Fast gestorben wegen der Pille? Frau klagt weiter

dpa Freiburg. Für eine junge Frau ist mit 25 Jahren plötzlich alles anders: Sie erleidet eine Lungenembolie und einen Herzstillstand und stirbt beinahe. Sie macht eine Verhütungspille aus von Bayer dafür verantwortlich - und klagt sich durch die Instanzen.

Fast gestorben wegen der Pille? Frau klagt weiter

Eine Packung mit Verhütungspillen der Marke "Yasminelle" steht auf einem Tisch. Foto: picture alliance / dpa/Archivbild

Der Rechtsstreit um mögliche Gesundheitsgefahren durch die Einnahme der Verhütungspille „Yasminelle“ beschäftigt die nächste Instanz. Das Oberlandesgericht Karlsruhe verhandelte am Dienstag in Freiburg in Berufung über die Schadenersatzklage einer Frau gegen den Pharmavertreiber Bayer Vital GmbH (Az. 14 U 19/19).

Die Klägerin aus dem Ortenaukreis erlitt im Juli 2009 eine beidseitige Lungenembolie sowie einen Kreislaufzusammenbruch mit Herzstillstand und entging nur knapp dem Tod. Sie führt das auf die Einnahme der Verhütungspille „Yasminelle“ mit seinem Wirkstoff Drospirenon zurück. Dieses Präparat gehört zu den Verhütungspillen der sogenannten vierten Generation, die immer wieder wegen erhöhter Thrombose-Risiken in der Kritik stehen.

Nach Angaben des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erleiden bei Einnahme des Wirkstoffs Drospirenon etwa neun bis zwölf von 10 000 Frauen innerhalb eines Jahres eine venöse Thromboembolie. Bei der Einnahme einer Pille der sogenannten ersten Generation sind es demnach weniger: fünf bis sieben. Das Institut empfiehlt Ärzten mittlerweile, insbesondere Erstanwenderinnen und Anwenderinnen unter 30 bevorzugt Pillen der ersten und zweiten Generation zu verschreiben, also den Pillen „mit dem bekannten geringsten Risiko für venöse Thromboembolien“.

In der Verhandlung in Freiburg wurde ein Sachverständiger unter anderem dazu befragt, ob die Gesundheitsschäden der Frau auch auf andere Faktoren als auf die Einnahme der Pille zurückzuführen sein könnten - etwa auf einen Langstreckenflug der Klägerin Monate vorher. Darauf zielt die Bayer-Verteidigung ab: Wenn das Unternehmen sicher nachweisen kann, dass im konkreten Einzelfall andere Faktoren als das Medikament geeignet gewesen sein können, die Gesundheitsschäden zu verursachen, haftet es nicht, wie ein Gerichtssprecher erläuterte. Eine Entscheidung soll am 25. Juni verkündet werden.

Für die Klägerin geht es um viel. „Ich werde nie wieder zu meinem alten Körper kommen“, sagte die heute 36-Jährige kurz vor dem Prozesstag. „Man wacht mit 25 aus dem Koma auf und kann gar nichts mehr.“ Heute leide sie unter einer posttraumatischen Belastungsstörung, Panikattacken und Depressionen und müsse ihren Alltag nach der Krankheit ausrichten. Das Verfahren sei zudem ein Beispielprozess. Sollte das Gericht zu ihren Gunsten entscheiden, könne das viele Klagen weiterer „Yasminelle“-Geschädigter gegen Bayer nach sich ziehen. 2018 war die Frau mit ihrer Schadenersatzklage vor dem Landgericht Waldshut-Tiengen gescheitert.

Die Bayer Vital GmbH hält die Ansprüche der Klägerin für unbegründet. Niedrig dosierte kombinierte orale Kontrazeptiva wie „Yasminelle“ wiesen bei bestimmungsgemäßer Einnahme ein positives Nutzen-Risiko-Profil auf. Die Pille „Yasminelle“ und ihr Wirkstoff Drospirenon wurden nach Bayer-Angaben von der ehemaligen Schering AG entwickelt. Seit diese von Bayer übernommen wurde, gehört „Yasminelle“ demnach zum Bayer-Portfolio und wird heute von Jenapharm, einem Bayer-Tochterunternehmen, vertrieben.

In den USA hat Bayer wegen Drospirenon-haltigen Präparaten bereits hohe Vergleichszahlungen leisten müssen. 10 600 Anspruchstellerinnen erhielten dort wegen Erkrankungen infolge von venösen Blutgerinnseln insgesamt rund 2,1 Milliarden US-Dollar, wie das Leverkusener Unternehmen mitteilte. Eine Haftung sei aber nicht anerkannt worden. Im Zusammenhang mit den Präparaten sind nach Bayer-Angaben noch weitere Verfahren anhängig: zwei in den USA und „weniger als zehn“ in Ländern außerhalb der USA und Kanada, davon zwei in Deutschland.

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