Noch kein Durchbruch beim Brexit-Handelspakt

dpa London. London und Brüssel ziehen auf höchster Ebene eine ernüchternde Bilanz ihrer bisherigen Verhandlungen um einen Brexit-Handelspakt. Gibt es auf den letzten Metern noch eine Chance auf einen Deal?

Noch kein Durchbruch beim Brexit-Handelspakt

Regierungschef in schwierigen Zeiten: Der britische Premierminister Boris Johnson. Foto: Leon Neal/PA Wire/dpa

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der britische Premier Boris Johnson haben am Samstag bei ihrem Telefonat über den Brexit-Handelspakt keinen Durchbruch erzielt.

Beide Seiten bestätigten, dass es zwar in jüngster Zeit Fortschritte gegeben habe, es aber noch bedeutende Differenzen gebe, vor allem in den Bereichen Wettbewerbsbedingungen und Fischerei. Wie geplant wollen Brüssel und London am Montag weiterverhandeln. Die Zeit wird aber extrem knapp.

Beide Seiten wollten ihre Bemühungen nun verdoppeln, um noch eine Einigung zu erzielen, teilte ein britischer Regierungssprecher mit. Man werde weiter intensiv in der kommenden Woche zusammenarbeiten, twitterte auch von der Leyen nach dem bilanzierenden Gespräch. Sie und Johnson wollen auch direkt in Kontakt bleiben.

Die Brexit-Übergangsphase endet in weniger als zwei Monaten. Dann scheidet Großbritannien aus dem EU-Binnenmarkt und der Zollunion aus. Ohne Vertrag drohen Zölle und andere Handelshemmnisse.

Johnson hatte am Freitag dem britischen Sender Sky News gesagt, dass er immer noch auf einen Deal hoffe. Es könnte in sieben bis zehn Tagen zu einer Einigung kommen. Demnach wäre eine Entscheidung um das kommende Wochenende herum möglich.

Die Gespräche zwischen der EU und Großbritannien verliefen über viele Monate sehr schleppend. London verließ zwischenzeitlich sogar den Verhandlungstisch. Brüssel hatte ursprünglich erklärt, man müsse sich bis Ende Oktober einigen, damit ein Vertrag noch ratifiziert werden könne. Die Frist verstrich, doch die Gespräche wurden fortgesetzt.

Angesichts der Corona-Pandemie ist der Druck auf London erheblich gewachsen, einen Deal mit Brüssel zustande zu bringen und so noch größeren wirtschaftlichen Schaden abzuwenden. Kritiker werfen Johnson vor, ein schlechter Krisen-Manager zu sein. Er habe zu spät und falsch auf die Pandemie reagiert und so dem Land Schaden zugefügt.

In Großbritannien wurde auch vermutet, dass Johnson das Ergebnis der US-Präsidentschaftswahl abwarten wollte. Donald Trump ist Brexit-Anhänger und strebte ein lukratives Handelsabkommen mit Großbritannien an. Wahlsieger Joe Biden ist mehr der EU zugetan. Mit seinem Erfolg könnten nach Ansicht von Kommentatoren nun die Chancen für einen Handelspakt zwischen London und Brüssel steigen.

Bei einem No-Deal-Brexit wären die Folgen massiv: Tausende Lastwagen werden sich Prognosen zufolge wegen der Grenzkontrollen im Raum Dover stauen, viele Regale in Supermärkten und Apotheken leer sein. Auch die EU-Staaten wären getroffen. Zehntausende Jobs seien in Gefahr, warnte kürzlich der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). In Großbritannien drohen innenpolitische Verwerfungen. Schottlands Bestreben nach Unabhängigkeit könnte noch größer werden.

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