Polizei versucht Rekonstruktion des Heidelberger Amoklaufs

dpa Heidelberg. Es ist ein bisschen wie ein Puzzlespiel: Mit immer neuen Informationen, Beobachtungen und Beweisstücken soll sich für die Ermittler beim Heidelberger Amoklauf eine Gesamtschau des Verbrechens ergeben. Noch fehlen viele Puzzleteile.

Polizei versucht Rekonstruktion des Heidelberger Amoklaufs

Polizei und Wachschutz stehen an dem Eingang zum Gebäude auf dem Gelände der Heidelberger Universität. Foto: R.Priebe/Pr-Video/dpa

Nach dem Amoklauf an der Universität Heidelberg versucht die Polizei, sich anhand von Zeugenvernehmungen und der Auswertung von Obduktionsergebnissen ein Bild von der Tat zu machen. „Die rund 30 in einem Hörsaal vom Täter überraschten Biologie-Studenten sind größtenteils befragt worden“, sagte Polizeisprecher Patrick Knapp am Mittwoch in Mannheim. Sicherlich gebe es auch eine zweite Fragerunde. „Je tiefer wir die Dinge untersuchen, desto mehr neue Fragen tun sich auf.“

Ein 18 Jahre alter Student hatte am Montag in einem Hörsaal mehrmals auf andere Studierende geschossen. Eine 23-jährige Studentin starb an den Folgen eines Kopfschusses, drei weitere Menschen wurden verletzt. Nach der Tat tötete sich der 18-Jährige selbst.

Mit Blick auf die Augenzeugen der Tat rät ein Experte, sich Zeit zu geben, das Erlebte verarbeiten zu können. Frank-Hagen Hofmann, der Leiter der Psychosozialen Beratungsstelle des Studierendenwerks, sagte der „Rhein-Neckar Zeitung“ (Mittwoch), wichtig seien anfangs oft vor allem ein sicheres Umfeld und Kontakt zu vertrauten Menschen, um sich sicher, unterstützt und aufgehoben zu fühlen. „Mit dem Umfeld darüber zu sprechen, sich und sein Erleben mitzuteilen, kann Teil davon sein.“

Bei der betroffenen Gruppe handelt es sich um 30 Studierende im Erstsemester. Bis zur Trauerfeier am kommenden Montag setze die Fakultät Biowissenschaften Präsenzveranstaltungen für Studierende im ersten Semester vorerst aus, sagte der Dekan der Fakultät für Biowissenschaften, Joachim Wittbrodt, der Deutschen Presse-Agentur. In höheren Semestern seien bei Lehrveranstaltungen Schweigeminuten und Zeiten zum Austausch geplant. Bei den anstehenden Prüfungen sei nun Augenmaß gefragt, sagte Wittbrodt. Eine Prüfung am Mittwoch dieser Woche sei ausgesetzt worden, für weitere werde es Ersatztermine geben.

Hinweise zum Hintergrund der Attacke mit einer Schrotflinte erhoffen sich die Ermittler aus der Obduktion der Leiche des Täters und der von ihm erschossenen 23-Jährigen. Diese könne etwa zeigen, wie nah der Amokschütze der Frau kam und ob sie ein Zufallsopfer oder gezielt ins Visier genommen war, sagte Knapp. „Wir wollen die Tat so genau wie möglich rekonstruieren.“ Darauf, dass die beiden dasselbe Fach studierenden jungen Leute sich kannten, gebe es aber keinen Hinweis.

Zu den noch offenen Fragen gehört auch die, wie der in Mannheim wohnhafte Mann mit seinen zwei im Ausland gekauften Gewehren unbemerkt auf den Heidelberger Campus kam. Klar sei aber, betonte Knapp, dass der Amoklauf keinen politischen Hintergrund habe.

Inzwischen sind die Wohnung des Amokschützen und von ihm genutzte Räume bei seinen Eltern in Berlin durchsucht und elektronische Geräte sichergestellt worden. Der Vater hatte Knapps Angaben zufolge nicht lang vor der Tat eine WhatsApp-Nachricht erhalten, in der der Sohn die Tat ankündigte. Der Student schrieb, „dass Leute jetzt bestraft werden müssen“. Die Eltern des jungen Attentäters würden von der Berliner Polizei betreut, sagte Knapp. Auch sie litten enorm unter der schrecklichen Tat ihres Sohnes.

Der Amoklauf hatte auch eine Debatte über Sicherheit an Hochschulen entfacht. Der Vorsitzende der Landesrektorenkonferenz der Universitäten und Rektor der Universität Hohenheim, Stephan Dabbert, sagte: „Die Universitäten verstehen sich als weltoffene Bildungsstätten, in denen auch in diesen schweren Zeiten Austausch und Kommunikation stattfinden - sie sind damit Teil einer offenen Gesellschaft.“ Zugangskontrollen liefen diesem Selbstverständnis entgegen. Das bedeute aber nicht, dass die Universitäten Notsituationen hilflos ausgeliefert seien. „Alle Landesuniversitäten verfügen über Notfall- und Krisenpläne - diese haben im Fall von Heidelberg auch gegriffen, so dass die Einsatzkräfte innerhalb weniger Minuten vor Ort sein konnten.“

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