90 Millionen Touristen machten 2024 Urlaub in Spanien. Reiseveranstalter und Vermieter verdienen, Einheimische leiden – und wehren sich jetzt.
Protest gegen Privatflüge und Kreuzfahrt-Exzesse.
Von Michael Maier/KNA
Die Wut auf den Massentourismus treibt viele Spanier auf die Straße. Am Sonntag starteten in zahlreichen Städten und Urlauberregionen erneut Demonstrationen gegen die sozialen Auswirkungen des zunehmenden Andrangs von sonnenhungrigen Touristen. In Palma de Mallorca protestierten Tausende Menschen unter dem Motto „Für das Recht auf ein würdiges Leben. Lasst uns die Touristifizierung stoppen“.
Die Großkundgebung, organisiert von der Plattform „Menys Turisme, Més Vida“ (Weniger Tourismus, Mehr Leben), mobilisierte laut Polizeiangaben etwa 8.000 Teilnehmer, während die Veranstalter von bis zu 30.000 Menschen sprechen.
Demo auf Mallorca
Die Demonstration begann gegen 18.20 Uhr an der Plaça d’Espanya in Palma und führte durch die Innenstadt zum Borne-Boulevard, wo das Abschlussmanifest verlesen wurde. Während der Protest offiziell gegen Auswüchse des Massentourismus gerichtet war, wurden auch zahlreiche weitere soziale Themen angesprochen. Viele Teilnehmer trugen grüne T-Shirts als Protest gegen Kürzungen im Bereich der katalanischen Sprache, andere schwenkten palästinensische Flaggen oder trugen Plakate gegen die hohen Wohnungspreise.
„Das touristische Modell macht uns arm und führt in den Kollaps. Das Pro-Kopf-BIP ist seit 25 Jahren rückläufig, während die Lebenshaltungskosten, insbesondere für Wohnraum, immer weiter steigen und viele Einheimische aus ihren Vierteln verdrängen“, so die Plattform auf Mallorca in ihrem Manifest.
Der 16-jährige Jaume Pujol, Sprecher von „Menys Turisme, Més Vida“, kritisierte die Regionalregierung unter Marga Prohens scharf. Er forderte eine Begrenzung des Tourismus, ein Moratorium für Kreuzfahrtschiffe und ein Ende der ausufernden Ferienvermietung von Privatwohnungen, die für große Probleme auf dem Markt verantwortlich gemacht wird.
In der Mittelmeermetropole Barcelona protestierten rund 800 Menschen mit dem Slogan „Der Tourismus raubt uns unser Brot, unser Dach und unsere Zukunft. Beschränkt den Tourismus jetzt!“. Auf dem spanischen Festland kamen auch bengalische Feuer und Wasserpistolen gegen Touristen zum Einsatz. Diese wurden von Aktivisten zum Teil nass gespritzt – nahmen es in der Sommerhitze aber meistens sportlich.
Demonstrationen gegen Tourismus
Auch auf Ibiza, den Kanaren-Inseln Lanzarote und Teneriffa sowie in Urlauberhochburgen wie Valencia, Bilbao, Granada oder San Sebastian protestierten Tausende Menschen für „weniger Tourismus, mehr Leben“. Insgesamt mehr als 140 Bürgerinitiativen riefen nach den Massenprotesten im vergangenen Sommer landesweit erneut dazu auf, die negativen Folgen des Tourismus für die Bevölkerung anzuprangern. Sie argumentieren, dass er die Mieten in die Höhe treibt, die städtische Infrastruktur überlastet und zu Müllproblemen und Wasserknappheit führt.
Jährlich 90 Millionen Touristen in Spanien
Im Jahr 2024 kamen mehr als 90 Millionen ausländische Besucher in das Land. Protestierende fordern eine Umstellung auf nachhaltige Tourismusmodelle. Zu den Forderungen gehören die Einführung von Touristen-Obergrenzen in überfüllten Gebieten, die Erhöhung von Touristensteuern zur Finanzierung lokaler Infrastruktur sowie die Regulierung und Begrenzung von Kurzzeitvermietungen. Spanische und ausländische Vermieter bevorzugen oft die Vermietung an Touristen zu höheren Preisen, was zu einer Wohnungsnot geführt hat, durch die viele Bewohner aus ihren Stadtvierteln verdrängt wurden.
Wohnraum-Krise schlimmer als Arbeitslosigkeit
„Der Zugang zu bezahlbarem Wohnraum ist eines der größten sozialen Probleme Spaniens und führt zur Verarmung von immer mehr Familien. Die Gründe sind neben dem Fehlen von Sozialwohnungen vor allem auch die Explosion touristischer Apartments“, erklärte Fernando Fuentes, Leiter für Sozialangelegenheiten bei der spanischen Bischofskonferenz, der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).
Das bestätigen auch jüngste Umfragen des staatlichen Meinungsforschungsinstituts CIS. 28,4 Prozent der Spanier halten die Wohnungsnot für noch kritischer als die Arbeitslosigkeit oder die politische Lage. Laut einem Bericht der Organisation für bezahlbaren Wohnraum „Provivienda“ sind in Spanien derzeit 5,5 Millionen Haushalte von den Folgen der Wohnungsnot betroffen.