-Karrenbauer zu überlassen. Die Partei hat schließlich ihr, nicht Merkel, die Verantwortung für die Zukunft übertragen.

Merkel wahrt damit in ihrer machtvollen politischen Auslaufphase als Regierungschefin weitestgehend Unabhängig- und Handlungsfähigkeit. Mögen andere lieber Friedrich Merz als Peter Altmaier an der Spitze des Bundeswirtschaftsministeriums sehen: Die Kanzlerin macht klar, dass sie sich auf derartige parteipolitische Machtspiele nicht einlassen wird. Merz und seine einflussreichen Freunde bei der Stange zu halten fällt allein in Kramp-Karrenbauers Zuständigkeitsbereich. Dass ihr das leichter als ihrer Vorgängerin fallen könnte, gilt mittlerweile als wahrscheinlich. Gut möglich also, dass Merkels Abstand für die CDU nicht von Schaden sein muss. In Sachsen, Brandenburg und Thüringen wird man sie im Wahlkampf ohnehin am allerwenigsten vermissen.

Bleibt die Erkenntnis, dass Merkel ihren endgültigen Rückzug aus der Politik kühl und sorgfältig vorbereitet. Weitere Überraschungen nicht ausgeschlossen.

wolfgang.molitor@stuttgarter-nachrichten.de