Polit-Theater rund ums Fahrverbot

Die Landesregierung rauft sich zusammen, doch ein klarer Kurs ist noch immer nicht erkennbar

Von Klaus Köster

So ein Ministerpräsident hat es nicht leicht. „Mich jedenfalls hat’s gestresst“, sagte Winfried Kretschmann, als er die neuen Pläne der Regierungskoalition für die Luftreinhaltung in Stuttgart vorstellte. Seit die Menschen gegen Dieselfahrverbote auf die Straße gehen, ist die Nervosität merklich gestiegen. Nachdem es dann auch noch dem ewigen Rivalen München gelungen ist, Dieselfahrverbote praktisch im Vorbeigehen zu vermeiden, indem man zusätzliche Messstellen für Stickoxide aufstellte, schlagen in der Koalition die Wogen hoch. „Warum geht das in München und nicht in Stuttgart?“, schimpfte Kretschmanns Stellvertreter Thomas Strobl (CDU). Ein grüner Abgeordneter rief zu Demonstrationen vor dem Büro von Steffen Bilger (ebenfalls CDU) auf, dem Ludwigsburger Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium.

Die Selbstzerfleischung scheint eine Paradedisziplin der Deutschen zu sein, angeführt von der Regierungskoalition im Südwesten. Als vor gut einem Jahr die Schadstoffwerte am Neckartor so stark sanken, dass es endlich nicht mehr Deutschlands dreckigste Kreuzung war, verloren Stadt und Land kaum ein Wort darüber – als störten sich manche Amtsträger daran, dass die Luft auch ohne Fahrverbote sauberer wird, mit denen sie Profil und Tatendrang beweisen wollten. Ganz in ihrem Element schienen diese Funktionsträger nur, wenn es galt, schlechte Nachrichten in alle Welt zu posaunen. Die Wortschöpfung vom „Feinstaubalarm“ trug Stuttgart und seiner Autoindustrie weltweite Bekanntheit ein.

Nun aber ist alles gut, sagt die Regierung. Zahlreiche neue Messstationen sollen dazu beitragen, weitere Fahrverbote zu vermeiden, wenn sie bestätigen, was ohnehin bekannt ist: dass die Station am Neckartor, angebracht an einer Stelle, die kaum je ein Mensch ohne Auto passiert, Werte liefert, die für die Atemluft alles andere als repräsentativ sind. Das wiederum ist so ziemlich das Gegenteil dessen, was der verantwortliche Verkehrsminister Winfried Hermann seit Monaten predigt. Er stellte sich sogar gegen die große Mehrheit seiner bundesweiten Ministerkollegen, um eine Überprüfung der Messstellen zu verhindern.

Schon bei der Entscheidung für das Fahrverbot in Stuttgart hatten Hermanns Beamte das Gericht in der Einschätzung bestärkt, dies sei zum Schutz der Gesundheit schnellstens nötig, ob­wohl es bis heute nicht gelungen ist, bei irgendwem eine Gesundheitsgefährdung durch so niedrige Dosierungen zu erkennen. Das Land ließ sich verklagen, stützte die Kläger und vergoss anschließend Krokodilstränen über die selbst herbeigeführte Niederlage. Polit-Theater auf dem Rücken von Arbeitnehmern und Autofahrern.

Auch die neuen Pläne der Bundesregierung, den Grenzwert für Fahrverbote von 40 auf 50 Mikrogramm zu erhöhen, stießen bei Hermann auf trotzige Ablehnung. Fahrverbote seien trotz der Pläne „nicht überholt“. Das gelte auch für die Grenzwerte, denn es gehe darum, den innerstädtischen Autoverkehr zu reduzieren, um die bis 2050 vereinbarten Klimaziele einzuhalten. Angesichts der Zweifel an den Grenzwerten geht es nun plötzlich nicht mehr um die Menschen am Neckartor, sondern um das Weltklima von 2050, dem der abrupte Wechsel von Diesel- zu Benzinautos aber gar nicht guttut. Ja, was gilt denn nun in dieser Regierung?

Laut Landesverfassung hat jeder Minister seinen Geschäftsbereich, während der Ministerpräsident die Richtlinien bestimmt. Doch eine klare Linie in dieser zentralen Frage ist weiterhin nicht zu erkennen. Sie muss aber gezogen werden, und das könnte Kretsch­mann auch weiterhin Stress bereiten.

klaus.koester@stuttgarter-nachrichten.de