Spahn offen für kürzere Corona-Quarantäne von zehn Tagen

dpa Berlin. Es ist eine Schutzmaßnahme, die viele betreffen kann: Wenn man sich möglicherweise mit dem Coronavirus infiziert hat, soll man nach Hause in Quarantäne - doch für wie lange? In die Debatte kommt Bewegung.

Spahn offen für kürzere Corona-Quarantäne von zehn Tagen

Verbotsschild vor Wohnhäusern. Mehrere Gesundheitspolitiker haben sich dafür ausgesprochen, die Quarantänezeit bei Corona-Verdachtsfällen zu verkürzen. Foto: David Inderlied/dpa

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn ist offen für eine mögliche Verkürzung der Quarantäne bei Corona-Verdachtsfällen von derzeit 14 auf nur noch zehn Tage.

Es gelte jetzt abzuwägen, was „die richtige Quarantäne-Länge“ für Herbst und Winter sei, sagte der CDU-Politiker am Freitag in Berlin. Bis Anfang Oktober solle ein angepasstes Konzept zum weiteren Vorgehen bei Tests und Quarantäne erarbeitet werden. „Ich kann mir gut vorstellen, dass dazu gehört, eine zehntägige Quarantäne für Reiserückkehrer und möglicherweise darüber hinaus.“ Es sei zu klären, ob die Praktikabilität und die tatsächliche Bereitschaft zur Quarantäne dann überwiegen könnten.

Spahn sagte, in der Debatte gehe es nicht um falsch oder richtig. So gebe es Argumente für eine Quarantäne von 20 wie von zehn Tagen. Je länger die Quarantäne, desto größer sei die Wahrscheinlichkeit, alle potenziell Infizierten zu erfassen und die Weiterverbreitung des Virus gen Null zu bringen. Auf der anderen Seite stünden der Aufwand und Belastungen für die Betroffenen, aber auch für die Wirtschaft, Kitas oder Schulen. Spahn verwies auf Berechnungen des Robert Koch-Instituts (RKI) für symptomfreie Reiserückkehrer. Demnach seien bei einer 14-Tages-Quarantäne zwei von 100 Infizierten nicht herausgefiltert worden, bei einer Zehn-Tages-Quarantäne vier von 100.

Spahn will über mögliche Neuregelungen mit den Ländern beraten: „Ich möchte gern ein einheitliches Vorgehen haben.“ Die Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz, Berlins Senatorin Dilek Kalayci (SPD), hält eine kürzere allgemeine Quarantäne ebenfalls für denkbar. „Es gibt unterschiedliche wissenschaftliche Untersuchungen dazu und auch Erfahrungen in anderen europäischen Ländern, beispielsweise von 14 auf zehn Tage zu gehen“, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. Das RKI sei um Berechnungen gebeten worden, wie hoch die Infektiosität nach zehn, 14 und eventuell sieben Tagen sei. „Für viele Menschen ist die 14-tägige Quarantäne eine ganz große Herausforderung, wenn Kitas, Schulen betroffen sind, Eltern, Arbeitgeber“, sagte Kalayci dem ZDF.

Niedersachsens Sozialministerin Carola Reimann (SPD) sagte: „Sowohl die wissenschaftlichen Erkenntnisse der letzten Monate als auch die Erfahrungen aus der Praxis deuten stark darauf hin, dass eine Verkürzung der Quarantäne von den heute vorgeschriebenen 14 Tagen vertretbar wäre.“ Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte der dpa: „Entscheidend sind gesicherte medizinische Erkenntnisse.“ Seine Regierung führe intensive Gespräche mit Virologen in Bayern. Auch Gesundheitspolitiker im Bundestag befürworteten neue Regeln.

Das Bundesministerium erläuterte, dass sich die meist häusliche Quarantäne etwa auf Menschen bezieht, die Kontakt zu Infizierten hatten. Sie soll vermeiden, dass man in der Inkubationszeit ungewollt andere infiziert. Davon sind Isolierungen von Infizierten zu unterscheiden, die das Virus ausscheiden. Das RKI hatte die empfohlene Dauer dafür kürzlich von 14 auf zehn Tage gesenkt. Spahn sagte, er sehe keine Notwendigkeit, nun erneut davon abzuweichen.

Er äußerte sich erneut zurückhaltend auch mit Blick auf den Herbst und Winter und Ereignisse wie Weihnachtsmärkte oder Karnevalsfeiern. Hier gelte es, mit der nötigen Vorsicht heranzugehen und Risiken zu reduzieren. Vor allem bei geselligem Miteinander auf engem Raum wie bei Feiern breiteten sich Infektionen leichter aus. „Das Virus ist der Spielverderber, nicht ich.“ Daher sollten alle Bürger überlegen, ob etwa Feiern sein müssten und in welchem Umfang - und auch, wohin sie im Herbst reisen. Wenn es gelinge, Weihnachtsmärkte mit Hygiene, Abstand und Masken zu versehen, ohne ihren Charakter infrage zu stellen, könnte es das sicherlich auch geben.

Spahn bekräftigte, dass der Bund die Gesundheitsämter personell und technisch unterstützen will. Am kommenden Dienstag will Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit Vertretern von Ämtern, Kommunen und Ländern darüber beraten. Spahn schlug als mittelfristige Idee vor, ein Netzwerk von „Gesundheitsreservisten“ aufzubauen, die in den Kommunen bei größeren Infektionsfällen mithelfen könnten.

Der Berliner Virologe Christian Drosten präzisierte Vorschläge für den Umgang mit Corona-Infizierten und Verdachtsfällen. In einer E-Mail an die Deutsche Presse-Agentur ging er am Freitag auf einen von ihm vorgeschlagenen „Notfallmodus“ für den Fall ein, „wenn die Gesundheitsämter die Fallverfolgung nicht mehr leisten können, die Inzidenz steigt, und deshalb ein Lockdown unausweichlich erscheint“.

Die Gesundheitsämter sollen sich dann auf sogenannte Quellcluster konzentrieren, also auf Gruppen, in denen sich ein Infizierter angesteckt haben könnte. „Ich führe den Begriff "Abklingzeit" ein, weil in dieser Notfallsituation ein Quellcluster weitgehend unbestätigt isoliert wird und man einfach annimmt, dass die meisten Mitglieder infiziert sind“, schreibt Drosten. „Ich empfehle hier das Vorgehen wie bei der Einzelisolation: Fünf Tage Isolierung, danach Testung.“ Er empfehle diese kurze Zeit, weil in Quellclustern die meisten Infizierten zu einem einzigen Zeitpunkt infiziert würden.

Drosten hatte zu diesem Thema auch in einem am Dienstag veröffentlichen Podcast des NDR gesprochen. Die Deutsche Presse-Agentur hatte berichtet, dass Drosten sich für eine Verkürzung der Quarantänezeit für Menschen mit Verdacht auf eine Coronainfektion von 14 auf fünf Tage ausspricht - ohne explizite Erwähnung der genauen Umstände einer solchen Maßnahme.

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Spahn offen für kürzere Corona-Quarantäne von zehn Tagen

Jens Spahn (CDU), Bundesgesundheitsminister, äußert sich bei einer Pressekonferenz nach der Videokonferenz der EU-Gesundheitsminister. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa