Pragmatisch oder beliebig? Die Grünen und ihre Partner

dpa Berlin. Volksparteien schwächeln, die AfD legt zu: Etwas hat sich verschoben, wie die Wahlen in Sachsen und Brandenburg wieder gezeigt haben. Wo die alten Lager nicht weiterhelfen, zeigen sich die Grünen flexibel. Eine Deutschland-Tour durch ihre ganz unterschiedlichen Bündnisse.

Pragmatisch oder beliebig? Die Grünen und ihre Partner

Das Logo von Bündnis 90/Die Grünen. Foto: Stefan Sauer

Wenn es nach den Grünen geht, sitzen sie schon in ein paar Wochen in Brandenburg und Sachsen mit auf der Regierungsbank. In 11 von 16 Bundesländern wären sie dann an der Macht.

Natürlich nicht alleine, sondern in einem bunten Strauß vom Koalitionen: CDU, SPD, FDP und Linke, alle sind irgendwo irgendwie Partner der Grünen. Was dazukommen könnte: Ein Bündnis mit CDU und SPD oder auch mit SPD und Linken in Potsdam, eines mit CDU und SPD in Sachsen. Bunt eben.

Im Bundestag stellen die Grünen die kleinste Fraktion. Aber im Bundesrat, also der Ländervertretung, geht gegen sie wenig bis nichts. Diese Macht - Politiker sprechen lieber vom „Gestalten“ - bringt aber zwei Risiken mit sich.

Fürs Profil: Koalitionen bedeuten Kompromisse, und wer davon zu viele macht, der kann auch beliebig wirken.

Für den Frieden: Schon zwischen den Parteiflügeln, Linken und Realos, gibt es immer wieder Knatsch um Themen wie Vermögensteuer oder Staatsschulden. Das wird mit Regierungsverantwortung nicht leichter. Da kann man nicht wie die Opposition dies und das fordern, sondern muss für jede Entscheidung geradestehen.

Davon wollen die Grünen sich aber nicht zurückhalten lassen, und bleiben bei ihrem Kurs: Wir reden mit allen, außer mit der AfD. Bundesgeschäftsführer Michael Kellner sieht es als Stärke, dass die Grünen über ihre Ziele mit so unterschiedlichen Partnern reden könnten. Das sei auch notwendig in einer Zeit, in der das Parteiensystem sich so verändere, sagte er diese Woche.

Von „R2G“ über „Ampel“ zu „Jamaika“ - wie läuft es für die Grünen? Eine Reise kreuz und quer durch die Republik:

THÜRINGEN - Rot-Rot-Grün: Hier wird Ende Oktober neu gewählt. Seit 2014 arbeitet das Bündnis aus Linken, SPD und Grünen unter Bodo Ramelow (Linke) recht geräuschlos. Beim Thema Umwelt- und Naturschutz sind sie in der Regierung der Taktgeber, Grünen-Spitzenkandidatin Anja Siegesmund ist im Freistaat Umweltministerin. Inhaltlich liegen zwischen den Grünen, der Linken und der SPD keine Welten, die drei würden gern zusammen weitermachen. Bei der Landwirtschaft - Stichwort Ökolandbau und Tierwohl - gibt es aber Unterschiede, im Bildungsbereich auch. Die Grünen schielen aufs Agrarressort.

BERLIN - Rot-Rot-Grün: Auch in der Bundeshauptstadt regiert ein Linksbündnis, in der von Michael Müller (SPD) geführten Koalition gibt es aber öfter Hakeleien. Grünes Hauptprojekt ist die „Verkehrswende“: Als Meilenstein gilt das Mobilitätsgesetz, das dem öffentlichen Nahverkehr, dem Fuß- und dem Radverkehr Vorrang einräumt. Die Grünen in Berlin gelten als linker Landesverband. Eine Koalition mit der CDU können sich daher momentan die wenigsten vorstellen. Warum auch: Laut Umfragen hat „R2G“ nach wie vor eine Mehrheit von 55-60 Prozent - und in Umfragen liegen die Grünen vorn.

BREMEN - Rot-Grün-Rot: Linksbündnis Nummer 3 ist erst seit Mitte August in Amt und Würden. Die Grünen waren „Königsmacher“, sie hätten auch CDU und FDP den Zuschlag geben können. Doch die Grünen und deren eher links tickende Basis entscheiden sich für die Option Rot-Grün-Rot. Für Knatsch mit Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) war noch kaum Zeit. Die Grünen haben in den letzten Jahren im Finanzressort die Sanierung des verschuldeten Bundeslandes geleitet - sie sehen sich in Bremen auch weiter als Hüter der Schuldenbremse.

HAMBURG - Rot-Grün: Zweierbündnisse werden seltener, an der Elbe regiert eines, nämlich die SPD mit Bürgermeister Peter Tschentscher und die Grünen. In jüngster Zeit knirscht es etwas - aber eher hinter den Kulissen als auf offener Bühne. Kein Wunder: Die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank hat nach jüngsten Umfragen realistische Chancen, mit den Grünen bei der Bürgerschaftswahl im Februar an der SPD vorbeizuziehen. Wachsendes Selbstvertrauen des Juniorpartners prägt die Zusammenarbeit - es rumort.

HESSEN - Schwarz-Grün: Weiter südlich in Wiesbaden regieren CDU und Grüne auf Augenhöhe. Das Bündnis funktioniert - von außen betrachtet - geräuschlos, was auch an der großen Integrationsfähigkeit von Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) liegt. Es schadet nicht, dass sein Stellvertreter Tarek Al-Wazir zu den Grünen-Realos gehört, die im Ruf stehen, mit der Union besser zu können. Schmerzliche Kompromisse musste der grüne Juniorpartner bislang aber unter anderem in der Innenpolitik machen, etwa beim verschärften Polizeigesetz.

BADEN-WÜRTTEMBERG - Grün-Schwarz: Noch südlicher amtiert der einzige grüne Ministerpräsident - Winfried Kretschmann machte erst die SPD, dann die CDU zum Juniorpartner. So bürgerlich wie im Südwesten geben sich die Grünen sonst kaum wo. Trotzdem knirscht es gewaltig, etwa bei der inneren Sicherheit oder Diesel-Fahrverboten für saubere Luft. „Kretsch“ hat gerade erklärt, dass er 2021 nochmal antritt - damit dürfte auch das Regierungsgeschäft in Stuttgart zunehmend vom Wahlkampf geprägt sein.

SCHLESWIG-HOLSTEIN - Schwarz-Grün-Gelb: Im Norden wechselten die Grünen 2017 ohne Verwerfungen von einer Koalition mit SPD und dänisch orientiertem SSW in ein Jamaika-Bündnis mit CDU und FDP. Darin sind sie ein stabilisierender Faktor. Bei Umwelt, Energie und Bildung machten sie Punkte, in Verkehr, Wirtschaft und Flüchtlingspolitik haben sie es schwer. Der Bau eines Abschiebegefängnisses und der Ausstieg aus der Mietpreisbremse tun weh. Konflikte löst die Koalition meist intern. Die Philosophie von Regierungschef Daniel Günther (CDU): Jede Partei darf ihre Position vertreten und sagen, wenn sie sich durchgesetzt hat, ohne dass die Koalition wackelt.

SACHSEN-ANHALT - Schwarz-Rot-Grün: Hier sind die Grünen kleinster Partner, aber präsent. Der Landesverband gilt als links - zeigt sich aber im heftig diskutierten Bereich Asylpolitik und Sicherheit bisher kompromissbereit. Im Gegenzug setzten die Grünen ihre Forderung nach einer Kennzeichnungspflicht für Polizisten durch. Die Koalition um Reiner Haseloff (CDU) ringt heftig und öffentlich um Kompromisse. Größter Streitpunkt ist der Umgang mit der AfD, etwa als große Teile der CDU-Fraktion mit der AfD und gegen die Koalition für eine Kommission zur Untersuchung des Linksextremismus stimmte.

RHEINLAND-PFALZ - Rot-Gelb-Grün: In die Ampel-Koalition gingen die Grünen gerupft: Von 15,4 Prozent war der eher linke Landesverband auf 5,3 Prozent eingebrochen. Die Grünen mussten bittere Kröten schlucken, wie Abstriche beim Ausbau der Windenergie und einen forcierten Ausbau von Straßen. Inzwischen läuft es unter Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD), die Tränen der sechs Landtagsabgeordneten haben inzwischen einem breiten Lächeln Platz gemacht. Hoffnungsträgerin ist die grüne Integrations- und Familienministerin Anne Spiegel. Eher pragmatisch agiert der Fraktionsvorsitzende Bernhard Braun, der jüngste Signale von Seiten der CDU durchaus wahrnimmt.