Ex-Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) liefert sich im Ukraine-Talk bei Maybrit Illner einen Schlagabtausch mit dem Philosophen Richard David Precht.
Richard David Precht (Links) und Sigmar Gabriel sind beim Thema Umgang mit Russland ganz anderer Meinung.
Von Christoph Link
Vor allem die Anwesenheit des Publizisten und Philosophen Richard David Precht in der Talkrunde von Maybrit Illner bescherte der Sendung am Donnerstag einige emotionale und spannungsgeladene Momente. Gerade weil die Brüsseler Gespräche über die Beschlagnahme von russischen Staatsgeldern noch laufen, war es schwierig, hierzu im Studio noch eine aktuelle Position zu beziehen.
Deshalb ging es zunächst mal harmonisch um den Ukraine-Gipfel in Berlin, bei dem es Ex-Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) für opportun empfand, den Kanzler Friedrich Merz für seine Rolle als Gastgeber zu loben: „Das hat er ziemlich gut gemacht“. Würde jemand danach fragen, wen man in Europa anrufen müsse, wenn man Europa anrufen wolle – angeblich ein Henry-Kissinger-Zitat – dann würde er heute Friedrich Merz sagen, so Gabriel.
Und Armin Laschet (CDU), der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, beschrieb das Vorgehen von Merz als „Methode Kohl“: zusammenführen und eine Leitrolle einnehmen, die Kleinen mitnehmen in der EU, die Großen einbinden. Das Einzige, was Laschet als „ärgerlich“ empfand war, dass die EU die Ergebnisse „dieser großen diplomatischen Leistung“ nicht selbst vermittelt habe gegenüber Russland, sondern dies den US-Sondergesandten Jared Kushner und Steve Witkoff überlassen hatte. „Wir Europäer müssen so selbstbewusst sein, unsere Ideen selbst zu verkünden“, meint Laschet.
Precht geißelt EU-Diplomatie
Für Richard David Precht stellen sich die Dinge ganz anders dar. Für ihn liegt die EU-Diplomatie komplett am Boden. In den dreieinhalb Jahren des Krieges habe sie eine „unrühmliche Rolle“ gespielt, und keine einzige größere diplomatische Offensive aus Brüssel gestartet, so Precht. Und auch heute „reden die EU immer noch nicht mit Moskau“, weil man mit einem Aggressor angeblich nicht rede. Es gebe die Seite der Moral, und es gebe die Seite der Geschädigten, meinte Precht, und er sei auf der letzteren, wo die Zehntausenden seien, die in den nächsten Wochen im Ukraine-Krieg noch sterben werden. Dieses Morden müsse aufhören. Das sei wichtiger als das Festhalten an moralischen Grundsätzen. Man müsse auch die Interessen Russlands in den Gesprächen berücksichtigen. Im „großen Vorschlag“ des 28-Punkte-Plans der USA und Russlands seien die ja noch drin gewesen, dann sei er von der Ukraine und der EU zum für Moskau nicht annehmbaren 20-Punkte-Plan verwässert worden.
Vor allem die Historikerin Liana Fix hielt dagegen. Russland habe es derzeit mit der „russlandfreundlichsten US-Administration“ seit Jahrzehnten zu tun, so Fix; das bringe einen Waffenstillstand aber auch nicht näher: „Selbst Trump läuft bei Putin gegen die Wand.“ Sie glaube, dass Precht den Kremlherrscher unterschätze: „Immer wenn Sie reden, tun Sie so, als würde noch Herr Gorbatschow im Kreml sitzen.“ Als Precht darauf hin konterte, sie selbst habe ja noch nie mit Putin geredet, da begann Fix zu lachen und meinte, im Gegensatz zu ihm, arbeite sie auf diesem Gebiet.
Gabriel erinnert an 1938
Überkreuz war Precht dann auch mit Sigmar Gabriel. Der hatte vor einem Diktatfrieden für die Ukraine gewarnt hatte, zu dem es kommen könne, wenn die EU nun nicht handeln würde und die eingefrorenen russischen Gelder zur Rettung der Ukraine für die nächsten zwei Jahre nutzt. „Wir haben eine Situation wie 1936, 1937 und 1938 mit Deutschland, wo es einen echten Aggressor gibt.“ Deshalb müssten wir auch aus Eigennutz „Putin den Appetit verderben“, meinte Gabriel. „Sonst sind wir die letzten Vegetarier in einer Welt voll von Fleischfressern.“
„Sie können doch nicht Putin mit Hitler vergleichen“, warf Precht darauf hin Gabriel vor, worauf dieser entgegnete, der eine käme dem anderen aber ziemlich „nahe“. Precht hingegen hält eine Weiterfinanzierung der Ukraine in der Hoffnung auf ein mögliches Kriegsende für „wishful thinking“. Man müsse Putin etwas anbieten, dann könne man mit ihm auch über eine Nachkriegsarchitektur verhandeln – so seine Ansicht.
Nach einem möglichen Angebot an Putin fragte auch Moderatorin Illner. Die Antwort der ukrainischen Autorin und Verlegerin Kateryna Mishchenko fiel ziemlich eindeutig aus: Ein Sondertribunal, vor dem man den Kriegsverbrecher zur Verantwortung ziehen könne, schlug sie vor. Schließlich gab es auch Divergenzen von Precht zu den anderen Studiogästen beim Thema Sicherheitsgarantien für die Ukraine. Der Philosoph hält von den USA gegebene Zusagen, sie würden die Ukraine schützen, wenn dort amerikanische Unternehmen investieren und Geschäfte machen, für ausreichend. Armin Laschet hingegen verlangte „substanzielle Garantien“.
Und Sigmar Gabriel schließt nicht aus, dass im Ernstfall auch deutsche Soldaten einen Frieden in der Ukraine sichern müssen. Die USA wollten selbst ja keine „boots on the ground“. Die Ukraine aber wird fordern, dass nicht nur aus aller Welt, sondern auch aus Europa Soldaten in ihrem Land stationiert werden, „auf der Ostsee“ und „in der Luft“. Gabriel: „Wenn das der letzte Punkt ist, dann wird sich keiner in Europa raushalten können. Auch Deutschland nicht.“