Corona: Betreuungskrise für Behinderte und Senioren

dpa/lsw Stuttgart. Das öffentliche Leben steht still, Kitas und Schulen sind zu. Schwer genug - aber was ist mit denen, die sich um betagte oder behinderte Angehörige kümmern müssen?

Corona: Betreuungskrise für Behinderte und Senioren

Ein Mann arbeitet in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung. Foto: Sebastian Gollnow/dpa/Archivbild

Die Tagespflegen für Senioren sind geschlossen, die Werkstätten für Menschen mit Behinderung zu. In Zeiten von Corona ist die Not von Angehörigen betreuungsbedürftiger Menschen damit noch größer als sonst. „Es ist eine Krisensituation, eine Ausnahmesituation“, sagt eine Sprecherin des Sozialverbands VdK Baden-Württemberg.

Wegen der Corona-Infektionsgefahr stehen die rund 400 Werkstätten für Behinderte im Land nicht mehr zur Verfügung. Rund 35 000 Menschen mit Behinderung, die sich normalerweise tagsüber in Werkstätten aufhalten und dort arbeiten, müssen in ihren Wohnheimen bleiben oder von den Eltern versorgt werden. Auch Tausende von Tagespflegeplätzen, wo Senioren sonst unterkommen können und Angehörige entlastet werden, sind nicht mehr nutzbar.

Hinzu kommt, dass osteuropäische Betreuer, die oft die häusliche Betreuung Pflegebedürftiger übernehmen, aus Angst vor Corona abreisen oder nicht mehr einreisen können. „Zahlreiche Arbeitnehmer stehen plötzlich im Regen“, berichtete der Verband für häusliche Pflege und Betreuung. Sie müssten die Betreuung von dementen oder pflegebedürftigen Eltern selber übernehmen.

Das Unternehmen Sofiapflege aus Leonberg bei Stuttgart, das deutschlandweit Betreuer vermittelt, spricht von einer unübersichtlichen Lage, deutlich erschwerten Bedingungen und auch längeren Wartezeiten für Neukunden, die nach einer häuslichen Betreuung suchen. Das Sozialministerium berichtet von einer hohen Zahl an Anfragen besorgter Angehöriger, ebenso wie die Stiftung Patientenschutz.

Das Problem ist den Trägern der Einrichtungen bewusst. Die Geschäftsführerin der Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten für behinderte Menschen, Christa Grünenwald, sagt: „Wir haben immer betont, wenn die Schließung kommt, muss es die Möglichkeit geben, den Menschen, die eine Tagesstruktur benötigen, Betreuung zu bieten.“ Personal der Werkstätten unterstütze daher das Personal in Wohngruppen und -heimen. Auch gebe es Notbetreuungen in den Werkstätten, wenn es keine andere Versorgungsmöglichkeit gibt. „Im Moment fühlen sich die Träger der Wohnangebote im Stich gelassen“, sagt die Geschäftsführerin des Landesverbandes für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung, Jutta Pagel-Steidl.

Für die Angehörigen von Senioren verursacht die Schließung von Tagespflege-Einrichtungen ebenfalls große Probleme. „Das Thema schlägt zunehmend bei uns auf“, sagt Sabrina Menze, die im Landkreis Karlsruhe als Koordinatorin für die fünf Pflegestützpunkte zuständig ist. „Ich kann mir vorstellen, dass es zu sehr prekären Situationen kommen kann.“

Das Sozialministerium verweist auf Ausnahmen, die auch in der Tages- und Nachtpflege zugelassen sind, wenn es zum Beispiel nicht möglich ist, dass die Betroffenen zu Hause betreut werden. „Je länger die Krise dauert, desto höher wird die Belastung in der Familie werden“, sagt Menze. „Wir hoffen, dass das alles nur eine Übergangszeit ist.“