An seinem ersten richtigen Arbeitstag als Bundeskanzler reist Friedrich Merz nach Frankreich und Polen – als Ausweis seiner starken außenpolitischen und europäischen Orientierung. Dabei geht es auch um eine engere Abstimmung in Rüstungsfragen.
„Cher Friedrich“ bei „Cher Emmanuel“ in Paris
Von Stefan Brändle
Mit der Aussprache des Vornamens „Friedrich“ haben die französischen Journalisten an diesem Mittwoch noch etwas Mühe. Der neue Bundeskanzler und der seit acht Jahren amtierende Président begrüßten sich im Hof des Elysée-Palastes in Paris aber schon wie alte Bekannte – schulterklopfend, mit Wangenküsschen und der Duzformel „Cher Emmanuel“, „Cher Friedrich“. Kurz: Das neue Kapitel der deutsch-französischen Freundschaft begann in Paris comme il faut.
Bei der Pressekonferenz vor dem Arbeitsessen wirkt Merz noch etwas steif und vorsichtig. Aber vielleicht war das nur eine Spätfolge der Wahlaufregung vom Vortag. Auf jeden Fall war es augenfällig, dass der Kanzler aus Berlin und der Président aus Paris besser miteinander können als das Vorgängerduo. Olaf Scholz und Emmanuel Macron hatten sich zwar redlich bemüht und jeden Eklat vermieden – im Wissen, dass die internationale Lage zu ernst ist. Warm waren sie aber nie miteinander geworden.
Nuklearschirm über den Rhein hinweg
Merz erklärte bei seinem Antrittsbesuch, dass er frankophil sei und kein Problem mit dem Anspruch der Grande Nation habe. So zeigte er sich bereit für deutsch-französische Militärgespräche auf Minister- und Generalstabsebene, die abklären sollen, ob der französische Nuklearschirm über den Rhein hinweg aufgespannt werden könnte. Aber der CDU-Kanzler betonte im gleichen Atemzug, der französische Schutzschild könnte höchstens „komplementär“ zum amerikanischen Atomschirm wirken.
Merz kündigte weiter an, Deutschland und Frankreich würden „gemeinsam Maßnahmen treffen, um die Sicherheit und Verteidigung Europas auszubauen“. Das schließe auch gemeinsame Rüstungsprojekte ein. Macron schwieg zu diesem Punkt. Er wirft deutschen Firmen vor, sie bevorzugten auch in der Trump-Ära Rüstungsdeals mit den USA statt mit den EU-Partnern.
Auf eine Journalistenfrage, ob sich Deutschland an den Sicherheitsgarantien beteiligen würde, falls es in der Ukraine zu einem Waffenstillstand kommen sollte, legte sich Merz nicht fest. Keine Antwort gab es auch auf die früher klar bejahte Frage, ob sein Land der Ukraine den 500 Kilometer weit tragenden Marschflugkörper Taurus liefern solle.
Frankreichs Staatschef Macron meinte ähnlich ausweichend, solche Waffenlieferungen gehörten nicht öffentlich diskutiert, da der Feind mithöre. Da Frankreich ähnliche Superraketen schon selber geliefert hat, ist anzunehmen, dass Macron Taurus-Lieferungen begrüßen würde.
Alles in allem verschickte das neue europäische Kernduo „Mercron“, wie es Diplomaten bereits nennen, ein klares Signal nach Moskau und Washington: Deutschland und Frankreich wollen in der Ukraine und Europa enger zusammenstehen als bisher. Ob dieser Eindruck anhalten wird, muss sich weisen. Merz kündigte an, er werde nach Kiew reisen; auf die französische Idee eines gemeinsamen Besuchs mit Macron ging er nicht ein.
Freunde mit Missverständnissen
Auffällig ist auch, dass der Deutsche und der Franzose diese Woche separat auf das „Weimarer Dreieck“ mit Polen eingehen. Merz flog von Paris weiter nach Warschau, um Premier Donald Tusk zu treffen. Macron unterzeichnet am Freitag mit dem gleichen Regierungschef seinerseits ein „polnisch-französisches Freundschaftsabkommen“. Ein Dreiertreffen mit Deutschen, Franzosen und Polen wäre ein noch stärkeres Signal an die Außenwelt gewesen.
Macron geht allerdings seit längerem eigene Wege, ohne dass ihm die deutschen Partner folgen: So hat er mit dem britischen Premier Keir Starmer, also dem Vertreter eines Nicht-EU-Mitgliedes, eine „Koalition der Willigen“ für die Ukraine aufgezogen, bei der Deutschland bisher nicht eingebunden ist. Aber auch abgesehen davon fehlt es nicht an bilateralen Meinungsverschiedenheiten – im deutsch-französischen Jargon „Missverständnisse“ genannt.
Zum Teil werden sie unter Merz noch ausgeprägter: Die vehemente französische Ablehnung des Mercosur-Freihandelsabkommens der EU und Südamerikas hatte bei Scholz ein gewisses Verständnis geweckt, Merz hingegen sprach sich in Paris für eine „rasche“ Ratifizierung aus. Macron blieb bei seiner Weigerung, mit der er die französischen Landwirte zu schützen gedenkt.