Puzzlestein-Suche quer durch Europa

Der 45-Millionen-Fall: Tag sieben im Geldwäscheprozess – Zwei Versionen, die sich widersprechen

Puzzlestein-Suche quer durch Europa

Von Peter Schwarz

SCHORNDORF/STUTTGART. Dieser Fall offenbart immer staunenswertere Dimensionen: Es geht nicht nur um 45 Millionen Euro – es gibt auch unfassbare Mengen an Protokollen abgehörter Gespräche. Tag sieben im Geldwäscheprozess.

Ein Puzzle zusammenzusetzen, ist schwer genug, wenn alle Teilchen auf dem Tisch liegen: Jedes für sich ist nichts als Pappe mit Farbklecksen, nur verfugt ergeben sie ein Bild. Aber was, wenn die Stücke erst zusammengesucht werden müssen, weil sie verstreut sind über halb Europa?

So etwa muss man sich die Arbeit der Stuttgarter Zollfahnder vorstellen in diesem Fall. Er ist sagenhaft kompliziert und lässt sich in zwei Versionen erzählen.

Version eins: Sie ergibt sich aus den Buchhaltungsunterlagen der Schorndorfer Firma Noble Glitter (Name geändert): Sie schickte zwischen September 2017 und Januar 2018 insgesamt 45 Millionen Euro in bar nach Dubai und bezog dafür Goldbarren. Woher hatte Noble Glitter so viel Geld? Aus Geschäften mit der rumänischen Firma Goodcash (Name geändert), die ihrerseits Gold aus Schorndorf erwarb.

Version zwei, die Theorie der Anklage: Die vorgeblichen Transaktionen – Geld aus Schorndorf gegen Gold aus Dubai, Gold aus Schorndorf gegen Geld aus Rumänien – waren nur Tarngeschäfte. Noble Glitter schaffte Drogengeld aus Holland nach Dubai und bastelte darum herum die Legende eines legalen Goldhandels. Zwar kam Gold aus den Emiraten, aber es wurde nicht nach Rumänien verkauft, sondern über London wieder nach Dubai zurückgebracht.

Zwei Versionen: Sie widersprechen einander krass. Welche stimmt?

An Verhandlungstag sieben, bei der weiteren Vernehmung eines Stuttgarter Zollfahnders, offenbart sich einmal mehr, was für ein Riesenrad die Ermittler gedreht haben: Sie blickten über den deutschen Tellerrand, holten mithilfe von Rechtshilfeersuchen Informationen aus anderen Ländern ein, sammelten Puzzlestücke quer durch Europa. Derlei ist umständlich, zeitraubend und, wenn Anfragen im Ausland versanden, zermürbend. Deshalb mag es zu Recherchen derartiger Tiefe selten kommen. In diesem Fall aber offenbarte die kontinentale Blickweite viele Auffälligkeiten.

Die Firma Goodcash, mit der Noble Glitter laut Buchhaltung millionenschwere Goldgeschäfte betrieb, ist in Rumänien als Klitsche verzeichnet, die unter anderem mit Baustoffen und Antiquitäten handelt und außer der eingetragenen Geschäftsführung keine Angestellten hat. Gold, das laut der deutschen Buchhaltungsdaten nach Rumänien gewandert sei, scheint laut englischer Einfuhrvermerke nach London gegangen zu sein – und wenige Tage später landete Gold mit demselben Reinheitsgrad und demselben Gewicht wiederum in Schorndorf.

„Vor lauter Wischen nahe an der Sehnenscheidenentzündung“

Niederländische Strafzettel und Parkplatz-Überwachungskamerabilder zeigen: Oft war ein Noble-Glitter-Angestellter just einen oder zwei Tage, bevor Bargeld nach Dubai floss, in Holland – und traf sich dort mindestens einmal mit einem wegen Drogendelikten Vorbestraften. Dazu spulten die Ermittler offenbar das volle Krimiprogramm ab: fuhren bei „Observationen“ dem Goldhändler unauffällig hinterher, hörten sein Telefon ab, belauschten via Wanze, worüber er in seinem Auto redete. Der Zeuge von der Zollfahndung sagt: Zusammengekommen seien – man traut seinen Ohren nicht – „sechshundertzweiundachtzigtausend“ Verschriftlichungen belauschter Gespräche.

Richterin Haußmann sagt: Als sie die CD-ROM mit den Protokollen eingelegt habe, sei sie „vor lauter Wischen nahe an der Sehnenscheidenentzündung“ gewesen.

Der Zollfahnder erzählt im Zeugenstand: In einem der abgehörten Gespräche habe der Goldhändler einem Kompagnon erklärt, man müsse sich „keine Sorgen machen“ – es gebe zwischen den Staaten keinen behördlichen Informationsaustausch.

Irgendwann mag er geahnt haben, dass es in diesem Fall doch anders sein könnte – eines Tages jedenfalls, erzählt der Ermittler, habe der Goldhändler am Telefon versucht, für „50000 Euro“ einen aserbaidschanischen „Diplomatenpass zu kaufen“.