Norbert Barthle befürchtet Stimmenverluste bei der Landtagswahl. Foto: privat
Von Kornelius Fritz
BACKNANG. Wenige Tage vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg wird die Union von einer Korruptionsaffäre erschüttert: Für die Vermittlung von Geschäften mit Schutzmasken sollen die Bundestagsabgeordneten Georg Nüßlein (CSU) und Nikolas Löbel (CDU) Provisionen in sechsstelliger Höhe kassiert haben. Norbert Barthle, CDU-Bundestagsabgeordneter im Wahlkreis Backnang/Schwäbisch Gmünd, zeigt sich bestürzt über die Vorfälle, sieht aber kein generelles Problem in seiner Partei.
Herr Barthle, was haben Sie gedacht, als Sie von den Provisionszahlungen an Ihre Fraktionskollegen gehört haben?
Es war eine Mischung aus Überraschung, Enttäuschung und Entsetzen. Überraschung insbesondere über meinen Kollegen Georg Nüßlein, den ich wirklich als sehr sach- und fachkundigen Gesundheitsexperten geschätzt habe. Enttäuschung darüber, dass beide Kollegen der finanziellen Versuchung nicht widerstehen konnten, und Entsetzen mit Blick auf das Bild, das sich die Öffentlichkeit aufgrund dieser Vorfälle von den Politikern machen wird. Leider ein falsches Bild, denn von den 246 Abgeordneten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion haben 244 der Versuchung widerstanden – das hoffe ich zumindest.
Wie groß ist der Schaden, den die beiden Abgeordneten verursacht haben, für die CDU, auch mit Blick auf die bevorstehende Landtagswahl in Baden-Württemberg?
Immens, das fürchte ich zumindest. In den Medien wird ja schon ein Vergleich mit der Reaktorkatastrophe in Fukushima hergestellt, die 2011 die CDU Baden-Württemberg entscheidende Prozentpunkte bei der Landtagswahl kostete. Meiner Partei und meiner Fraktion kann ich keine Vorwürfe machen: Sehr rasch und massiv wurde das Fehlverhalten kritisiert und der Rücktritt von Amt und Mandat gefordert. Ich selbst habe mit darauf hingewirkt, dass dem Kollegen Löbel sehr rasch klar gemacht wurde, dass ein Mandatsverzicht erst Ende August nicht infrage kommt. Dennoch ist der Schaden erst einmal angerichtet: Vertrauen aufzubauen dauert lange, zerstört ist es in wenigen Augenblicken.
Nüßlein und Löbel sind nicht die ersten CDU-Politiker, die zum eigenen Vorteil mit Lobbyisten und privaten Unternehmen gekungelt haben. Braucht es strengere Regeln, um solche Vorfälle künftig zu verhindern?
Das stimmt, diese Problematik gibt es aber in allen Parteien. Ich möchte hier kurz an den SPD-Ex-Kanzler Schröder erinnern, der heute sein tägliches Brot in Diensten des wahrlich nicht „lupenreinen Demokraten“ Putin verdient. Grüne Wirtschaftsstaatssekretäre zog es nach dem Mandat eilig in die Automobilbranche. Grundsätzlich denke ich, dass die Regeln schon recht streng sind. Entscheidender ist in meinen Augen, ob ein Abgeordneter über den inneren Kompass verfügt, was geht und was nicht geht. Diesen Kompass können auch strengere Regeln nicht ersetzen. Wir werden aber jetzt sicher mit den anderen Fraktionen darüber beraten, ob und wie unsere Bestimmungen und Meldepflichten weiter verbessert werden können. Übrigens: Bis Freitag muss jedes Mitglied der Unionsfraktion gegenüber der Fraktionsspitze erklären, dass es keine finanziellen Leistungen aus dem Kauf oder Verkauf von Medizinprodukten erhalten hat, wie etwa Schutzausstattung, Test- oder Impfbedarf. Das gilt auch für das Vermitteln von Kontakten, die Weiterleitung von Angeboten oder Anfragen sowie Unterstützung oder Beratung Dritter bei solchen Tätigkeiten. Ich habe das bereits erledigt.
Gegen das vom Koalitionspartner SPD geforderte Lobbyregister hat sich die Union jahrelang gewehrt. Warum eigentlich?
Die Art und Weise, wie in der Vergangenheit der Begriff „Lobbyismus“ benutzt wurde, hat mich immer schon gestört. Bei Lobbyismus dachte man ausschließlich an zwielichtige Industrievertreter, die – mit Geldkoffern bewaffnet – Gesetzesvorhaben befördern oder behindern. Dabei heißt Lobbyismus zunächst einmal: Externen Sachverstand in den Gesetzgebungsprozess einbinden. Auch „Greenpeace“, „Fridays for Future“ oder der Bundesverband der Zeitungsverleger betreiben klassischen Lobbyismus. Der jetzt gefundene Kompromiss zwischen Union und SPD wird zu einem Lobbyregister führen, das zum einen für mehr Transparenz sorgt, zum anderen aber auch praktikabel ist und ausufernde Bürokratie verhindert.
Warum müssen Abgeordnete überhaupt Nebentätigkeiten ausüben. Ist ein Bundestagsmandat kein Vollzeitjob?
Ein klares Jein! Wenn man das Mandat engagiert ausübt, ist es sogar mehr als nur ein Vollzeitjob: Meine Arbeitstage in Berlin beginnen oft gegen 7 Uhr und enden nicht selten erst kurz vor Mitternacht – da würde jeder Angestellte auf das Arbeitszeitgesetz verweisen. Auf der anderen Seite hängt aber dieses Mandat alle vier Jahre vom Urteil der Wählerinnen und Wähler ab. Als Beamter hatte ich das Privileg, eine Rückkehrgarantie in meine vorherige Tätigkeit zu haben – aber das gilt nicht für alle. Welcher Unternehmer, welcher Selbstständige wagt den Schritt in den Bundestag, wenn er gezwungen wäre, sein eigenes Unternehmen zu verkaufen oder seinen Beruf aufzugeben? Schließlich hat niemand eine Garantie, wiedergewählt zu werden. Wer es nicht wieder in den Bundestag schafft, stünde dann plötzlich vor dem Nichts, vor dem beruflichen Neuanfang – wer würde sich das antun? Und ein Parlament nur aus Beamten – das wünsche auch ich mir nicht.