Schlechte Stimmung auf der A 8

Fernfahrer kämpfen auf Raststätten um die letzten freien Parkplätze – Europäische Union will Lage der Trucker verbessern

Von Robin Szuttor

Schwerverkehr - Früher waren sie die Asphaltcowboys. Heute lassen Preisdumping und Termindruck auf verstopften Autobahnen keinen Platz mehr für Romantik. An einem Truckerstammtisch in der Nähe des Autobahnkreuzes Ulm reden sich Fernfahrer ihren Frust vom Leib.

Ulm Ein normaler Autobahntag geht zu ­Ende. Es gab wieder viel Stau am Dreieck Karlsruhe und bei Weinsberg-Ellhofen, eine Vollsperrung zwischen Achern und Appenweier, eine ungesicherte Unfallstelle am Viernheimer Kreuz, 20 Kilometer stockenden Verkehr auf der A 6 bei Wiesloch-Rauenberg. Jetzt dient die Raststätte Aichen an der A 8 als Heimat für eine Nacht.

Das komplette Gelände ist zugeparkt, ­keine Chance mehr nach 17 Uhr. Die Lkw-Nummernschilder lesen sich wie ein ­Länderverzeichnis. Die Gardinen der Fahrerkabinen sind zugezogen, ein paar Männer sitzen noch hinter beschlagenen Fenstern. Ein Mann aus Bosnien-Herzegowina löffelt Nudeln. Ein Mann vom Oberallgäu schaut „Wer wird Millionär?“ mit Günther Jauch. Ein Stück Gemütlichkeit auf vier Quadratmetern. Keiner will reden.

Ein litauischer Fernfahrer hat sich beim Versuch, noch einen letzten unmöglichen Parkplatz zu erobern, im Schneematsch festgefahren, sein Anhänger ragt halb in die Fahrbahn. Kein Vor, kein Zurück. Ob ihn der englische Trucker rauszieht? „Nein. Nicht mein Problem, oder?“ Er hat jetzt Ruhezeit und ist nicht so verrückt, seinen Parkplatz zu riskieren. Und so läuft der Litauer in seiner dünnen Jacke bei Temperaturen um den Gefrierpunkt einigermaßen verzweifelt umher. Ein Busfahrer kommt nicht vorbei und ist sauer. Das wird erst mal nichts mit der Schlafpause für den Fernfahrer.

Verstopfte Fernstraßen, Lohndumping, erstickender Termindruck, es wird immer schlimmer. Auf Drängen der westeuropäischen Länder haben die EU-Verkehrsminister jetzt Maßnahmen beschlossen, um den zwei Millionen Kraftfahrern in Europa das Leben leichter zu machen: kürzere Touren, gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort. Die Fahrer sollen an Wochenenden nicht mehr in ihrem Lkw schlafen und maximal vier Wochen am Stück unterwegs sein.

„Hört sich gut an, aber in Deutschland wird das eh wieder nichts, weil die Kontrollen viel zu lasch sind.“ Michel, 51, sitzt in einer Gaststätte gut zehn Fahrminuten vom Autobahnkreuz Ulm/Elchingen. Ein Geheimtipp für Trucker. Wer hier parkt, den kennt die Wirtin mit Namen: Michel, Xaver, Denis, Holger und die anderen. An diesem Abend versammeln sich gut 15 Millionen Kilometer um den Tisch. Die Männer haben Teile für Pressmaschinen geladen, Ostergras für Drogeriemärkte, Papier, Stahlrollen, Dämmmaterial. Wirtin Nicole bringt Bier, schwäbische Linsen mit Spätzle und gebratenem Speck.

Michel ist seit 33 Jahren auf Achse, sein Sohn bereits die vierte Generation im Familienbetrieb. Er kommt an diesem Abend von Pfronten. Eine Stunde wäre es noch bis Wangen bei Göppingen gewesen, aber die Fahrzeit ist ausgereizt, es reicht nicht mehr heim. Morgen früh wird er am Plochinger Hafen abladen und neu beladen für Karlsruhe.

Unter der Woche übernachtet er immer im Scania. Sein Heim hat zwölf Gänge, einen V8-Diesel mit 580 PS und 16 Liter Hubraum. In der Luxuskabine ist kaum mehr ­etwas serienmäßig: Boden und Wände mit beigem Weichleder bezogen, solide Hochschränke für die Wäsche, Fernseher, Kaffeeautomat, eine gute Matratze. Mit Straßenschuhen kommt ihm keiner ins Führerhaus.

Macht der Beruf noch Spaß? „Das mit dem Lkw macht schon noch Spaß“ sagt Michel. Aber alles drum herum nicht mehr. „Das Verkehrsaufkommen ist Wahnsinn. Dazu der Krieg mit den Autofahrern.“ Und dann die Osteuropäer natürlich, die keine Kolonne fahren können und bei Nebel wie im Blindflug unterwegs sind. Hier am Truckertisch kann man lachen und sich auskotzen. In letzter Zeit sind sie eigentlich nur noch zum Schimpfen aufgelegt. „Wir haben große Zukunftsängste“, sagt Michel.

„Es ist ein Kampf gegen Osteuropa“, sagt Denis. „Wenn du am Güterhafen Hamburg stehst oder in Travemünde, da denkst du, du bist in Bukarest: ein Sattelzug am nächsten, alle aus Osteuropa.“ Auch die innerdeutschen Touren sind in der Hand von osteuropäischen Firmen. „Ganz schlimm sind die Sprinter. Die nehmen uns die Teilladungen weg, rasen ohne Tachograf, fast immer überladen.“ Die Kleintransporter sind dauerhaft hier, nur die Fahrer wechseln nach ein paar Wochen. „Dann steigt der eine mit seinem Bettzeug unterm Arm aus, der nächste steigt mit seinen Sachen ein und fährt die nächsten Wochen weiter“, sagt Michel. Manche, so erzählt man sich, arbeiten für 200 Euro im Monat. Die letzten in der Nahrungskette der Straße.

Fast alle in der Runde hier wählen inzwischen AfD. „Oder soll ich vielleicht die ­grünen Schwuchteln wählen?“ Klar, die ­osteuropäischen Fahrer können nichts für die Preise, so ein Bulgare ist auch arm dran. „Die stellen sich auf keinen Autohof, weil das ein paar Euro kostet. Essen machen sie sich auf dem Gaskocher. Wenn sie keinen Platz auf einem Rasthof kriegen, fahren sie in ein Industriegebiet irgendwo in der ­Pampa – ohne Klo und Waschgelegenheit. Da verbringen sie das Wochenende und lassen ihren Müll liegen. Wie wildes Camping im großen Stil“, sagt Xaver. „Und deswegen ist da jetzt überall Parkverbot.“

Wenig Lohn, wochenlang unterwegs, ohne die Familie zu sehen. Da kann man trübsinnig werden und zur Wodkaflasche greifen. Im Dezember kontrollierte die Polizei an einem Sonntagabend Rasthöfe im Südwesten. Von 485 Lkw-Fahrern hatten 33 mehr als 0,5 Promille, 18 teils weit mehr als 1,0. Der Spitzenreiter lag bei 2,3.

Was kann man besser machen? „Das ist schwierig, weil der Karren so weit im Dreck ist“, sagt Michel. „Zuerst müssten die Transportpreise horrend steigen, damit die vielen unnötigen Fahrten quer durch Europa aufhören.“

„Fahr mal freitagabends auf den Rastplatz Aachener Land“, sagt Denis. „Da siehst du 400 Lkw, alles Osteuropäer. Die warten bis Montagfrüh, weil sie in Holland oder Belgien, wo scharf kontrolliert wird, am Wochenende nicht in den Kabinen schlafen dürfen.“ Wenn dieses Verbot jetzt auch in Deutschland käme, so hoffen schwäbische Trucker, dann würden die Rumänen erst sonntagabends daheim starten, könnten also insgesamt weniger Touren machen, ihre Firmen hätten folglich weniger Umsatz und müssten mit ihren Preisen hoch.

Andererseits fehlt es hier in Deutschland am Nachwuchs. Eine Geldfrage, der Lkw-Führerschein kostet einige Tausend Euro. Aber den jungen Leuten fehle es auch an der Berufseinstellung, sagt Holger. „Wenn man da einen fragt, ob er am Wochenende für die Spanien-Tour einspringt, erzählt er dir: Am Wochenende springt der Vater vielleicht der Mutter auf den Bauch, aber er fährt sicher nicht nach Spanien.“

Früher waren sie die Könige der Straßen. Im 40-Tonner den Golf von Biskaya entlangtuckern war ein Lebensgefühl, das auch mit Freiheit zu tun hatte. Heute ist nur noch Zeitdruck. Der Chef überwacht via GPS ­jeden Meter, jeden Schlenker, jede Minute. Aus der Blackbox können die Lenk- und Pausenzeiten für ein ganzes Jahr ausgelesen werden.

„Früher war man als Fernfahrer noch angesehen“, sagt Xaver. Trucker wurden in Liedern besungen und in Filmen verewigt. „Heute sind wir nur noch Dreck.“ Das habe auch mit dem Auftreten der osteuropäischen Kollegen zu tun: Bauchfrei-T-Shirts, wo der Kessel raushängt, speckige Jogginghosen, Badeschlappen. „Früher durften wir in den Betrieben essen und duschen“, sagt Michel. Jetzt stehen vor den Werkstoren Dixiklos für Trucker. Und Duschcontainer. „Heute sind wir Menschen dritter Klasse.“