Schimpfwörter sollen langweilig werden

Wie Kinder mit Schimpfwörtern und Beleidigungen umgehen, wird für Eltern und Fachkräfte in Kindergarten oder Schule häufig zum Thema. Dabei ist es subjektiv, was als grenzüberschreitender Begriff empfunden wird. Ein einfaches Verbot mancher Wörter ist nicht die Lösung.

Schimpfwörter sollen langweilig werden

Streit mit starken Worten: Wenn Kinder mit Beleidigungen um sich werfen, sollten Erwachsene keine akzeptierende Haltung einnehmen, es aber auch nicht überproblematisieren. Schließlich verhalten sie sich selbst nicht immer vorbildhaft. Foto: stock.adobe.com/ Ermolaev Alexandrovich

Von Nicola Scharpf

Aspach/ Weissach im Tal. Bei den Jüngsten fängt es vergleichsweise harmlos an: Der Dreijährige benutzt Fäkalsprache und schimpft „Pippi“ oder „Kacka“. Bei Kindern im Vorschulalter kommen dann schon mal Wörter wie Arschloch, Blödmann oder Scheißer über die Lippen. Und Beleidigungen wie Wichser, Hurensohn oder „Fick dich“ gehören bei Schulkindern oft zum Repertoire. Schimpfwörter sind ein Thema, mit dem sich Eltern und Fachkräfte in Kindergarten oder Schule häufig konfrontiert sehen – und für das es im alltäglichen Umgang kein Patentrezept gibt. Schließlich beginnt die Problematik schon bei der Frage: Was ist überhaupt ein Schimpfwort?

„Es ist etwas Subjektives, was beleidigend empfunden wird. Das ist für jeden etwas unterschiedlich“, sagt zum Beispiel Maike Holzmann, die als Sozialpädagogin in der Schulsozialarbeit am Bildungszentrum Weissacher Tal mit Kindern ab einem Alter von zehn Jahren bis zum Schulabschluss umgeht. „Begrifflichkeiten, die für mich negativ besetzt sind, haben für Jugendliche eine andere Wertigkeit. Sie werden von den Jugendlichen freundschaftlich verwendet oder im Spaß. Die Mädels sagen zum Beispiel zueinander Bitch und es ist für alle okay.“ Der Kontext entscheide darüber, ob der Gebrauch eines Begriffes in Ordnung für das jeweilige Gegenüber sei oder nicht. Hinter der Verwendung von Beleidigungen stecke oft Überforderung und Unsicherheit. „Das Schimpfwort wird als einfaches Mittel der Selbstverteidigung gebraucht.“

Die Schulsozialarbeit plädiere dafür, solche Begrifflichkeiten gar nicht zu verwenden. Ihr Ziel ist, einen Perspektivwechsel zu erreichen, damit die Jugendlichen in der Lage sind, sich ineinander hineinzuversetzen und Empathie zu entwickeln. „Es geht darum: Was macht es mit mir? Was löst es in mir aus, wenn ich diesen Begriff höre?“, so Holzmann. „Diese Arbeit braucht Zeit.“ Und es braucht Erwachsene, die hinhören, die die Beleidigung aufgreifen, sie erklären und nicht einfach verbieten. Die Sozialpädagogin schildert: Das Wort Hurensohn ist eines, das für viel Sprengstoff sorgt, weil es stark verletzend und die Ehre der Familie angreifend wirkt. Jüngere Kinder wissen meist nicht, was der Begriff bedeutet. Sie wissen nur, dass er als Beleidigung empfunden wird. „Wenn sie die Bedeutung erklärt bekommen, dann ist oft der Schock groß.“ Holzmann persönlich ist der Meinung, dass Erwachsene in Sachen Schimpfwörter keine akzeptierende Haltung einnehmen, das Thema aber nicht überproblematisieren sollten. Schließlich würden Erwachsene ebenfalls nicht immer vorbildhaft miteinander umgehen. Und dass sich Jugendliche von Erwachsenen abgrenzen wollen, sei ein Stück weit normales Jugendlichenverhalten.

Ähnlich handhabt es Stephanie Mayer, die als gelernte Erzieherin seit 20 Jahren für die Gemeinde Aspach tätig ist – aktuell als Fachberaterin sowie Einrichtungsleiterin einer Kita . „Lässt man ein Schimpfwort so stehen, wird es nicht besser. Nur mit Strafen kann man aber auch etwas Falsches machen. Je mehr man das Schimpfwort verbietet, desto spannender wird es.“ Die Frage sei, wie viel Raum das Schimpfwort bekomme. „Man muss es zum Thema machen im ersten Moment, dann aber nicht mehr. Ziel ist, dass die Wörter an Faszination verlieren, langweilig werden. Eltern machen den größten Fehler, wenn das Schimpfwort zum Dauerbrenner wird.“ Eine rote Liste mit No-Go-Wörtern gebe es im Kindergarten nicht. „Die Pädagoginnen können aufgrund ihrer Fachlichkeit einschätzen, was eine Grenzüberschreitung ist.“ Sie würden den Kindern klar vermitteln, welche Wörter nicht gehen. „Symbolisch kommen diese Wörter dann in eine Kiste und der Deckel wird zugemacht.“ Im Idealfall würden Betreuungseinrichtung und Elternhaus Hand in Hand dem Kind einen bewussten Umgang mit No-Go-Wörtern beibringen, sodass sie ein Gefühl dafür entwickeln, welche Begriffe nicht angebracht sind. „Manchmal reicht dann ein Blick oder ein Signal, wenn eine Grenze überschritten ist.“

Schimpfwörter und Beleidigungen sind nur Symptome

Berater und Bildungsreferent Der Diplom-Pädagoge Axel Conrad aus Aspach arbeitet seit vielen Jahren als systemischer Berater und Therapeut, ist Seminarleiter am Familylab (Jesper Juul), Mediator, Autor pädagogischer Fachbücher und Artikel sowie Bildungsreferent für den Rems-Murr-Kreis im Bundesprogramm Pro Kindertagespflege.

Symptome Nach Conrads Ansatz sind es nur Symptome, wenn Kinder Schimpfworte und Beleidigungen verwenden – genauso wie anderes Verhalten etwa Gewalt oder das Kratzen, Beißen, Zappelphilipp-Sein.

Pädagogischer Überbau Wird der Gebrauch von Schimpfwörtern zum Problem, geht es laut Conrad im Kern um die Beziehungsebene. Er plädiert für einen Paradigmenwechsel in der Erziehung. Es gilt, den Fokus nicht nur auf die Bereiche Kooperation und soziale Verantwortung zu legen – nach dem Motto: Kind sei freundlich, nett, ruhig und artig, entschuldige dich, das macht man aber nicht! Das zielt ab auf das Funktionieren, die Angepasstheit, das Jasagen. Die Bereiche Integrität, Selbstwertgefühl, persönliche Verantwortung, die auf Selbstständigkeit abzielen, fehlen oft komplett. „Wenn man in der Pädagogik mehr in diesem Bereich unterwegs wäre, gäbe es die Symptome auf der anderen Ebene nicht. Kinder wollen nicht nützlich sein, sondern wertvoll.“

Botschaften Conrad betrachtet die Botschaften der Kinder als Goldschatz, der noch verpackt ist. Beispiel: Wenn ein kleines Kind beißt, weil ihm ein anderes die Schaufel weggenommen hat, ist das eigentlich ein Hilferuf. Schließlich wird durch das Wegnehmen seine persönliche Grenze verletzt. Für den Biss wird das Kind dann geschimpft oder bestraft. Es lernt daraus: So wie ich bin, bin ich nicht okay. Solche inneren Verletzungen können schwer wiegen. Eine Handlungsalternative wäre, das Kind auf den Schoß zu nehmen, gemeinsam nach einem anderen Weg zu suchen und es zu fragen: Kann ich dir helfen? „Das ist eine ungewohnte Frage. Aber Kinder wollen gesehen werden. Dann sind wir auf der Beziehungsebene und sie können spüren: Wenn ich ein Problem habe, finde ich dafür auch eine Lösung.“

Vorbild Conrad fragt: An was können Kinder ihre Kompetenzen weiterentwickeln? Die Erwachsenen dienen als Vorbild. Kinder brauchen keine Grenzen im Sinne eines engen Korsetts, sondern eine persönliche Grenze durch Erwachsene, die wissen, was sie wollen und ihre eigenen Grenzen kennen. Erwachsene sollen Signale geben wie ein Leuchtturm, an denen sich die Kinder orientieren können. Das Wort „Nein“ aus einem Kindermund ist Ausdruck einer persönlichen Grenze. Damit halten Kinder auch den Spiegel vor: Guck mal deine eigene Sprache, Haltung, Gestik oder Mimik an. „Meine Haltung ändert sich, wenn ich vom Kooperationswillen der Kinder ausgehe.“

Pubertät Die Pubertät ist Payback-Zeit: „Man bekommt das zurück, was man die 13 Jahre davor gemacht hat.“ Erziehungsberechtigte wollen, dass ihre Teenager Nein sagen zu Verführungen wie Drogen. „Dafür ist innere Stärke erforderlich.“ Aber woher soll ein Teenager wissen, was er will oder wer er ist, wenn er das in den Jahren davor nie gefragt wurde?