Orban weist Kritik an Ungarns Rechtspolitik zurück

dpa Berlin/Brüssel. Kritiker werfen Ungarn vor, Grundfreiheiten zu verletzen sowie korrupt mit EU-Hilfsgeldern umzugehen. Das Thema ist auch auf dem zähen EU-Gipfel hochgekocht. Nun hält Regierungschef Orban dagegen. Streit gibt es aber auch um das Haushalts- und Finanzpaket insgesamt.

Orban weist Kritik an Ungarns Rechtspolitik zurück

Ungarns Premierminister Viktor Orban freut sich über die Ergebnisse des EU-Gipfels. Foto: Stephanie Lecocq/EPA Pool/AP/dpa

Nach dem EU-Gipfel weist der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban Kritik aus anderen Mitgliedstaaten zurück, seine Regierung beschränke die Pressefreiheit und zersetze rechtsstaatliche Prinzipien.

Die Opposition sei auch in den ungarischen Medien durchaus lebendig, sagte der rechtsnationale Politiker zu „Bild“. So gebe es im Fernsehen, in Online-Portalen und anderen Publikationen täglich „heftigste Kritik“ an seiner Regierung, wie jeder „mit einer dreiminütigen Google-Recherche“ feststellen könne.

Orban rügte, die Vorwürfe gegen seine Regierung seien so schwammig, dass man kaum gegenhalten könne. Zugleich erinnerte er daran, dass die mittel- und osteuropäischen Staaten ihre Freiheit nicht geerbt sondern erkämpft hätten. „Daraus resultierend ist Rechtsstaatlichkeit für sie auch ein besonders wertvolles Gut“.

Kritiker werfen Ungarn und auch Polen die Verletzung von Grundfreiheiten sowie den korrupten Umgang mit EU-Hilfsgeldern vor. Gegen beide Länder läuft deshalb ein Grundrechteverfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge.

Einer der zentralen Streitpunkte auf dem viertägigen EU-Gipfel hatte sich um das Problem der Rechtsstaatlichkeit gedreht. Viele Mitgliedstaaten hatten gefordert, die Auszahlung von EU-Geldern an die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien zu koppeln.

Einige osteuropäische Länder, darunter Ungarn und Polen, hatten das abgelehnt. Die Frage konnte letztlich mit einer Kompromissformel gelöst werden. Im neuen Text heißt es, der Europäische Rat unterstreiche die Bedeutung des Schutzes der finanziellen Interessen der EU und des Respekts der Rechtsstaatlichkeit.

Beim Treffen der 27 EU-Staaten war nach viertägigen Verhandlungen und massivem Streit ein Haushalts- und Finanzpaket in der historischen Größenordnung von 1,8 Billionen Euro vereinbart worden. Damit will sich die EU gegen die Corona-Wirtschaftskrise stemmen.

Deutschland muss nach dem Kompromisspaket beim EU-Sondergipfel jährlich rund zehn Milliarden Euro mehr in den europäischen Haushalt zahlen. Die jährliche Überweisung nach Brüssel liegt damit künftig bei etwa 40 Milliarden Euro, wie die Deutsche Presse-Agentur am Dienstag aus Regierungskreisen erfuhr. Nicht eingerechnet ist aber das EU-Geld, das aus Brüssel an Deutschland zurückfließt.

Der Kandidat für den CDU-Vorsitz, der frühere Unionsfraktionschef Friedrich Merz, sagte, die Beschlüsse der Staats- und Regierungschefs veränderten die gesamte EU-Finanzarchitektur. „Die Aufnahme von Schulden durch die EU, die von den Mitgliedstaaten garantiert werden, bewegt sich ganz hart am Rande der Regeln des EU-Vertrages“, sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Mittwoch).

„Die Ausgaben lassen sich nur rechtfertigen, wenn sie auf Zukunftsprojekte ausgerichtet und strikt kontrolliert werden.“ Ausdrücklich begrüßte er, dass ein Zusammenhang hergestellt werde zwischen den Ausgaben und der strikten Bindung an die Rechtsstaatlichkeit. „Ohne diesen Zusammenhang wäre die EU in ihrem innersten Kern auf Dauer beschädigt worden.“

Das Finanzpaket umfasst 1074 Milliarden Euro für den siebenjährigen Haushaltsrahmen bis 2027 und 750 Milliarden Euro für ein Konjunktur- und Investitionsprogramm. Dieser Wiederaufbauplan beinhaltet 390 Milliarden Euro an nicht zurückzuzahlenden Zuschüssen und 360 Milliarden Euro an Krediten. Mit dem Geld soll der beispiellose Wirtschaftseinbruch abgefedert und der EU-Binnenmarkt zusammengehalten werden.

Ursprünglich sollte das Verhältnis 500 Milliarden an Zuschüssen zu 250 Milliarden an Krediten betragen. Die Minderung der Zuschüsse setzte Österreich im Verbund mit anderen „sparsamen“ Staaten wie den Niederlanden durch. Kanzler Sebastian Kurz sagte am Abend dem Sender OE24, er sei sehr zufrieden. „Es ist mehr möglich gewesen, als ich ursprünglich gedacht hätte.“

Zum Streit über die Kopplung von EU-Geldern an die Rechtsstaatlichkeit sagte Kurz im ORF, Orban habe sich da „relativ stark durchgesetzt“. Es habe eine „merkwürdige Situation“ gegeben, „nämlich sogar Emmanuel Macron, Angela Merkel, viele andere, die sonst sehr auf Rechtsstaatlichkeit pochen, haben hier Druck gemacht, dass es dann zu einer Einigung kommt. Und darum gab es am Ende dort auch einen Kompromiss.“

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron versprach seinen Landsleuten, dass es für sie keine zusätzliche Steuer zur Finanzierung des Corona-Pakets geben wird. Langfristig sehe er aber zum Beispiel eine Digitalsteuer für Internetgiganten auf europäischer Ebene, sagte er am Dienstagabend in einem TV-Interview.

Der Steuerzahlerbund warnte vor einer Verschwendung der Hilfsmittel. „Ich sehe es äußerst kritisch, wenn Zuschüsse in Milliardenhöhe gewährt werden, die nicht mit konkreten Programmen und Maßnahmen verknüpft sind“, sagte Verbandspräsident Reiner Holznagel der „Rheinischen Post“. Es bestehe die Gefahr, „dass dieses Geld einfach verkonsumiert wird“.

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen, sagte der Zeitung, der Erfolg der Maßnahmen hänge von der Bereitschaft der Empfängerländer ab, die Gelder konsequent für die Modernisierung ihrer Wirtschaft zu benutzen. „Es ist Teil des Kompromisses, hierbei mehr auf Vertrauen als auf Kontrolle zu setzen. Das könnte sich als problematisch erweisen“, sagte der Kandidat für den CDU-Vorsitz.

Die Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament, Iratxe García Pérez, sagte mit Blick auf Ungarn und Polen, Zahlungen der EU sollten daran gebunden sein, „dass unsere fundamentalen Werte von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit erfüllt werden“. Zum Finanzdeal insgesamt sagte sie der „FAZ“, es sei zu früh, um mit dem Feiern zu beginnen. „Jetzt hat das Europäische Parlament das Sagen, und ich versichere Ihnen, dass wir unsere vertragliche Macht in vollstem Umfang nutzen werden.“ Unter anderem die Kürzungen des Forschungsprogramms „Horizon Europe“, des Investitionsfonds „InvestEU“, bei Entwicklungshilfe, dem Erasmus-Programm und dem Programm „Digital Europe“ seien besorgniserregend.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte in einem dpa-Interview eine enge Zusammenarbeit mit den Abgeordneten angekündigt. Zudem betonte sie, die neue Rechtsstaatsklausel, die die Auszahlung von EU-Geld an die Einhaltung von EU-Werten koppeln soll, werde wirksam sein. Orban hatte hingegen die Wirksamkeit der Klausel bestritten - was die Kritik an dem Kompromiss nur noch anstachelte.

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