Gratulationsaffäre geht weiter

Palmer schimpft über Datenschutz: „Das bringt null Wertschöpfung“

Mit seiner Schelte für den übertriebenen Datenschutz trifft Tübingens OB Boris Palmer einen Nerv. Doch was sagt der Auslöser des Streits dazu?

Palmer schimpft über Datenschutz: „Das bringt null Wertschöpfung“

Boris Palmer ist vom Datenschutz genervt.

Von Eberhard Wein

Im Streit mit dem Landesdatenschutzbeauftragten um einen Geburtstagsgruß für einen 75-Jährigen legt der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (parteilos) nach. „Ich ertrage es nicht, mich mit so einem Quatsch weiterhin zu befassen“, sagte Palmer. In allen 16 Bundesländern habe man Datenschutzstellen mit 5000 Mitarbeitern aufgebaut. Beim baden-württembergischen Landesdatenschutzbeauftragten sind 80 Menschen beschäftigt. Allerdings gibt es auch in vielen Städten Datenschutzbeauftragte. „Wenn jemand fragt, wo unsere Steuergelder hinfließen: Dort fließen sie hin. Und das bringt null Wertschöpfung“, sagte Palmer gegenüber unserer Zeitung.

Der Landesdatenschutzbeauftragte hatte ein datenschutzrechtliches Verfahren gegen die Stadt Tübingen eingeleitet, nachdem ein Mann aus dem Ortsteil Unterjesingen im dort erscheinenden Mitteilungsblatt seinen Namen unter den Jubilaren gefunden und sich darüber beschwert hatte. Palmer veröffentlichte das entsprechende Behördenschreiben auf seiner Facebookseite und traf damit offenbar einen Nerv. Innerhalb eines Tages verzeichnete sein Post mehr als tausend Kommentare und eine siebenstellige Zahl an Views. Das seien 20 Mal so viele wie sonst. „Ich bin also nicht der einzige, der sich darüber aufregt“, sagte Palmer.

„Bürokratiezirkus“: Datenschutz-Debatte spaltet die Gemüter

Es handele sich um einen unvergleichlichen „Bürokratiezirkus“, der wegen seiner hohen Kosten das Staatswesen vernichte, heißt es auf Palmers Facebookseite. „Das ist Wahnsinn im finalen Endstadium“, unterstreicht einer. Manche Kommentatoren weisen aber auch darauf hin, dass es eigentlich eine Selbstverständlichkeit sei, dass man über seine Daten selbst bestimmen wolle. So berichtet ein oberschwäbischer Ortsvorsteher, in seiner Ortsverwaltung habe man die vorherige Nachfrage bei den Jubilaren längst in die normalen Abläufe integriert. Seit 2015 fehlt für die Veröffentlichung von Altersjubilaren die gesetzliche Grundlage. „Die Stadt Tübingen hat offenbar zehn Jahre gegen geltendes Recht verstoßen. Da hält sich mein Mitleid in Grenzen.“

Nicht nur die Verwaltungen, auch die Unternehmen litten unter den Datenschutzvorgaben, sagte Palmer. Er sei Mitglied im Verwaltungsrat der Kreissparkasse Tübingen. „Die KSK musste 90.000 Kunden anschreiben, nur um nachzufragen, ob sie weiterhin mit ihnen kommunizieren darf. Das ist wirklich abwegig.“

„Ein Hoch auf den Eigensinn und die Bürokratie“

In Unterjesingen entschied die Ortsverwaltung mittlerweile, dass im Blättle überhaupt keine Jubilare mehr veröffentlicht werden. „Wir müssen 20 Prozent Stellenanteile einsparen. Da haben wir keine Zeit für zusätzliche Aufgaben. Also lassen wir das“, heißt es in einer internen Mail des Ortsvorstehers. „Das Ergebnis ist, wie man es in Deutschland will: wir machen einfach nichts mehr. Ein Hoch auf den Eigensinn und die Bürokratie“, sagte Palmer. „Das macht Gemeinschaft kaputt.“

Wie wichtig solche Gesten sind, erfahre er regelmäßig, wenn er selbst Jubilare besuche, dann natürlich nach Voranmeldung. „Ich saß schon bei einem 106-Jährigen aus Derendingen, der mit erzählt hat, wie 1912 der Kaiser an ihm vorübergeritten ist.“ Zuletzt sei er bei einem 80-jährigen Professor zum Geburtsagstee gewesen. „Da erfahre ich Dinge aus einem Blickwinkel, den ich im Internet oder auf der Straße so nicht bekomme.“

„Kriminelle brauchen doch nicht unsere Amtsblättle“

Der Landesdatenschutzbeauftragte Tobias Keber wies Palmers Kritik in einer erneuten Reaktion „entschieden zurück“. Es sei sein gesetzlicher Auftrag, entsprechenden Beschwerden nachzugehen. Die Stadt Tübingen sei dabei kein Einzelfall. Monatlich erreichten ihn zwei bis drei ähnlich gelagerte Beschwerden. Zahlreiche Kommunen hätten ihre Verfahren aber auch an die geltende Rechtslage angepasst und veröffentlichten Jubiläen ausschließlich mit Einwilligung, gerade auch im Hinblick auf die Gefahren möglicher „Schockanrufe“ oder „Enkeltrickbetrügereien“. Palmer hält dieses Argument allerdings für vorgeschoben. „Kriminelle brauchen doch nicht unsere Amtsblättle. Die haben ganz andere Quellen.“

Der betroffene 75-Jährige ist übrigens zufrieden mit dem Ausgang des Verfahrens. Klaus Dehmer lehrte an der Hochschule Ludwigsburg viele Jahre als Professor Steuerrecht, jetzt ist er pensioniert. „Ich bin ein privater Mensch, und auch mein Geburtstag ist eine persönliche Sache“, sagt er. Tatsächlich hätten ihm wegen der Veröffentlichung im Amtsblatt etliche Menschen gratuliert. „Das war zwar nett gemeint, aber ich möchte das nicht.“ Dass nun gar keine Jubilare im Unterjesinger Blättle mehr genannt würden, sei nicht sein Problem.