Sand im Getriebe: Wie der Zoll gegen Produktpiraterie kämpft

Von Von Jörg Schurig, dpa

dpa Leipzig/München. Es gibt wohl nichts, was sich nicht auch fälschen lässt. 2019 zog der Zoll in Deutschland mehr als fünf Millionen Waren aus dem Verkehr, bei denen der gewerbliche Rechtsschutz verletzt war. Dabei werden die Plagiate immer besser.

Sand im Getriebe: Wie der Zoll gegen Produktpiraterie kämpft

Plagiate schädigen das Geschäft der Original-Hersteller. Foto: picture alliance / Friso Gentsch/dpa

Produkt- und Markenpiraten brauchen keine Schiffe mit Totenkopf-Flaggen. Sie gehen weitaus smarter vor und nutzen für ihr Geschäft auch den boomenden Internethandel. Damit erschöpft sich aber auch schon die eigene Seriosität.

Die modernen Piraten von heute bringen gefälschte Waren in Umlauf und schädigen so vor allem die Hersteller der Originale. Das Geschäft läuft in einer globalisierten Welt wie geschmiert. Doch hin und wieder gerät Sand ins Getriebe - vor allem wenn clevere Zöllner Witterung aufnehmen.

So wie unlängst am Flughafen Leipzig/Halle. Dort fand der Zoll in zwei Sendungen aus Hongkong insgesamt 400 gefälschte Luxusuhren eines namhaften Herstellers. Sie waren an einen Empfänger in Großbritannien adressiert. Der auf den Zollpapieren angegebene Warenwert der Imitate lag bei 1,25 Dollar (rund 1,06 Euro) pro Uhr. Im Original hätte jede Uhr etwa 15.000 Euro gekostet, womit der Wert beider Pakete ohne Fälschung bei sechs Millionen Euro gelegen hätte. „Das Gewicht der Sendung und der angegebene Wert passten nicht zusammen und waren verdächtigt“, sagt André Jung vom Zollamt Flughafen Leipzig.

Schon 2019 war die Zeit für Produktpiraten in Leipzig wiederholt stehengeblieben. Die Zentralstelle Gewerblicher Rechtsschutz (ZGR) des Zolls in München listet jedes Jahr besondere Fälle im Jahresbericht auf. Unter dem Slogan „Time out“ wurde auch von den Erfolgen der sächsischen Kollegen berichtet. Von März bis Dezember 2019 fanden sie in 22 Sendungen insgesamt 2112 gefälschte Luxusuhren verschiedener Marken. „Die Originalwaren hätten einen erstaunlichen Wert in Höhe von 47.295.000 Euro gehabt“, hieß es.

Hamburger Zöllner griffen 2019 unter anderem 148.320 Stück gefälschte Unterhosen einer Luxusmarke auf. Die Originale hätten einen Gesamtwert von 1,7 Millionen Euro besessen. Das Hauptzollamt Rosenheim beschlagnahmte im Sommer des gleichen Jahres vier Sendungen mit 52.480 Stück steril verpackter OP-Mäntel mit einem Gesamtwert von gut 382.000 Euro. Die medizinische Ware stammte komplett aus China, war aber mit „Made in Germany“ gekennzeichnet. Eine solche Fälschung der Herkunftsbezeichnung deckten auch Zöllner des Hauptzollamtes Krefeld auf - in getrockneten Tomaten und Paprika aus der Türkei.

„Es gibt nichts, was nicht als Fälschung auftauchen kann“, berichtet die Sprecherin des Hauptzollamtes Dresden, Heike Wilsdorf. Manche Plagiate würden wellenmäßig auftreten, so im Sommer Sonnenbrillen bekannter Marken. Handtaschen und Kosmetikartikel finde der Zoll das ganze Jahr. „Mit steigender Nachfrage des Verbrauchers nach Markenprodukten wächst auch die Zahl der Fälschungen und Plagiate.“ Heimelektronik oder Trikots gehörten ebenso zu den Klassikern.

„Immer, wenn es ein großes Turnier ansteht, tauchen vermehrt auch falsche Trikots auf, dann ist das Lager bei uns voll. Wir hatten hier sogar schon gefälschte WM-Pokale“, sagt Wilsdorf. André Jung hält Imitate dann für besorgniserregend, wenn es um sicherheitsrelevante Erzeugnisse wie Autoersatzteile geht. Auch 30.000 gefälschte Kondome hat der Zoll in Leipzig schon aus dem Verkehr gezogen: „Bei gefälschter Arznei hört der Spaß ganz auf“, meint Jung und wundert sich, wie unbedarft manche Verbraucher mit derlei Dingen umgehen.

Wilsdorf geht im Dienste der Prävention manchmal mit kleinen „Fake“- Ausstellungen etwa auf Reisemessen, um Verbraucher für das Thema zu sensibilisieren. Einmal traf sie dort einen Ingenieur, der die Kopie einer elektrischen Zahnbürste seiner Firma nicht vom Original unterscheiden konnte: „Die Qualität der Fälschungen hat in den vergangenen Jahren zugenommen. Manche sind richtig gut. Kurz nach der Wende war manchmal noch der Markennamen falsch geschrieben oder das Label falsch herum aufgeklebt“, sagt die Zollsprecherin. Doch diese Zeiten seien vorbei.

Ein anderer Trend betrifft die Geschwindigkeit, mit der solche Nachahmungen auf den Markt kommen. Wilsdorf zufolge ist die Fälscherbranche unheimlich schnell: „So schnell kann man gar nicht gucken. Da kommt ein neues Produkt auf den Markt und wenige Tage später ist schon die Fälschung da.“ Jung berichtet davon, dass es bei Produkt- oder Markenpiraterie eine große qualitative Spannbreite gibt. Bei teuren Fälschungen werde auf jedes Detail geachtet, selbst auf den Schuhkarton. Und natürlich liege die nachgemachte Uhr wie ihre originale Vorlage in einem feinen, aber gefälschten Kästchen.

Auch Bestellungen im Internet gelten als riesiger Markt für Fälscher. „Viele Menschen schauen gar nicht erst ins Impressum, lassen sich allein vom Preis leiten. Die wissen auch nicht, dass sie Probleme mit dem Inhaber der Rechte bekommen können“, sagt Wilsdorf. Dann könne die Ware schnell beschlagnahmt werden, selbst wenn man ganz privat und im guten Vertrauen im Ausland ein Produkt geordert hat. Zuständig für die Kontrollen sind die Zollbehörden dort, wo die Ware zuerst auf europäischem Boden landet - so wie am Flughafen Leipzig.

Allein dort wurden 2019 rund 500.000 verschiedene Plagiate im Umfang von mehr als 100 Millionen Euro beschlagnahmt. Die ZGR in München hat ein Ranking der Länder erstellt, aus dem solche Produkte stammen. Gut 61 Prozent aller Fälle stehen mit China in Verbindung. Hongkong ist extra ausgewiesen und schlägt mit knapp 13 Prozent zu Buche. Dahinter rangiert die Türkei (8,3 Prozent). Der Zoll schreitet nur dann ein, wenn ein Schutzrecht vorliegt. Der Markeninhaber muss sich dafür bei der Behörde in München registrieren lassen.

„Die Basis für unser erfolgreiches Arbeiten ist die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Rechteinhabern. Es gibt viele Kriterien, die wir checken können, wenn der Verdacht auf eine Fälschung vorliegt“, sagt Wilsdorf. Über ein elektronisches System lasse sich sofort prüfen, ob ein Schutzrecht vorliegt und welchen Geltungsbereich es hat: „Auf Grundlage einer sorgfältigen Risikoanalyse wissen wir, worauf wir achten müssen. Das alles, gepaart mit den Erfahrungswerten unserer Kolleginnen und Kollegen, führt uns letztendlich zum Erfolg.“

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