Rekord bei Neuinfektionen: RKI meldet fast 15.000 neue Fälle

dpa Berlin. Nach Monaten sommerlicher Ruhe steigen die Corona-Fallzahlen in Deutschland derzeit rasch. Erneut wird ein Höchstwert gemeldet. Intensivmediziner machen sich Sorgen. Forscher halten einen zeitlich begrenzten Lockdown und Kontaktbeschränkungen für sinnvoll.

Rekord bei Neuinfektionen: RKI meldet fast 15.000 neue Fälle

Ein Mitarbeiter eines Corona-Testzentrums auf dem Marburger Messegelände nimmt einen Abstrich von einem Autofahrer. Foto: Boris Roessler/dpa

Die Gesundheitsämter haben nach Angaben des Robert Koch-Instituts von Mittwochmorgen 14.964 Corona-Neuinfektionen binnen eines Tages gemeldet - das ist ein Rekord seit Beginn der Pandemie. Am Mittwoch vor einer Woche hatte die Zahl noch bei 7595 gelegen.

Am Samstag war mit 14.714 Neuinfektionen der bisherige Höchstwert seit Beginn der Corona-Pandemie in Deutschland verzeichnet worden.

Der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité sieht einen zeitlich begrenzten Lockdown bei hohen Infektionszahlen als sinnvoll an. „Wenn die Belastung zu groß wird, dann muss man 'ne Pause einlegen“, sagte er in der am Dienstagabend veröffentlichten Folge des „Coronavirus-Update“ von NDR-Info. „Dieses Virus lässt nicht mit sich verhandeln. Dieses Virus erzwingt bei einer bestimmten Fallzahl einfach einen Lockdown.“

Intensiv- und Notfallmediziner in Deutschland beobachten die überproportional steigenden Fallzahlen mit großer Sorge. Noch seien genug Intensivbetten in Deutschland frei. Doch es gebe die Befürchtung, bei weiter steigenden Infektionszahlen die intensivmedizinische Versorgung bald nicht mehr in vollem Umfang gewährleisten zu können, sagte Uwe Janssens, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). Mit einem YouTube-Video wendet er sich an die Bevölkerung. Darin bitte er darum, Kontakte zu minimieren, größeren Veranstaltungen fernzubleiben und die Teilnahme an Festen zu vermeiden. „Ohne Ihre Hilfe werden wir es nicht schaffen!“, so Janssens. Abstand, Hygiene, Alltagsmasken, Lüften und die Nutzung der Corona-App würden helfen.

„Nur wenn wir alle an einem Strang ziehen, wird es uns gelingen, die Kurve der derzeit steigenden Infektionszahlen wieder flach zu halten“, ergänzte Janssens. Damit werde Druck aus den Krankenhäusern, insbesondere den Intensivstationen herausgenommen. Er spricht stellvertretend für mehr als 3000 Intensivmediziner und Pflegekräfte. Sie dankten für jede Unterstützung.

Momentan sei die Inzidenz in Deutschland noch vergleichsweise niedrig, sagte Virologe Drosten. „Wenn wir jetzt einmal auf die Bremse treten würden, dann hätte das einen ganz nachhaltigen Effekt. Das würde uns ganz viel Zeit einspielen.“ Etwa drei Wochen - etwas mehr als eine Quarantänezeit brauche man aus Sicht des Wissenschaftlers dafür. „Die Inzidenz ist danach erheblich gesenkt und ist dann auch unter bestimmten Umständen auf lange Frist gesenkt.“

Die Deutsche Nationale Wissenschaftsakademie Leopoldina und fünf andere Forschungsgemeinschaften hatten am Dienstag eine drastische Reduzierung von sozialen Kontakten in der Corona-Krise gefordert. Notwendig sei angesichts steigender Infektionszahlen eine Verringerung der Kontakte ohne Vorsichtsmaßnahmen auf ein Viertel, nach bundesweit einheitlichen Regeln, heißt es in der Erklärung von Leopoldina, Deutscher Forschungsgemeinschaft, Fraunhofer-Gesellschaft, Helmholtz-Gemeinschaft, Leibniz-Gemeinschaft und Max-Planck-Gesellschaft. Gemeint sind damit Kontakte, die ohne die aktuell geltenden Hygiene- und Vorsichtsmaßnahmen stattfinden.

Nach drei Wochen einer entsprechenden Senkung der Kontakte sei es entscheidend, die dann erreichte niedrige Fallzahl mit bundeseinheitlichen und konsequent verfolgten Schutzmaßnahmen zu halten. Derzeit sei der Anstieg der Infektionszahlen in vielen Orten Deutschlands nicht mehr kontrollierbar. „Je früher eine konsequente Reduktion von Kontakten ohne Vorsichtsmaßnahmen erfolgt, desto kürzer können diese andauern und desto weniger psychische, soziale und wirtschaftliche Kollateralschäden werden diese verursachen“, so die Forschungsgemeinschaften.

Die Gesamtzahl der Corona-Fälle in Deutschland lag am Mittwochmorgen bei 464.239, die Zahl der Todesfälle bei 10.183 (85 mehr als am Vortag). Das RKI schätzt, dass rund 332.800 Menschen inzwischen genesen sind. Die Zahl der Ansteckungen pro 100.000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen lag bundesweit bei 93,6. In der Woche zuvor (21.10.) hatte das RKI eine Inzidenz von 51,5 Fällen gemeldet. Nach RKI-Angaben haben rund 70 Prozent der Kreise eine Inzidenz von über 50. Die Zahl der intensivmedizinisch behandelten Covid-19-Fälle hat sich in den vergangenen zwei Wochen von 602 Patienten (14.10.) auf 1569 Patienten (28.10.) mehr als verdoppelt.

Die Reproduktionszahl, kurz R-Wert, lag in Deutschland laut RKI-Lagebericht vom Mittwoch bei 1,03 (Vortag: 1,17). Das bedeutet, dass ein Infizierter etwas mehr als einen weiteren Menschen ansteckt. Der R-Wert bildet jeweils das Infektionsgeschehen etwa eineinhalb Wochen zuvor ab. Zudem gibt das RKI in seinem Lagebericht ein sogenanntes Sieben-Tage-R an. Der Wert bezieht sich auf einen längeren Zeitraum und unterliegt daher weniger tagesaktuellen Schwankungen. Nach RKI-Schätzungen lag dieser Wert am Dienstag bei 1,17. Er zeigt das Infektionsgeschehen von vor 8 bis 16 Tagen.

Bei Vergleichen mit der ersten Infektionswelle ist eines zu beachten: Die Werte derzeit sind mit denen aus dem Frühjahr nur bedingt vergleichbar, da inzwischen deutlich mehr getestet wird und dadurch auch mehr Infektionen entdeckt werden.

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