Politik mit Programm: Die Liste Weissacher Bürger

Kürzlich hat die Liste Weissacher Bürger (LWB) zwei ihrer vier Mandatsträger im Gemeinderat an die CDU/FWV-Fraktion verloren – ein herber Schlag für die Gruppierung, die seit fast 50 Jahren die politische Szene im Täle mitgestaltet. Mit ihrer kritischen Haltung sorgte sie oft für Furore.

Politik mit Programm: Die Liste Weissacher Bürger

Margit Schatz, Dieter Rapp und Toni Trautwein (von links) erinnern sich an die Anfänge der LWB. Foto: Alexander Becher

Von Armin Fechter

Weissach im Tal. Auf dem Tisch liegen alte Ausgaben des „Klartext“. Toni Trautwein und Dieter Rapp, zwei langjährige Exponenten der Liste, blättern darin und blenden gemeinsam mit Margrit Schatz, der Witwe des langjährigen Sprechers der Liste im Gemeinderat Bernd Hecktor, zurück in die früheren Zeiten. Der „Klartext“ wurde von der Liste herausgegeben, um die Bevölkerung in der Gemeinde unabhängig von amtlichen Verlautbarungen zu informieren. Sachliche Kritik stand dabei neben Meinung und Satire. Die Menschen sollten aufgerüttelt und auf Dinge aufmerksam gemacht werden, die nach Auffassung der Autoren im Argen lagen. Die erste von insgesamt 43 Nummern erschien 1989, die letzte 2017.

Schon auf der Premierenausgabe des „Klartext“ prangte der Slogan „demokratisch – ökologisch – sozial“. Er markiert die große Linie, unter der sich die Mitglieder versammelt hatten: Man wollte offen und unabhängig sein, der Verantwortung für die Mitmenschen und die Umwelt gerecht werden und dabei keine Partei repräsentieren. Folglich gehörten die Akteure, von einer Ausnahme abgesehen, auch keiner Partei an, wie Trautwein erklärt, der von 1994 bis 2004 als Vorsitzender der Gruppierung fungierte und danach insgesamt zwölf Jahre dem Gemeinderat angehörte. Viele Mitstreiter waren geprägt von außerparlamentarischen Aktivitäten, insbesondere in der Friedensbewegung und in einem Kontext von Umweltschutzengagement und Anti-Atomkraft-Protest, zum Teil auch in der Interessenvertretung am Arbeitsplatz.

Zwei Mandate auf Anhieb

Die allerersten Anfänge sahen allerdings etwas anders aus. Gegründet wurde die Liste ursprünglich nämlich von der Weissacher SPD im Vorfeld der Kommunalwahl 1975. Einer der Initiatoren war Rüdiger Frey, damals Ortsvereinsvorsitzender. Nach seinen Worten sollte mit der neuen Liste ein frischer Wind ins Ortsparlament einziehen, denn dort hatte die Unabhängige Bürgerliste (UBL) eine Monopolstellung. Die Hoffnung war, dass kritische Stimmen mehr Gehör finden. Um gleichzeitig den Vorbehalten gegenüber Parteien in der Kommunalpolitik keinen Vorschub zu leisten, suchte und fand man einen neutralen Namen für die neue Kandidatengruppierung.

Tatsächlich gelang es 1975 auf Anhieb, zwei Mandate zu erringen. Aber Elfriede Malcher und Gerhard Nutz sollten in dem 18-köpfigen Gremium einen schweren Stand haben. Immerhin: Ein Anfang war gemacht und an der zweckdienlichen Vereinigung, die damals meist als Weissacher Bürgerliste bezeichnet wurde und stets auch Personen umfasste, die nicht der Partei angehörten, hielt man auch bei den folgenden Wahlen fest. Mit dem Aufkommen der Grünen – die Partei wurde 1979 in Frankfurt gegründet – und mit dem Einwohnerzuwachs in Weissach veränderte sich jedoch die Zusammensetzung der Liste: Es stießen neue, oftmals auch jüngere Interessierte dazu, von denen viele ein alternatives Denken einbrachten.

Das Miteinander habe lange Zeit gut funktioniert, erinnert sich Frey. Doch zunehmend habe sich die Frage gestellt, in welche Richtung die Liste gehen würde. Ein Knackpunkt war erreicht, als die Sozialdemokraten den Parteinamen im Listennamen verankert sehen wollten, etwa in Form einer Schrägstrichlösung: SPD/Weissacher Bürger oder anders herum. Der Richtungsstreit endete in der zweiten Hälfte der 80erJahre mit dem Auszug der SPD-Vertreter aus der Liste. Fortan bildete die SPD ihre eigene Gruppe, während sich die Liste Weissacher Bürger neu formierte. Dabei spielte laut Trautwein auch der „Kommunalpolitische Ratschlag“, eine unabhängige Initiative außerhalb des Gemeinderats, eine wichtige Rolle.

Jedenfalls bekam der erste „Klartext“ vor diesem Hintergrund programmatischen Charakter. In einem umfassenden Katalog wurden da die Forderungen aufgeführt. Etliche dieser Punkte sind später in Erfüllung gegangen, so Tempo 30 in den Wohngebieten oder die Schaffung von Rückhaltebecken zum Hochwasserschutz. Andere lesen sich heute noch aktuell, etwa Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, Luftreinhaltung, Trinkwasserschutz, ein Jugendzentrum, mehr Bürgerbeteiligung im Gemeindeleben und Erhalt des dörflichen Charakters.

Nicht jede Forderung wurde umgesetzt

Mit ihren Ideen eckte die LWB immer wieder an, sei es mit dem Ruf nach einer Fußgängerzone oder dem Traum von einer Flaniermeile in der Welzheimer Straße. „Einer unserer größten Erfolge war die eigene Wasserversorgung in der Gemeinde“, blickt Trautwein stolz zurück. Die Liste hatte sich von Anfang an vehement dafür stark gemacht, auf die eigenen Wasservorkommen zu setzen. Es bedurfte aber vieler Diskussionen, bis der Gemeinderat als Ganzes dafür gewonnen war. Nie geschafft hat es die Liste dagegen, dass die Gemeinde die Energieversorgung in die eigene Hand nahm – eine Forderung, die schon in den 80er-Jahren erhoben wurde. Trautwein ist überzeugt, dass die Gemeinde mit „Dorfwerken“ heute die Ernte einfahren könnte und sich keine Sorgen wegen geringer Gewerbesteuereinnahmen machen müsste.

Vor jeder Sitzung trafen sich die Gemeinderäte der Liste, um sich gemeinsam vorzubereiten. Jeder Tagesordnungspunkt wurde eingehend besprochen, jede Sitzungsvorlage aus dem Rathaus gesichtet und zu jedem Thema eine Position erarbeitet. Dieter Rapp, der dem Ortsparlament von 1994 bis 2012 angehörte, betont: „Wir haben uns immer viel Zeit genommen.“ Er selbst scheute auch nicht davor zurück, private Bauvorhaben, über die der Technische Ausschuss beraten sollte, selbst vor Ort in Augenschein zu nehmen.

Die LWB war immer auf Verbündete angewiesen

Um mit ihren Initiativen oder Positionen im Gremium durchzudringen, war die LWB immer darauf angewiesen, Verbündete in den anderen Fraktionen zu finden. Rapp nennt als Beispiel den Kreisverkehr am Ortseingang von Unterweissach aus Richtung Ungeheuerhof. Dort war ursprünglich eine Ampelanlage angepeilt, „Lichtspiele“, wie Rapp spöttisch formuliert. Um stattdessen einen Kreisel zu ermöglichen, wurde eine interfraktionelle Allianz geschmiedet, die dafür sorgte, dass die Gemeinde die erforderliche Fläche erwarb.

Dabei ging es im Gemeinderat immer wieder hoch her, etwa als die LWB darauf pochte, dass die Frischluftschneise entlang des Horbetsbachs erhalten bleiben musste und so die projektierte Bebauung verhindert wurde. Margrit Schatz erinnert in diesem Zusammenhang an die Umweltbilanz von 1990, die der Luft in der Ortsmitte von Unterweissach eine miserable Qualität bescheinigt hatte, „aber kein Mensch kennt diese Studie“, beklagt sie. Ihr verstorbener Ehemann Bernd Hecktor, der dem Gemeinderat 27 Jahre lang von 1989 bis 2016 angehörte, hatte immer wieder Priorität für den Umweltschutz gefordert. Das sei, so Rapp und Trautwein, auch die Aufgabe des Gemeinderats als demokratische Instanz gegenüber der Verwaltung: „Wir haben uns immer als Kontrollgremium verstanden.“