Machtkampf in Minsk: Demokratiebewegung treibt Lukaschenko

Von Von Ulf Mauder, dpa

dpa Minsk. Die Demokratiebewegung in Belarus lässt den umstrittenen Staatschef Lukaschenko immer mehr wie einen Getriebenen aussehen. Die Opposition kündigt nach den Massenprotesten nun auch eine neue Partei an. Aber es gibt auch noch andere Ideen für einen Ausweg aus der Krise.

Machtkampf in Minsk: Demokratiebewegung treibt Lukaschenko

Maria Kolesnikowa, Oppositionspolitikerin in Belarus, spricht während einer Pressekonferenz. Foto: Ulf Mauder/dpa

Der Machtkampf in Minsk zwischen dem umstrittenen Präsidenten Alexander Lukaschenko und seinen Gegnern verschärft sich.

Als erste Oppositionelle hat die frühere Kulturmanagerin Maria Kolesnikowa, die viele Jahre in Stuttgart lebte, die Gründung einer neuen Partei in Belarus (Weißrussland) auf den Weg gebracht. Wmestje – auf Deutsch: Miteinander – heißt die neue liberale politische Kraft, mit der die 38-jährige Kolesnikowa alle Gegner Lukaschenkos vereinen will.

Unklar ist aber, ob die Partei als erste seit 20 Jahren eine Registrierung erhält. Lukaschenko hält die 15 registrierten Parteien für ausreichend. Dennoch versucht die Demokratiebewegung, nun vor allem Strukturen für ein politisches Leben nach Lukaschenko zu schaffen.

Der 66-jährige Lukaschenko gibt auch am Tag des Schulbeginns in Belarus das Bild eines Getriebenen ab. Gerade noch hat er Dialogbereitschaft gezeigt und Veränderungen angekündigt. Am Dienstag nun wird klarer, dass er weiter eigentlich nur mit jenen reden will, die ihn unterstützen. „Das ist ein Selbstgespräch und kein Dialog“, sagt der Lukaschenko-Experte Waleri Karbelewitsch in Minsk der Deutschen Presse-Agentur. Lukaschenko habe den Kontakt zu den einfachen Menschen – und damit die Mehrheit - verloren.

Viele denken inzwischen laut darüber nach, wer Lukaschenko ersetzen könnte. Außenminister Wladimir Makej gilt als jemand, der über gute Kontakte zum Westen und zu Russland verfügt. Er spricht sich auch offen für Veränderungen aus. „Es ist eigentlich egal, wer Lukaschenkos Platz einnimmt. Jede Veränderung in dieser Lage ist schon ein demokratischer Fortschritt“, sagt Karbelewitsch. Die Menschen wollten dringend ein neues politisches und wirtschaftliches System - Marktwirtschaft statt einer Übermacht der Staatsbetriebe.

An einen Abschied aber denkt Lukaschenko nicht. Die Proteste gegen ihn? Hält er für aufgebauscht in einigen Internetmedien, wie er am Dienstag sagt. Vor Journalisten donnert er, seine Gegner wollten das Land in Stücke reißen. „Es gäbe mindestens einen Bürgerkrieg. Aber keine Bange, das werden wir nicht zulassen.“ Die Staatsmedien sekundieren ihm und versuchen, erste Risse und Widersprüche in der Opposition auszumachen: Kolesnikowa wolle sich mit ihrer Parteigründung an die Spitze der Bewegung setzen und Swetlana Tichanowskaja ausboten. Die Staatspropaganda wittert eine Spaltung.

Die 37-jährige Tichanowskaja beansprucht gut vier Wochen nach der Präsidentenwahl weiter den Sieg für sich. Sie ist aber im Exil im EU-Land Litauen, führt Gespräche auf internationaler Ebene und sendet Videobotschaften mit Appellen, im Widerstand gegen den „letzten Diktator Europas“ nicht nachzulassen.

Aber ihre in Minsk gebliebene Mitstreiterin Kolesnikowa ist jene, die sich bei den Protesten auf der Straße den Sicherheitskräften mutig entgegenstellt – und wie keine andere das Gesicht der friedlichen Revolution ist. Sie treffe so viele Entscheidungen inzwischen, dass es Zeit sei, Verantwortung zu übernehmen, meint Kolesnikowa.

Viel diskutiert wird in Belarus derweil eine Verfassungsänderung für einen Ausweg aus der Krise. Beide Seiten halten das im Machtkampf für eine Lösung: Lukaschenko räumte ein, dass die Verfassung zu sehr auf seine Person zugeschnitten sei. In der Demokratiebewegung, die bisher vor allem vom Koordinierungsrat der Zivilgesellschaft geprägt wird, sind hingegen Meinungen stark, die ein starkes Staatsoberhaupt gar nicht mehr für nötig halten. Dieser Teil setzt sich für eine Verfassung ein, die wie in Deutschland eine parlamentarische Republik mit starkem Parteiensystem und politischer Pluralität verankern soll.

Die jetzige Verfassung habe zu dem autoritären System und der Machtkonzentration in den Händen Lukaschenkos geführt, sagt der Minsker Analyst Artjom Schraibman in einem Interview. „Wir müssen uns maximal von der Präsidentschaft entfernen. Je weniger Konzentration auf eine Person im System, desto besser.“ Er sieht große Fortschritte in der Gesellschaft, dass die Menschen selbst ihr Schicksal in die Hand nehmen und sich politisieren. Während Lukaschenko etwa die Corona-Krise ignoriert habe, hätten die Bürger selbst Geld gesammelt, um etwa Ärzten Schutzausrüstung zu kaufen.

Doch wer die Menschen auf der Straße in Minsk fragt, was sie wollen, hört wenig von Parteien oder einer neuen Verfassung. Viele treibt die Sehnsucht nach einem neuen Gesicht in der Politik und nach der Aussicht auf ein besseres Leben an. Bei rund 500 US-Dollar liegt der durchschnittliche Monatsverdienst nach offiziellen Angaben. Aber viele haben deutlich weniger, wie etwa Darja sagt, die in einem Schönheitssalon arbeitet: „Ich wünsche mir vor allem, dass ich mir für meine Arbeit mehr leisten kann - Reisen zum Beispiel.“

Der Fahrer Andrej sagt, dass sich der Staat zwar nach außen sozial fürsorglich zeige, sich aber in Wirklichkeit nicht schere darum, in welchen schwierigen Verhältnissen die Menschen lebten. „Lehrer sammeln von uns Eltern Geld ein, damit die Schule saniert werden kann, weil staatliche Zuschüsse lächerlich sind“, sagt der 35-Jährige. Mit Fahrdiensten komme er im Monat bei täglich mehr als zehn Stunden auf der Straße umgerechnet auf rund 1000 Dollar, nur 200 oder 300 Dollar könne er da am Ende beiseitelegen. „Die Renten liegen hier bei umgerechnet etwas über 100 Dollar. Wer soll davon vernünftig im Alter leben?“ Andrej ist überzeugt, dass mit der friedlichen Revolution nun der Anfang gemacht ist - für eine bessere Zukunft.

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Machtkampf in Minsk: Demokratiebewegung treibt Lukaschenko

Polizisten nehmen bei einem Protest einen studentischen Demonstranten in Minsk fest. Foto: Uncredited/AP/dpa