Rezepte gegen eine schrumpfende Kirche

Evangelische Christen wählen am nächsten Sonntag ihre Landessynode – Einnahmen werden in den nächsten Jahren sinken

Am kommenden Sonntag haben 36400 evangelische Christen im Kirchenbezirk Backnang die Wahl: Neben den örtlichen Kirchengemeinderäten wählen sie am 1.Dezember auch die Landessynode. Für das Kirchenparlament bewerben sichvier Gesprächskreise mit zum Teil recht konträren Positionen.

Rezepte gegen eine schrumpfende Kirche

Diese sieben Kandidatinnen und Kandidaten treten im Wahlkreis Waiblingen/Backnang an. Hinten von links: Christian Nathan und Michael Schneider (Lebendige Gemeinde), Willi Beck (Kirche für morgen), Tobias Weimer und Jörg Schaal (Evangelium und Kirche), vorne von links: Marion Scheffler-Duncker und Antje Fetzer (Offene Kirche). Foto: T. Sellmaier

Von Kornelius Fritz

Dass die Synode per Urwahl direkt vom Kirchenvolk gewählt wird, ist eine württembergische Besonderheit. In anderen Landeskirchen würden die Synodalen von den Kirchenbezirken entsandt, erklärt der Backnanger Dekan Wilfried Braun, der nach sechs Jahren in der Synode, darunter vier Jahre als Vizepräsident, aus Zeitgründen nicht mehr kandidiert. Die in Württemberg praktizierte Basisdemokratie führt laut Braun zwar einerseits dazu, dass die Entscheidungsfindung in der Synode nicht immer einfach ist, weil im Kirchenparlament sehr unterschiedliche Strömungen – von konservativ bis fortschrittlich – vertreten sind. Andererseits hält Braun es für wichtig, dass die Kirchensteuerzahler mit ihrer Stimme direkten Einfluss darauf haben, was mit diesem Geld passiert.

Die Landessynode mit Sitz in Stuttgart hat derzeit 98 Mitglieder, nur ein Drittel davon sind Theologen. „Wir wollen keine Berufskirche sein, denn wir glauben, dass nicht nur Pfarrer den Heiligen Geist gepachtet haben“, sagt Wilfried Braun. Die wichtigste Aufgabe der Synode ist es, über die Verwendung der Mittel zu entscheiden. Das klingt profan, hat aber direkte Auswirkungen auf die inhaltliche Ausrichtung der Kirche. „Wer über das Geld entscheidet, entscheidet auch über das Programm“, sagt Diakon Willi Beck aus Sulzbach an der Murr, der seit 2013 der Landessynode angehört.

Und schon heute ist klar, dass die Mittel in den kommenden Jahren knapper werden. Laut Prognosen wird sich die Zahl der evangelischen Christen in Württemberg in den nächsten 40 Jahren von derzeit knapp zwei auf unter eine Million halbieren – einerseits durch den demografischen Wandel, andererseits durch Austritte. Allein im Jahr 2018 haben in Württemberg fast 20000 Mitglieder der evangelischen Kirche den Rücken gekehrt. Dass ein solcher Mitgliederschwund für die Kirche nicht folgenlos bleiben kann, ist klar. „Wir werden unsere Strukturen massiv verändern müssen“, sagt die Waiblinger Pfarrerin Antje Fetzer, die bei der Synodalwahl für den Gesprächskreis „Offene Kirche“ kandidiert. Aber wie soll dieser Wandel gestaltet werden? Soll der Grundsatz „eine Gemeinde, ein Pfarrer“ trotz schrumpfender Mitgliederzahlen weiterhin gelten? Oder wird auch die evangelische Kirche künftig größere Seelsorgeeinheiten bilden müssen, wie es bei den Katholiken hierzulande längst üblich ist?

Gesprächskreise setzen unterschiedliche Akzente

Was in Bundes- oder Landtag die Parteien sind, sind in der Synode die sogenannten Gesprächskreise. Stärkste Gruppierung mit derzeit 43 Mitgliedern ist die „Lebendige Gemeinde“. Sie ist vom Pietismus geprägt und gilt als konservativ. „Hauptaufgabe der Kirche ist aus unserer Sicht, das Evangelium zu verkünden“, sagt Pfarrer Michael Schneider, der im Wahlkreis Waiblingen/Backnang für die „Lebendige Gemeinde“ kandidiert. Die Stärkung der Gemeinden vor Ort steht für ihn deshalb an erster Stelle. Ebenfalls dem evangelikalen Spektrum ist der Gesprächskreis „Kirche für morgen“ zuzurechnen, der aktuell sieben Sitze in der Synode hat. „Kirche für morgen“ hat allerdings ein anderes Gemeindeverständnis. Die klassische Kirchengemeinde am Wohnort spiele für viele Christen heute keine große Rolle mehr, sagt Diakon Willi Beck. Um die Menschen wieder besser zu erreichen, will „Kirche für morgen“ deshalb neue Gemeindeformen entwickeln, so wie Beck es etwa in Sulzbach an der Murr mit seiner Akzente-Gemeinde auf dem ehemaligen Belinda-Areal tut.

Für ein liberales Welt- und Kirchenbild steht die „Offene Kirche“, mit 32 Delegierten zweitstärkste Gruppierung in der Synode. Sie setzt sich für ein starkes gesellschaftliches Engagement der Kirche ein, etwa bei Themen wie soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz. Der vierte Gesprächskreis nennt sich „Evangelium und Kirche“, hat 14 Sitze und sieht seinen Platz in der Mitte. „Wir finden es gut, dass unsere Kirche unterschiedliche Prägungen hat, und setzen uns für tragfähige Kompromisse ein, die viele mittragen können“, sagt Tobias Weimer, Pfarrer an der Backnanger Matthäuskirche.

Die Landessynode ist aber nicht nur für Strukturen und Finanzen zuständig, sie bezieht auch Position zu gesellschaftlich relevanten Themen. Wilfried Braun erinnert etwa an ein Positionspapier für Abrüstung und gegen Waffenexporte. „Die Bevölkerung erwartet von der Kirche auch in ethischen Fragen zu Recht Orientierung“, sagt der Dekan.

Ein Thema, das in der letzten Synode besonders kontrovers diskutiert wurde, ist die öffentliche Segnung homosexueller Paare. Vor allem bei der „Lebendigen Gemeinde“ gab es dagegen viel Widerstand. Im Frühjahr konnte man sich aber schließlich auf einen Kompromiss einigen: Eine begrenzte Zahl an Gemeinden darf nun mit Dreiviertelmehrheit des örtlichen Kirchengemeinderats ihre Gottesdienstordnung ändern und öffentliche Segnungen für gleichgeschlechtliche Paare zulassen. Ob das Thema damit ausdiskutiert ist oder ob dies nur der erste Schritt auf dem Weg zu einer landesweiten Gleichstellung homosexueller Paare war, wie sie die „Offene Kirche“ anstrebt, ist eine der Fragen, die die neue Landessynode beantworten muss.

Rezepte gegen eine schrumpfende Kirche

Die öffentliche Segnung homosexueller Paare war in der Landessynode lange Zeit ein Streitthema, inzwischen ist sie unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Dieses Foto ist allerdings nicht in Württemberg entstanden, sondern in Köln. Foto: Imago

Info
Sieben Kandidaten für fünf Plätze

Dem Wahlkreis Waiblingen/Backnang stehen fünf Sitze in der Landessynode zu: zwei für Theologen, drei für sogenannte Laien. Jeder Wähler hat deshalb fünf Stimmen, wobei die Stimmen für Theologen und Laien getrennt vergeben werden müssen. Es ist auch möglich, einem Kandidaten zwei Stimmen zu geben.

Wahlberechtigt sind im Wahlkreis insgesamt 95172 Kirchenmitglieder. Jugendliche dürfen bereits ab 14 Jahre wählen.

Für die Lebendige Gemeinde kandidieren Pfarrer Michael Schneider (39) aus Weinstadt-Endersbach und Student Christian Nathan (26) aus Backnang. Michael Schneider gehört der Synode bereits seit 2013 an, bisher jedoch als Vertreter des Wahlkreises Göppingen/Geislingen, weil er bis 2017 Pfarrer in Göppingen war. Die bisherigen Synodenmitglieder Christof Mosebach und Inge Schneider treten nicht wieder an.

Für die Offene Kirche treten Pfarrerin Antje Fetzer (51) aus Waiblingen und die Diakonin und Religionspädagogin Marion Scheffler-Duncker aus Weissach im Tal an. Die 60-Jährige war von 2007 bis 2013 schon einmal Mitglied der Landessynode.

Pfarrer Tobias Weimer (38) aus Backnang und der Bankkaufmann Jörg Schaal (45) aus Weissach im Tal sind die Kandidaten für den Gesprächskreis Evangelium und Kirche. Die bisherigen Synodalen Wilfried Braun und Sigrid Erbes-Bürkle kandidieren nicht mehr.

Für den Gesprächskreis Kirche für morgen tritt nur Diakon Willi Beck (63) aus Sulzbach an der Murr an. Der Gründer und Leiter der Akzente-Gemeinde ist seit 2013 Mitglied der Landessynode. Einen Theologen konnte die noch relativ junge Gruppierung in diesem Wahlkreis nicht für eine Kandidatur gewinnen.