Blutbad in Myanmar

Schüsse auf Frauen und Kinder

In dieser Woche hat das Militär in Myanmar wieder Zivilisten angegriffen. Die Junta versucht mit Gewalt, die Opposition niederzuhalten. Die Brutalität in dem südostasiatischen Land löst weltweit Entsetzen aus.

Schüsse auf Frauen und Kinder

Der Chef der Junta, Min Aung Hlaing, regiert mit brutaler Gewalt in Myanmar.

Von Felix Lill

„Es ist schrecklich, absolut schrecklich“, sagt Tom Andrews in einem TV-Interview. Der US-Amerikaner, der in seinem Heimatland schon Kongressabgeordneter war und in Myanmar einst einen schwierigen Übergang von der Militärdiktatur zur Demokratie begleitete, hat in seinem Leben einiges gesehen. Aber der Vorfall vom Dienstag schockiert auch den UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte in Myanmar. „Wir stellen fest, dass immer mehr Kampfflugzeuge und Helikopter eingesetzt werden und öffentliche Veranstaltungen attackieren.“

Der Konflikt in dem südostasiatischen Land mit 54 Millionen Einwohnern hat mit der Attacke einen neuen Tiefpunkt erreicht. In einem Dorf in der nördlichen Region Sagaing hatten sich Menschen versammelt, um die Eröffnung eines neuen Verwaltungsgebäudes zu feiern. Doch dann rasten Flugzeuge und Helikopter über die Menge und schossen auf alles, was sich bewegte. Videos, die kurz nach dem Angriff aufgenommen wurden, zeigen qualmende, reglose Körper zwischen Schutt und Asche. Um die 100 Personen sollen bei dem Angriff ums Leben gekommen sein.

Gewalt gegen Zivilisten in Myanmar nimmt zu

UN-Generalsekretär António Guterres verurteilte die Tat scharf. Die Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen werden, forderte Guterres in New York. Auch die EU und die Bundesregierung verurteilten den Angriff. Zivilisten dürften kein Ziel von Angriffen sein, schrieb der EU-Kommissar für humanitäre Hilfe und Krisenschutz, Janez Lenarcic.

Gut zwei Jahre nach dem Putsch, mit dem sich das Militär Anfang 2021 an die Macht setzte und damit die gewählte Regierung von Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi absetzte, ist an Frieden nicht zu denken. Auf diverse Formen der Opposition reagiert das Militär mit Gewalt. Mehr als 3200 Personen sind laut der „Hilfsorganisation für politische Gefangene in Myanmar“ zu Tode gekommen, 17 400 befinden sich in Gefangenschaft. Der Militärschlag am vergangenen Dienstag war dabei längst nicht der erste Luftangriff auf Zivilisten. Aber es könnte, gemessen an den Opferzahlen, der verheerendste sein.

Tom Andrews von den Vereinten Nationen beobachtet dabei ein Muster: „Wir sehen wiederholt, wie Männer, Frauen und Kinder getötet oder schwer verletzt werden. Und all das nimmt zu.“ Dies sei allerdings kein Zeichen der Stärke der Junta, so der UN-Sonderberichterstatter, im Gegenteil. „Ein Grund dafür ist die Verzweiflung des Militärs. Gerade weil es die Kontrolle über weite Gebiete von Myanmar verliert, sind die Soldaten zunehmend verwundbar. Daher greift das Militär aus der Luft an.“ Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International fordern deshalb ein internationales Embargo für Flugzeugtreibstoff, mit dem die Armee ihre Kampfjets betankt.

Die Junta hat offiziell Stellung bezogen. Im Staatsfernsehen ließ sie verlautbaren, man habe dabei Terroristen anvisiert, um den nationalen Frieden herzustellen. Als Terroristen bezeichnet das Militär dabei vor allem die im Untergrund agierende „Nationale Einheitsregierung“, die sich vor allem aus dem letzten Wahlergebnis vor dem Putsch zusammensetzt, ergänzt durch die Anführer einiger ethnischer Minderheiten. Sie wirbt für Demokratie, macht dem Militär die Macht streitig und führt längst selbst einen bewaffneten Kampf um die Macht.

Die „Nationale Einheitsregierung“ hat den Luftangriff von Mitte der Woche auch schon kommentiert. In einem Statement heißt es: „Dieser abscheuliche Angriff zeigt einmal mehr die rücksichtslose Anwendung extremer Gewalt gegen Zivilisten. Der Angriff stellt ein Kriegsverbrechen dar. Wir verurteilen alle terroristischen Taten gegen das myanmarische Volk und fordern einmal mehr Gerechtigkeit für die Opfer.“

Bis auf Weiteres wird es die aber kaum geben. Denn im Konflikt deutet sich kein Ende an. Die Junta hatte in der Karwoche und wenige Tage vor Beginn des birmanischen Neujahrsfestes Thingyan am 13. April eine militärische Offensive gegen den Widerstand in Sagaing sowie in anderen, überwiegend christlichen Regionen gestartet.

Und obwohl das Militär mit Sanktionen westlicher Staaten belegt ist, wird es UN-Berichten zufolge vor allem aus Russland und China, aber auch aus Serbien mit neuen Waffen beliefert. „Dies hat den Konflikt nur verlängert und eskaliert“, sagt Jonathan Liljeblad, ein Politologieprofessor an der Australian National University in Canberra. Nach den demokratischen Reformen von 2008 und vor dem Putsch 2021 beriet Liljeblad den myanmarischen Staat beim Aufbau eines liberalen Bildungssystems.

Der Unterstützung, die das Militär in Myanmar heute von ihm nahestehenden Regierungen erhält, kann sich die „Nationale Einheitsregierung“ mit ihrer „Volksbefreiungsarmee“ nicht erfreuen. Sie finanziert ihre Bemühungen vor allem mit Spenden der burmesischen Diaspora in diversen Ländern sowie durch die zahlenmäßig starke Demokratiebewegung im Inland. Hinzu kommt allerdings, dass der Widerstand gegen das Militär bisher kein geeinter ist. Mehrere ethnische Minderheiten kämpfen unabhängig von der „Nationalen Einheitsregierung“ (siehe Text unten).